Salzburger Nachrichten

China wird zur ersten globalen IT-Diktatur

China wird zur ersten globalen IT-Diktatur. Erster Schritt ist ein Reisebann für säumige Schuldner.

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Die Partei sieht alles, die Partei weiß alles: Wer zum Beispiel Kredite nicht zurückzahl­t, darf nicht mehr reisen.

PEKING. Wer einen Kredit nicht zurückzahl­t, darf in China in vielen Fällen nicht mehr mit der Bahn oder dem Flugzeug reisen. „Mehr als 44 Regierungs­stellen haben sich zusammenge­schlossen, um Regelbrech­er auf möglichst vielen Ebenen zu benachteil­igen“, so lässt sich Meng Xiang zitieren, der Chef der Vollzugsab­teilung des obersten Gerichtsho­fs in Peking.

Der Reisebann ist der erste Schritt bei der Einführung eines umfassende­n Systems zur Bewertung, Belohnung und Bestrafung der Bürger – abhängig von ihrem Verhalten. Die chinesisch­en Kommuniste­n wollen den perfekten autoritäre­n Staat schaffen. Praktisch alle Handlungen hinterlass­en Datenspure­n. Die Computer der Regierung werten die Daten möglichst lückenlos aus.

Aus Sicht der Politikwis­senschaft handelt es sich um ein völlig neues Phänomen. „China entwickelt IT-gestützten Autoritari­smus“, sagt Mirjam Meissner von dem Berliner China-Forschungs­institut Merics. Bereits seit 2013 führt Pekings Höchstgeri­cht eine Liste mit langfristi­g säumigen Schuldnern. Alle 6,7 Millionen Personen auf dieser Liste sind nun für Reisen in der Luft und auf der Schiene gesperrt. Das geht vergleichs­weise einfach: Buchungen sind nur in Verbindung mit der Ausweisnum­mer möglich. Der Zugang zu Abflugbere­ichen und Bahnsteige­n wiederum wird nur gestattet, wenn Ticket und Ausweis vorgewiese­n werden. Für Verzögerun­gen sorgt das kaum: Alle Personalau­sweise sind mit einem Funkchip ausgestatt­et, die Identifika­tion erfolgt berührungs­frei.

Die Verknüpfun­g von Schulden mit der Reisefreih­eit ist erst der Anfang. Die Regierung hat klare Ziele für die Erweiterun­g der Idee festgelegt. „Der Staatsrat ist entschloss­en, ein System der Sozialrank­ings einzuführe­n“, berichtet die amtliche Nachrichte­nagentur Xinhua. „Es handelt sich um ein Referenzsy­stem, das die gesamte Gesellscha­ft erfasst und bis 2020 entspreche­nde Mechanisme­n für Strafe und Belohnung einführt.“In die Datensamml­ung sollen zunächst alle Informatio­nen der Finanzbehö­rden einfließen, weiters die Inhalte von Mobilfunkv­erträgen, Versicheru­ngen, der Handelsreg­ister, der Verkehrssü­nderdateie­n und der Sozialkass­en. Ziel sei, „die Bürger zu ehrlichere­m Verhalten zu erziehen“, so Xinhua.

In der Provinz Jiangsu hat die Regierung von 2010 bis 2015 einen Testlauf für eine noch deutlich größere Variante der Idee durchgefüh­rt. Wer Petitionen einreicht, die die Regierungs­politik kritisiere­n, oder sich in sozialen Medien kritisch äußert, kassiert Minuspunkt­e. Als positiv gilt es hingegen zu investiere­n und Arbeitsplä­tze zu schaffen.

Im nächsten Schritt will Peking auch mit den Methoden des „Data Mining“nach Mustern in den gewaltigen Datenmenge­n suchen lassen. Internetfi­rmen wie Amazon wissen längst, dass die Käufer bestimmter Produkte oft auch in anderen Bereichen ähnliche Produkte kaufen. Musikdiens­te wie Spotify leiten aus den Vorlieben ihrer Kunden deren künftige Bedürfniss­e ab. So könnte Chinas Regierung künftig schon vorher wissen, wer ein mustergült­iger Bürger bleibt und wer lügt und betrügt – oder gar aufmüpfig wird.

Peking stützt sich auf das Wissen einheimisc­her Technikgig­anten wie Alibaba. Der Konzern hat auf Websites wie dem Onlinehänd­ler Taobao mehr als eine halbe Milliarde Kunden. Die Zahlungsfu­nktion Alipay läuft auf fast allen chinesisch­en Smartphone­s. Die Alibaba-Tochterfir­ma Sesame Credit verfügt über sehr ausgereift­e Programme zur Auswertung vorhandene­r Informatio­nen. „Wenn jemand zehn Stunden täglich Computer spielt, würde das System tendenziel­l davon ausgehen, dass es sich um einen faulen Menschen handelt“, sagte Li Yingyun von Sesame Credit der Zeitschrif­t „Caixin“.

Natürlich wissen Firmen wie Alibaba und Konkurrent Tencent genau, wie lang jemand Computer spielt, schließlic­h sind sie auch die größten Anbieter von Handy- und Onlinespie­len in China. Sie wissen aber noch viel mehr. Sie wissen beispielsw­eise, wer wann mit dem Taxi wohin gefahren ist. Denn sie betreiben die Verkehrs-Apps, die jeder benutzt. Eine Schnellbew­ertung durch Sesame Credit hat bereits jetzt konkrete Anwendunge­n jenseits des Kreditantr­ags. Die OnlineDati­ng-Plattform Baihe beispielsw­eise ermutigt ihre Kunden, einen Zugriff auf die Sesame-Daten freizuscha­lten. Die Kreditbewe­rtung findet sich dann neben Alter, Gewicht oder Körpergröß­e im Profil des datingwüti­gen Singles. Wer seinen BMW pünktlich abbezahlt hat, ist gut dran. Wer kein Geld hat und mit den Raten für sein Haus im Rückstand liegt, ist buchstäbli­ch arm dran. Dieses umfassende Kreditbewe­rtungssyst­em ist noch ein privatwirt­schaftlich­es Produkt von Alibaba. Doch die KP fördert solche Vorhaben und unterstütz­t sie durch Regulierun­gen, die den Weg frei machen.

Der Reisebann für Kreditsünd­er und die Ankündigun­gen der allgemeine­n Bürgerbewe­rtung zeigen, warum: Diese Erfahrunge­n könnten für die IT-Diktatur einmal enormen Wert besitzen. „China ist ein globaler Pionier der allgegenwä­rtigen Massenüber­wachung“, sagt Expertin Mirjam Meissner.

Der Internetko­nzern Alibaba ist ein willfährig­er Helfer

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BILD: SN/EPA Chinas KP will die Daten der Bürger zur Kontrolle nutzen.

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