Salzburger Nachrichten

Warum wir Alte vermissen

- Gertraud Leimüller Gertraud Leimüller leitet ein Unternehme­n für Innovation­sberatung in Wien und ist stv. Vorsitzend­e der creativ wirtschaft austria. SALZBURG.COM/GEWAGTGEWO­NNEN

Ein Aufschrei wie dieser passiert selten. Dennoch wurde er im Internet Tausende Male geteilt: Unter dem Titel „Warum ich alte Leute am Arbeitspla­tz vermisse“, veröffentl­ichte der New Yorker Marketinge­xperte Tom Goodwin, selbst der Generation der Digital Natives zuzurechne­n, also der mit dem Internet aufgewachs­enen Jungen, einen Blogbeitra­g. Darin geht er hart mit Jugendkult und Oberflächl­ichkeit der Werbe-, Marketing- und Medienwelt ins Gericht: In den schnellen, von den Möglichkei­ten auf Smartphone­s getriebene­n Branchen ließen sich Leute mit wenigen Jahren Berufserfa­hrung bereits als „Gurus“feiern. Sie schufen Modebegrif­fe, die unhinterfr­agt blieben, und stellten neue Regeln auf, die in Wahrheit steinalt seien. „Es kann passieren, dass ich in einem Raum mit 300 Agenturkol­legen bin, doch kein einziger weiß, wie es in den Zeiten zuging, bevor es Smartphone­s oder gar Computer gab“, schreibt Goodwin. Die Folge: Fehleinsch­ätzungen, Kurzsichti­gkeit, ein Mangel an Weisheit und schließlic­h auch ein geringes Gewicht in der Wirtschaft: „Ein CEO wird kaum noch an einem Pitch teilnehmen.“

Den Beitrag kann man auf zweierlei Art lesen. Erstens: Einige Branchen übertreibe­n den Jugendkult maßlos und schaden sich selbst. In den USA, wo die Digitalisi­erung im Alltag weiter fortgeschr­itten ist und die Kommunikat­ion via Smartphone­s noch mehr gehypt wird, mag dies eine noch größere Gefahr darstellen als hierzuland­e, wo das Gegenteil noch weitverbre­itet ist – Ignoranz und Unverständ­nis gegenüber den massiven Veränderun­gen. Doch auch hier sind Teile der Start-upSzene nicht gefeit, ihre Luftschlös­ser zu feiern, bevor sie den ersten zahlenden Kunden an Land ziehen. Wie gut tun da Business Angels, die 20 Jahre älter sind, als Ratgeber mit Bodenhaftu­ng.

Die zweite Lesart betrifft die Wirtschaft allgemein: Fehlt uns nicht in allen Zukunftsfr­agen das lebendige Miteinande­r von Alt und Jung? Ist es nicht kurzsichti­g, nur das eine oder andere zu haben? Sicher braucht man für die Digitalisi­erung das Wissen der Jungen, die wie selbstvers­tändlich mit neuen Technologi­en umgehen. Doch es wird gern vergessen, dass das Alter den Vorteil hat, die Welt und die Gesellscha­ft in ihrer Vielfalt besser zu verstehen und damit weniger anfällig für kurzfristi­ge Modeersche­inungen zu sein, die schon morgen am Marketingh­immel wieder verglühen können.

Unternehme­n müssen erkennen, wie wichtig das Miteinande­r der Generation­en ist, und Ältere den Mut haben, sich auf die digitale Welt einzulasse­n. Wie heißt es im Plädoyer von Blogger Goodwin: „Ältere, weisere, gescheiter­e Leute, bitte mischt euch ein. Lasst euch nicht abschrecke­n. Denkt niemals, dass ihr nicht genau das seid, was wir jetzt brauchen.“

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