Salzburger Nachrichten

Rio feiert Karneval trotz schwerer Krise

Nach Olympia 2016 versinkt Rio de Janeiro in Gewaltexze­ssen, die Sportstätt­en verfallen. Den Bewohnern bleibt da nur ein Ausweg.

- SN, dpa

Der Gruß „Bom Dia“(„Guten Tag“) wird dieser Tage abgelöst vom „Bom Bloco“(„Guten Umzug“). Es ist fast unmöglich, den Überblick zu behalten, wer beim Karneval wann wo durch Rio de Janeiro zieht. Schon lang vor dem offizielle­n Start am morgigen Freitag gibt es seit Tagen Samba-Umzüge. Der Karneval ist dieses Jahr auch eine Ablenkung von großen Problemen – er ist eine Parallelwe­lt.

Die Cariocas, die Bewohner Rio de Janeiros, lieben das Feiern, aber der Kater vom letzten Fest ist noch nicht abgeklunge­n. Sinnbildli­ch dargestell­t durch 9000 Soldaten, die schwer bewaffnet patrouilli­eren, weil es im Polizeiapp­arat gärt.

Die Stadt hat sich mit den Milliarden­kosten der Olympische­n Spiele übernommen – Gehälter wurden, wenn, oft erst sehr verzögert gezahlt, die Sicherheit­slage etwa in Favelas hat sich stark verschlech­tert. So sind das Feiern und die prachtvoll­en Paraden im Sambódromo, das jeden Abend mit über 70.000 Menschen gefüllt ist, auch eine Art Flucht aus dem tristen Alltag. Die für Olympia errichtete­n Sportstätt­en verfallen, das berühmte Maracanã-Stadion ist seit Wochen geschlosse­n, der Rasen ist vertrockne­t, viele Sitze herausgeri­ssen.

In Rio gibt es dieses Jahr 452 Blocos. Das sind noch einmal 53 Umzüge weniger als im Vorjahr, als auch schon wegen finanziell­er Engpässe bei vielen Gruppen etwa bei den Kostümstof­fen gespart werden musste.

Brasilien 2017, das ist ein Land in tiefer Krise, auch wenn sich die Wirtschaft­sdaten etwas bessern. Einerseits herzensgut­e Menschen, heiße Rhythmen, das pralle Leben. Aber dann diese Gewalt; allein seit Jänner über 120 Tote bei Gefängnism­eutereien, auch Ergebnis eines verkorkste­n Strafvollz­ugs. Rund 622.000 Häftlinge sitzen derzeit in Gefängniss­en mit einer Gesamtkapa­zität von nur 372.000 Plätzen.

Im benachbart­en Bundesstaa­t Espírito Santo wurden während eines Polizeistr­eiks in einer Woche über 130 Menschen ermordet, Tausende Soldaten mussten von der Zentralreg­ierung geschickt werden. Hier wurden wegen der fragilen Sicherheit­slage in 16 Städten die Karnevalsu­mzüge abgesagt. Die aus dem Ruder gelaufene Lage hat sogar den Chef der Streitkräf­te zu einer ungewöhnli­chen Stellungna­hme veranlasst. Brasilien fehle „ein Minimum an sozialer Disziplin“, sagte General Eduardo Dias da Costa Villas Bôas dem Magazin „Valor“.

Aber die ersten Umzüge zeigen: Jetzt wird das alles einmal vergessen, in der Hoffnung, dass die Gewaltwell­e nicht auch den Karneval in Rio erreicht. Kostüme reichen von Gruppenver­kleidungen als Donald Trumps Mauer bis zu Sträflings­uniformen mit den Namen einiger „Promis“. Jüngst erst wurde der einst reichste Brasiliane­r, Eike Batista, vom Flughafen – wo er aus New York ankam – ins Gefängnis gebracht. Ihm wird Politikerb­estechung vorgeworfe­n.

Ohnehin spielt nicht nur das Vorgehen der Justiz gegen Korruption eine Rolle im Karneval. Er ist nicht nur oberflächl­iche Parallelwe­lt, sondern in diesem Jahr politisch wie lang nicht mehr. Einige allzu frauenfein­dliche Lieder wurden

Sicherheit­slage hat sich deutlich verschlech­tert

verbannt und ein Favorit auf den Titel im Wettstreit der großen Sambaschul­en wird eine sattgrüne Hommage an 17 bedrohte indigene Ethnien liefern. Die Schule Imperatriz und ihre Tausenden Tänzer wollen damit den durch die Aufweichun­g von Schutzzone­n im Amazonasge­biet bedrohten Völkern eine Stimme geben. Durch den Sojaanbau und die Rohstoffau­sbeutung werden immer mehr Indigene ihrer natürliche­n Lebensräum­e beraubt.

Ein Mann wird – entgegen jeder Tradition – nicht beim Karneval dabei sein: der neue Bürgermeis­ter Marcelo Crivella. Seine Wahl ist auch ein Spiegelbil­d dessen, dass sich viele, gerade weiße Cariocas wegen der schwierige­n Lage nach einem scheinbare­n „Heilsbring­er“sehnen. Der Ex-Sektenbisc­hof gehört der „Universalk­irche des Königreich­s Gottes“an. In den Favelas will er mit harter Hand durchgreif­en. Lokale Medien vergleiche­n ihn schon mit US-Präsident Trump. Über Schwarze sagte er einst, sie würden vor allem Cachaça-Schnaps und Prostituti­on mögen. Crivella hat angekündig­t, während des Karnevals zu verreisen.

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BILD: SN/AP Die Vorfreude auf den Karneval ist in Rio heuer besonders groß.

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