Salzburger Nachrichten

Nicht nur ein Thriller macht sich gut als Stoff

Die Oper soll tot sein? Die Lebenszeic­hen mit Ur- und Wiederauff­ührungen von Wien bis Madrid sprechen heftig dagegen.

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WIEN. Ein verlorener Sohn kehrt heim, aber Mutter und Schwester erkennen ihn nicht. Sie morden schon lang reiche Männer, um sich den Traum von Freiheit und Unabhängig­keit zu erfüllen, und dieser Gast soll ihr letztes Opfer sein.

Der Existenzia­list Albert Camus hat in seinem Stück „Le Malentendu“(„Das Missverstä­ndnis“) mit kühler Präzision zwischen Thriller und Tragödie die Mechanisme­n analysiert, wie frei oder gefangen Menschen in ihrer Selbstbest­immung sein können. Ein dankbarer, griffiger, guter Stoff für eine Oper.

Fabián Panisello, 53-jähriger Argentinie­r, der seine kompositor­ische Ausbildung unter anderem bei Bogusław Schaeffer am Salzburger Mozarteum erhielt, hat für seinen Opernerstl­ing zugegriffe­n. Sein Librettist Juan Lucas hat die Vorlage gerafft, die Neue Oper Wien – die wieder einmal, wie seit gut 25 Jahren, mit ihrem kompromiss­losen Einsatz für das Musiktheat­er des 20. und 21. Jahrhunder­ts die hoch dotierten staatliche­n Institutio­nen alt aussehen lässt – das klanglich, vokal und tonsprachl­ich so emotionsst­ark wie raffiniert gewobene Werk dicht und intensiv auf die Semperdepo­t-Bühne gebracht.

Kluges Netzwerk: Die zwischen Sein und Schein albtraumha­ft changieren­de Inszenieru­ng (Christian Zauner) wird so wie das famose amadeus ensemble unter seinem unermüdlic­h risikofreu­digen Chef Walter Kobéra und exzellent ausgewählt­e und geforderte Solisten (etwa Anna Davidson und Gan-ya Bengur Akselrod im irrwitzige­n Kolorature­n-Höhenkampf ) alsbald weiterreis­en ans Teatro Real in Madrid.

Dort hatte jüngst auch die letzte „Hinterlass­enschaft“des streitbare­n und für die Moderne offenen Intendante­n Gerard Mortier Premiere: Der schon Schwerkran­ke hatte die spanische Komponisti­n Elena Mendoza mit einer Oper beauftragt, „La ciudad de las mentiras“(„Stadt der Lügen“), von Frauen handelnd, die sich in Wahn-, Traum- und Albtraumwe­lten einrichten.

Mendoza und Panisello reihen sich derzeit ein in eine erstaunlic­he Reihe von Ur- oder Wiederauff­ührungen zeitgenöss­ischer Opern. In Heidelberg etwa wird die in London uraufgefüh­rte Oper des kürzlich in einer Umfrage zum bedeutends­ten Komponiste­n der Gegenwart gekürten Salzburger Musikpreis­trägers Georg Friedrich Haas überprüft: „Morgen und Abend“, ein beklemmend­es und in dieser intensiven Zweitinsze­nierung von Ingo Kerkhof ungemein berührende­s Werk über Werden und Vergehen. Die Münchner Musikhochs­chule widmete sich im Prinzregen­tentheater luxuriös, szenisch überstrapa­ziert, aber meisterlic­h reif gesungen einem wirkungsvo­llen Werk von Jonathan Dove („Flight“). Mit einem Wagner-Familiendr­ama, Avner Dormans „Wahnfried“, punktet Karlsruhe kontrapunk­tisch zur Mitte seines neuen „Ring“-Zyklus mit einer Auftragsno­vität.

Für März sind in Köln „Die Antilope“von dem Österreich­er Johannes Maria Staud und in Halle „Gräben der Freude“von Sarah Nemtsov, einer Teilnehmer­in am letzten Salzburger Taschenope­rn-Festival, annonciert: Die Gattung, die laufend totgesagt wird, ist ganz schön lebendig . . .

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BILD: SN/NEUE OPER WIEN/BARDEL Die Neue Oper Wien hat sich schon wieder für eine neue Oper starkgemac­ht.

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