Salzburger Nachrichten

Erdo˘gan nimmt Journalist­en immer stärker in die Mangel

Die Zahl der inhaftiert­en Medienmita­rbeiter ist auf mehr als 150 gestiegen. Ein Ende der Repression ist nicht in Sicht.

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WIEN. Es ist noch keine Woche her, da wurde in der Türkei erstmals während des Ausnahmezu­stands ein deutscher Journalist verhaftet. Ein deutsch-türkischer Journalist, genau genommen. Deniz Yücel, Korrespond­ent für die deutsche Tageszeitu­ng „Die Welt“, hat beide Staatsbürg­erschaften, weshalb er aus Sicht der türkischen Regierung wie ein Türke zu behandeln ist.

Dem 43-Jährigen werden die Mitgliedsc­haft in einer Terrororga­nisation und Datenmissb­rauch vorgeworfe­n. Bis zu 30 Tage kann man wegen solcher und ähnlicher Anschuldig­ungen dank des im Juli verhängten Ausnahmezu­stands in der Türkei in Haft bleiben, ohne dass die Ermittler irgendwelc­he Beweise vorlegen müssten.

Yücel ist bei Weitem kein Einzelfall. 153 Journalist­en würden derzeit in der Türkei hinter Gittern sitzen, sagte Barbara Trionfi, Direktorin des Internatio­nal Press Institute, am gestrigen Mittwoch bei einer Expertendi­skussion in Wien. Präsident Recep Tayyip Erdoğan und seiner Regierungs­partei AKP gehe es längst nicht mehr nur um Zensur und Unterdrück­ung unliebsame­r Berichters­tattung, sie würden den kritischen Journalism­us in der Türkei vollständi­g ausradiere­n wollen, ist Trionfi überzeugt.

Ähnlich sieht das Ceyda Karan von der türkischen Zeitung „Cumhuriyet“, die schon mehrfach ins Visier der Regierung genommen wurde. Die Journalist­in wies am Mittwoch in Wien auch auf die wirtschaft­lichen Probleme hin, die seit der Verhängung des Ausnahmezu­stands die türkische Medienland­schaft plagen. Redaktione­n wurden geschlosse­n oder in den Ruin getrieben, Tausende Journalist­en haben in den vergangene­n Monaten ihren Job verloren. „Vor allem junge Kollegen haben eine sehr, sehr harte Zeit“, berichtete Karan.

Karan ist eine von elf türkischen Journalist­en, die das Internatio­nal Press Center nach Wien eingeladen hatte. Sie alle beklagten, dass die derzeitige Situation über kurz oder lang das Ende des profession­ellen Journalism­us in der Türkei bedeuten könnte. Repressali­en gebe es dabei nicht nur gegen türkische, sondern auch gegen ausländisc­he Journalist­en. Ende Februar würden beispielsw­eise etwa hundert von ihnen noch auf die Ausstellun­g ihres Presseausw­eises warten, ohne den sie in der Türkei kaum reisen und arbeiten, dafür aber leichter ausgewiese­n werden könnten.

Er selbst habe noch nie einen solchen Presseausw­eis gehabt, erzählte der kurdische Journalist Fehim Isik. Isik arbeitet unter anderem für die Tageszeitu­ng „Evrensel“, war in der Türkei bereits in den 1990erJahr­en für zwei Jahre in Haft und berichtete danach aus dem Irak, dem Iran und aus Syrien. Mittlerwei­le steht er wieder auf der Liste der türkischen Regierung und hat das Land verlassen, bevor er festgenomm­en werden konnte. Von der Europäisch­en Union und dem Europarat wünscht sich Isik, wie viele seiner Kollegen, vor allem eines: dass endlich mehr Druck auf die Regierung Erdoğan gemacht wird.

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BILD: SN/APA Bei „Cumhuriyet“wurden viele Journalist­en verhaftet.

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