Ein Koch sieht rot
Rudi Obauer ist als begnadeter Koch bekannt. Mit seiner Streitschrift „Ich koche also bin ich“rührt er jetzt auch als Gesellschaftskritiker um.
WERFEN. Kochbücher hat Rudi Obauer mit seinem Bruder Karl schon viel geschrieben. Noch dazu sehr brauchbare, was bei Spitzenköchen eher selten der Fall ist.
Ansonsten blieb er eher ein stiller, dafür aber umso aufmerksamerer Beobachter. Seinem Ärger über die Verkommenheit der Lebensmittelindustrie machte er zumeist nur in persönlichen Gesprächen Luft. Ab heute, 23. Februar, rechnet er ab. Da erscheint sein neues Buch. Dieses ist sowohl Streitschrift als auch Plädoyer für den Hausverstand, im Stil ähnlich wie „Empört euch“von Stephan Hessel. Das Buch hat den Titel „Ich koche also bin ich“. Die Anspielung an Descartes ist gewollt. „Ich habe mich gefragt, wie kann man Freiheit wirklich definieren“, sagt er. Die Antwort: „Wenn ich so frei bin, dass ich mich selbst ernähren kann.“
Aufgezeichnet wurden die Gedanken Obauers vom Autor und Journalisten Klaus Kamolz. Schon im ersten Kapitel „Erkenne die Manipulation“appelliert Obauer an die Leser, sich nicht verblöden zu lassen. Er mokiert sich zu Recht darüber, dass Millionen Jahre altes Salz heute mit Ablaufdatum verkauft wird, nur damit noch mehr davon abgebaut und verkauft werden kann. Oder dass Mineralwasser mit dem Zusatz „gluten- und lactosefrei“verkauft wird. So als ob Wasser Getreidekleber und Milchzucker enthalten könnte. Diese „Gottheit Markt“, so Obauer, sei schon 1957 von Vance Packard in dem Buch „Die geheimen Verführer“beschrieben worden. Packard behauptete damals, der Markt und die Werbung würden ein „modernes Sklaventum“schaffen.
Besonders berührend ist das Kapitel „Wirf den Stress weg“. Darin erzählt Obauer von seinem Herzinfarkt. Dieser habe ihm die Augen geöffnet. Als er vom Krankenhaus heimkam, ging er sofort in die Küche. Aber nicht ins Restaurant, sondern in seine Wohnung. „Da habe ich minutenlang beim Rühren ganz bewusst in die Suppe geschaut. Ganz ohne Stress.“Auch seine Pokalsammlung musste dran glauben. „Die waren für mich der Inbegriff meines Ehrgeizes. Ich habe sie zum Recyclinghof gebracht.“
Ein Mehrwert des Buches ist, dass jedes Kapitel mit einem charmant erzählten Rezept beendet wird. Ohne Gramm-Angaben. „Damit sich der Leser beim Kochen entfalten kann“, sagt Obauer. Weiters wird jedes Kapitel mit einer Checkliste abgerundet, die das Gelesene vertiefen soll. Auch falsch verstandene Luxusküche wird von ihm gescholten: „Mir fallen Hunderte Produkte ein, die heute eher unter den Begriff Luxus fallen müssten als Garnelen und Wachteleier.“Etwa frisches Brot. Obauer erzählt von einer Sennerin, der die Hefe ausgegangen sei. „Da ist ihr ein alter Trog eingefallen, in dem sie vor Jahrzehnten Teig geknetet hat. Sie kratzte die fast versteinerten Reste vom Boden, setzte die Krümel mit Mehl und Wasser an – und siehe da: Es wurde quicklebendiger Sauerteig daraus.“Obauers Wissen erinnert ein wenig an diese Hefe. Dieses Buch macht sein Wissen quicklebendig. Bitte lesen. Sonst versteinert es.
„Ich bin nur frei, wenn ich mich selbst ernähren kann. Kann das wer?“Rudi Obauer, Koch
Ich koche also bin ich,