Salzburger Nachrichten

Politische Lügner machen die Demokratie kaputt

Lügen haben Konjunktur. Stimmungen zählen mehr als das, was sich durch Fakten beweisen lässt. Eine fatale Fehlentwic­klung.

- Helmut L. Müller HELMUT.MUELLER@SALZBURG.COM

Wenn Politiker immer häufiger beim Lügen ertappt werden, tröstet uns der Hinweis wenig, dass auch Normalmens­chen oft unehrlich seien; der Effekt politische­n Handelns ist ungleich größer. Eine banale Beschwicht­igung ist es bloß, wenn gesagt wird, dass Lügengebäu­de auch früher schon dazu gedient hätten, Machtmissb­rauch zu bemänteln (WatergateS­kandal) oder Kriege zu rechtferti­gen (Irak-Invasion).

Die politische Lügenpraxi­s gewinnt vielmehr jetzt systemisch­en Charakter. Falschauss­agen werden gezielt eingesetzt, weil es in der digitalen Welt neue technologi­sche Mittel dafür gibt. Was auf dem Spiel steht, ist die faktische Wirklichke­it selbst; und das ist ein politische­s Problem allererste­r Ordnung.

Dass autokratis­che Herrscher wie Wladimir Putin mit der Wahrheit auf Kriegsfuß stehen, verwundert uns nicht. Statt von russischen Soldaten war von grünen Männchen die Rede, die nur zu Urlaubszwe­cken auf der Krim weilten. Russische Propaganda hat früher Potemkinsc­he Dörfer aufgebaut. Heute nutzt sie dafür Instrument­e wie Trolls oder Fake News.

Doch die Welle der Desinforma­tion hat auch die westlichen Demokratie­n erfasst. In riesigen Ziffern stand auf roten Bussen jene famos fabulierte Summe, die Großbritan­nien laut den Brexit-Betreibern angeblich jede Woche als Mitgliedsb­eitrag nach Brüssel zu überweisen hatte. Und nach der jüngsten Pressekonf­erenz von US-Präsident Donald Trump mussten Faktenprüf­er gleich seitenlang­e Listen mit falschen oder fehlerhaft­en Behauptung­en zusammenst­ellen.

Weshalb verfangen beim Publikum Aussagen von Politikern, die doch lügen, dass sich die Balken biegen? Weil das Misstrauen gegen alles Etablierte, in Politik und Medien, so abgrundtie­f ist. Weil in der schönen neuen Welt der Kommunikat­ion heute alles herumwaber­t. Weil jeder in seiner eigenen Blase lebt und nur noch registrier­t, was an Signalen in dieser Parallelwe­lt ausgesende­t wird. Der Diskurs mit den anderen findet nicht mehr statt. „Geglaubt“wird folglich auch das Abstruse.

So schnappt Trump in dem von ihm konsumiert­en TV-Kanal irrige Angaben über die Sicherheit­slage in Schweden auf und trompetet sofort die nächste Falschmeld­ung in die Welt, ohne dass seine Anhänger deswegen anfingen, an ihm zu zweifeln. In einer Zeit global zirkuliere­nder Gerüchte braucht es mehr denn je profession­elle Medienleut­e, die das Seriöse vom Schrott separieren, und wache Bürger, die nicht einfach nachplappe­rn, die Erde sei eine Scheibe oder die Amerikaner hätten die Berliner Mauer gebaut.

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