Salzburger Leid im Schatten des Barock
In einem aufstachelnden Essay erkennt Anton Thuswaldner im Barock einen „Freiheitszügler“und „Innovationsstopper“.
Die Stadt Salzburg wird mit Vorwürfen konfrontiert: Die barocke Architektur „dämpft Ideen, die das unbedingt Neue anstreben“. Und von diesem „sorgsam gehüteten Erbe“lasse sich „schwer eine Zukunft ins Auge fassen“. Oder: Barock sei nicht nur Kunstrichtung, sondern „eine Ideologie, eine Einschüchterungsgeste, ein Machtsignal“; Barock sei zudem „Freiheitszügler“und „Innovationsstopper“.
Und all dies sei heutzutage in Salzburg so präsent wie im Absolutismus. Dies stellt Anton Thuswaldner, Literaturkritiker der SN, in seinem Essay „Mit dem Barock fängt alles an“fest.
Das 80-seitige Büchlein, ein erst jetzt erschienener Nachschlag zum 2016er-Jubiläum, ortet eine Befindlichkeit der Salzburger, die in Architektur und bildender Kunst offenbar wird: der Konflikt zwischen Barock und Anti-Barock, zwischen der Huldigung von „etwas Höherem, das den Menschen auf Distanz hält“und dem Protest dagegen.
Anton Thuswaldner spitzt in seinem Essay diese Dichotomie immer wieder zu, elaboriert sie und resümiert schließlich: „Wir brauchen eine neue Aufklärung, in Salzburg und anderswo.“
Er erkennt in diesem – neben Mozart und „The Sound of Music“– wichtigen Atout der Tourismuswerbung, also im Kern der allseits gepriesenen Schönheit, einen von zwei Polen einer Spannung, an der viele Bewohner, wie offenbar auch der Autor, leiden. „Die Geschichte Salzburgs lässt sich als eine der Anziehung und Abstoßung vom Barock lesen“, stellt er fest. „Barock als Glücksverheißung und Feindbild, als Geschäftsidee und Protzkultur, diese Spannung muss Salzburg aushalten.“ Im einen Pol erkennt er Architektur und Kunst des Fürsterzbistums, „Fischer von Erlach, Johann Michael Rottmayr und Michael Bernhard Mandl bildeten die Trinität (. . .), die der Herrlichkeit göttlicher Fügung und obrigkeitlichen Waltens besonders eindrucksvoll Gestalt verliehen“. Die dem Barock folgende Aufklärung sei in Salzburg nur „mit halber Kraft“und als „Schrumpfversion“erfolgt.
Anfang des 20. Jahrhunderts bekam dieses hier in Stein gefasste Gottes- und Weltbild neuen Auftrieb. Da habe eine „Moderne mit eingebautem Rückwärtsgang“begonnen. „Max Reinhardt führte die Kampftruppe einer neuen Gegenaufklärung an, und ,Jedermann‘ lautete der Schlachtruf des Konservativismus.“Noch andere deftige Formulierungen findet Anton Thuswaldner für das Neobarock der Salzburger Festspielgründung – etwa: Hugo von Hofmannsthal und Max Reinhardt „gingen in eine rabiate Re-Katholisierungsoffensive aus dem Geist der Kunst“.
Für den anderen Pol, das Anti-Barock, gibt Thuswaldner mehrere Beispiele. Für Mozart, „von den Ideen der Aufklärung durchdrungen“, sei in der Colloredo’schen Halb-Aufklärung kein Platz gewesen. Weiters erzählt er von zwei „antibarocken Kämpfern“aus dem 19. Jahrhundert, beide katholische Geistliche: Franz Xaver Schmid, der Salzburg verließ und in Erlangen protestantisch wurde, sowie Joseph Schöpf, der sich gegen den Antisemitismus einsetzte.
In junger Vergangenheit sichtet der Autor das Anti-Barocke etwa in der einstigen „Szene der Jugend“, in Gérard Mortiers Intendanz der Salzburger Festspiele, in Jörg Immendorffs „Affentor“, in Kunstwerken der Salzburg Foundation – wie in der „das Erhabene“karikierenden Gurkel Erwin Wurms – und in den Bettlern, seit je mythologischer Gegenpol zu Königen und Reichen.
Das alles ergibt keinen konzisen Überblick über 200 Jahre seit dem Barock. Auch der Titel „Mit dem Barock fängt alles an – Warum Salzburg ist, wie es ist“verheißt mehr, als der Text hält. Und doch ist er ein erfrischend aufwieglerisches Memento gegen die Salzburger Selbstzufriedenheit über ererbte, angenehm vermarktbare Schönheit.