Die NATO kämpft mit alten Problemen
Die USA fordern von ihren Bündnispartnern höhere Ausgaben für die Verteidigung. Das ist nicht neu – und hat nicht direkt mit dem Budget der NATO zu tun.
Jens Stoltenberg, seines Zeichens Generalsekretär der NATO, versuchte dieser Tage mehrfach die Wogen zu glätten. Vor allem dadurch, dass er die Aussagen von US-Präsident Donald Trump und dessen Regierungsmitgliedern relativierte.
Die NATO-Partner müssten, so hatte es seitens der USA in Washington und bei ersten offiziellen Besuchen in Europa geheißen, ihre Militärausgaben erhöhen. Ansonsten würde Amerika sein Engagement im Bündnis zurückfahren.
Die Rede ist von einer Erhöhung der Verteidigungsbudgets aller 28 Länder auf mindestens zwei Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Eine Forderung, mit der die USA Europa zu nichts zwingen würden, betonte Stoltenberg. Vielmehr habe es von allen Partnern beim NATO-Gipfel in Wales im September 2014 ein Bekenntnis zu diesem Ziel gegeben. Die Annexion der Krim durch Russland und die Krisenherde im Nahen Osten und in Nordafrika hatten damals den Ausschlag dazu gegeben.
Mangels einer akuten Bedrohung hatten die NATO-Länder nach dem Kalten Krieg ihre Verteidigungsbudgets zurückgeschraubt – 2014 sah die Lage nun anders und bedrohlicher aus. Um das Bündnis fit für die unsichere Zukunft zu machen, einigten sich die Mitglieder darauf, den Trend zu den rückläufigen Verteidigungsbudgets umzukehren. Das Zwei-Prozent-Ziel sollten demnach alle Länder innerhalb einer Dekade erreichen.
Vereinbart wurde der Leitwert von zwei Prozent des BIP bereits 2006. Nachdem die USA nach den Terroranschlägen von 9/11 im Jahr 2001 ihre Militärausgaben massiv erhöht hatten, ging die finanzielle Kluft zwischen Amerika und seinen Verbündeten immer weiter auf. Die Einigung auf das Zwei-Prozent-Ziel als Leitmarke – verpflichtend ist es für die NATO-Länder nicht – sollte ein „Indikator für den politischen Willen der Länder sein“, sich an den gemeinsamen Anstrengungen des Bündnisses zu beteiligen, heißt es seitens der NATO. Auf das eigentliche Budget des Bündnisses hat dieser Wert keine Auswirkungen.
Unabhängig von den jeweiligen nationalen Ausgaben für die Verteidigung müssen die NATO-Länder einen Beitrag für das gemeinsame Budget leisten, der nach einer Formel fix berechnet ist. Für das Jahr 2017 liegt das Budget der NATO bei rund 2,18 Milliarden Euro. Den größten Anteil übernehmen dabei die USA mit 22,14 Prozent, gefolgt von Deutschland mit 14,65 Prozent, Frankreich mit 10,63 Prozent und Großbritannien mit 9,84 Prozent. Dahinter folgen Italien, Kanada, Spanien und die Türkei.
Aufgeteilt wird das Budget auf drei Posten. Der erste und bei Weitem geringste ist der zivile Be- reich, in den Personalkosten, Verwaltung und die laufenden Kosten des NATO-Hauptquartiers in Brüssel fallen. Dafür sind 2017 insgesamt rund 234 Millionen Euro vorgesehen.
Der Großteil des Budgets entfällt wie jedes Jahr auf den militärischen Bereich, 2017 sind das rund 1,29 Milliarden Euro. Finanziert werden daraus die einzelnen Militärstandorte der NATO, etwa jener im belgischen Mons oder das Trainingscenter in Polen. Die Kosten für den Militärausschuss, den Stab und die gesamte Kommandostruktur fallen außerdem in diesen Bereich.
Den dritten Brocken im Budget macht das Sicherheitsund Investitionsprogramm aus, für das im Jahr 2017 rund 655 Millionen Euro vorgesehen sind. Daraus werden Investitionen von Mitgliedsländern (mit)finanziert, die für das gesamte Bündnis wichtig, aber von dem einzelnen Land finanziell nicht zu stemmen sind. Darunter fallen etwa die Errichtung von Landebahnen für Militärflugzeuge oder spezielle Ausrüstungen, die auf Militärhäfen benötigt werden.
Bei der Frage, wie stark die NATO auf der Weltbühne auftreten kann, ist das gemeinsame Budget nur bedingt entscheidend. Ausschlaggebend sind in der Praxis die nationalen Verteidigungsbudgets. Wenn die Allianz gemeinsam entscheidet, eine neue Militäroperation zu starten, liegt es an jedem einzelnen Land, zu entscheiden, in welchem Ausmaß es sich daran beteiligen will – oder eben aufgrund seiner eigenen militärischen Stärke überhaupt kann. Die Truppen und die Ausrüstung, die von den Mitgliedern zur Verfügung gestellt werden, werden unter das Kommando der NATO gestellt. Erst diese obere Kommandostruktur geht auf Kosten des NATO-Budgets.
Seit 2014 würden die Verteidigungsbudgets zumindest erstmals seit langer Zeit nicht mehr sinken, betonte Stoltenberg dieser Tage angesichts der neu entflammten Debatte mehrmals lobend, unter anderem bei der Sicherheitskonferenz in München. Demnach sind 2016 die Ausgaben außerhalb der USA, also in Europa und Kanada, sogar um insgesamt 3,8 Prozent gestiegen. Trotzdem bleibt ein Ungleichgewicht bestehen: Während das BIP der übrigen Länder in Summe jenes der USA übersteigt, geben sie insgesamt weitaus weniger als die USA für Verteidigung aus.
Mittlerweile entfallen 75 Prozent der Militärausgaben in der NATO auf die Vereinigten Staaten. Die selbst gesetzte Zwei-Prozent-Marke erreichen außer den USA nur Griechenland (2,38 Prozent), Großbritannien (2,21 Prozent), Estland (2,16 Prozent) und Polen (2 Prozent). Laut Stoltenberg hat Rumänien angekündigt, die Marke in einem Jahr zu erreichen, Litauen und Lettland wollen in zwei Jahren dort sein. Unter anderem in Deutschland gibt es massive Zweifel, ob das Ziel überhaupt in der anberaumten Spanne von zehn Jahren zu erreichen ist.