Warum wir Alte vermissen
Ein Aufschrei wie dieser passiert selten. Dennoch wurde er im Internet Tausende Male geteilt: Unter dem Titel „Warum ich alte Leute am Arbeitsplatz vermisse“, veröffentlichte der New Yorker Marketingexperte Tom Goodwin, selbst der Generation der Digital Natives zuzurechnen, also der mit dem Internet aufgewachsenen Jungen, einen Blogbeitrag. Darin geht er hart mit Jugendkult und Oberflächlichkeit der Werbe-, Marketing- und Medienwelt ins Gericht: In den schnellen, von den Möglichkeiten auf Smartphones getriebenen Branchen ließen sich Leute mit wenigen Jahren Berufserfahrung bereits als „Gurus“feiern. Sie schufen Modebegriffe, die unhinterfragt blieben, und stellten neue Regeln auf, die in Wahrheit steinalt seien. „Es kann passieren, dass ich in einem Raum mit 300 Agenturkollegen bin, doch kein einziger weiß, wie es in den Zeiten zuging, bevor es Smartphones oder gar Computer gab“, schreibt Goodwin. Die Folge: Fehleinschätzungen, Kurzsichtigkeit, ein Mangel an Weisheit und schließlich auch ein geringes Gewicht in der Wirtschaft: „Ein CEO wird kaum noch an einem Pitch teilnehmen.“
Den Beitrag kann man auf zweierlei Art lesen. Erstens: Einige Branchen übertreiben den Jugendkult maßlos und schaden sich selbst. In den USA, wo die Digitalisierung im Alltag weiter fortgeschritten ist und die Kommunikation via Smartphones noch mehr gehypt wird, mag dies eine noch größere Gefahr darstellen als hierzulande, wo das Gegenteil noch weitverbreitet ist – Ignoranz und Unverständnis gegenüber den massiven Veränderungen. Doch auch hier sind Teile der Start-upSzene nicht gefeit, ihre Luftschlösser zu feiern, bevor sie den ersten zahlenden Kunden an Land ziehen. Wie gut tun da Business Angels, die 20 Jahre älter sind, als Ratgeber mit Bodenhaftung.
Die zweite Lesart betrifft die Wirtschaft allgemein: Fehlt uns nicht in allen Zukunftsfragen das lebendige Miteinander von Alt und Jung? Ist es nicht kurzsichtig, nur das eine oder andere zu haben? Sicher braucht man für die Digitalisierung das Wissen der Jungen, die wie selbstverständlich mit neuen Technologien umgehen. Doch es wird gern vergessen, dass das Alter den Vorteil hat, die Welt und die Gesellschaft in ihrer Vielfalt besser zu verstehen und damit weniger anfällig für kurzfristige Modeerscheinungen zu sein, die schon morgen am Marketinghimmel wieder verglühen können.
Unternehmen müssen erkennen, wie wichtig das Miteinander der Generationen ist, und Ältere den Mut haben, sich auf die digitale Welt einzulassen. Wie heißt es im Plädoyer von Blogger Goodwin: „Ältere, weisere, gescheitere Leute, bitte mischt euch ein. Lasst euch nicht abschrecken. Denkt niemals, dass ihr nicht genau das seid, was wir jetzt brauchen.“