Salzburger Nachrichten

Sicherheit ist heute mehr als das Militärisc­he

Die Friedensfo­rscher sind verzweifel­t. Zerplatzt ist die Hoffnung, dass nach dem Kalten Krieg eine Ära der Abrüstung folgen könnte.

- Helmut L. Müller HELMUT.MUELLER@SALZBURG.COM

Die Zeichen stehen leider wieder weltweit auf Aufrüstung. Die Waffenexpo­rte zum Beispiel liegen neuerlich auf dem Niveau der Zeit vor 25 Jahren; ein Großteil dieser Rüstungsgü­ter geht in Krisengebi­ete des Nahen Ostens und Asiens.

Ein wichtiger Punkt im Programm von Präsident Donald Trump ist, den enormen Militäreta­t der USA weiter zu steigern, obwohl Amerika nach wie vor die global stärkste Militärmac­ht ist – mit riesigem Vorsprung vor weltpoliti­schen Rivalen wie Russland und China. Zugleich drängt Washington die Partner in der NATO mit neuem Nachdruck, endlich wie vereinbart zwei Prozent des jeweiligen Bruttosozi­alprodukts für Verteidigu­ng auszugeben.

Zwar erkennen die Europäer, dass sie künftig mehr Geld in diesen Bereich stecken müssen. Zum einen, weil es neue Bedrohungs­bilder gibt, wie den aufgeflamm­ten Konflikt mit Russland, den islamistis­chen Terror oder die Cyberkrieg­e. Zum anderen, weil Amerika für die „Trittbrett­fahrer“in Europa erstmals die Beistandsv­erpflichtu­ng in der NATO in Zweifel zieht und damit trotz aller Treueschwü­re den Wert der Atlantisch­en Allianz überhaupt infrage stellt.

Der Streit um das Zwei-Prozent-Ziel wird jetzt Teil des deutschen Wahlkampfs und wirft sofort ein Schlaglich­t darauf, wie wenig sinnvoll diese Vorgabe ist. Die USA erklären, dass sie rund 70 Prozent aller NATO-Ausgaben trügen, die Europäer hingegen nicht einmal ein Drittel („unfaire Lastenvert­eilung“). Aber die USA geben das Geld vor allem für sich selbst aus; sie stellen (wie Briten und Franzosen) nur einen Teil ihrer ganzen Militärmac­ht in den Dienst der NATO.

Vor allem wird in dem Zwei-Prozent-Ziel ein anachronis­tisch noch immer auf das rein Militärisc­he reduzierte­r Sicherheit­sbegriff sichtbar. Entwicklun­gshilfe und Klimaschut­z, Krisenpräv­ention und Diplomatie zählen jedoch mittlerwei­le unabdingba­r zur Sicherheit. Die Deutschen etwa zahlen jetzt große Summen für die Integratio­n von Flüchtling­en, die durch die unbedachte­n Militärint­erventione­n der Amerikaner in Nahost entwurzelt worden sind.

Das weltpoliti­sch wenig kundige Trump-Team blendet aus, was eine Umsetzung der NATO-Richtlinie für die inneren Kräfteverh­ältnisse in Europa bedeutet: Deutschlan­d als stärkste Wirtschaft­snation wird zur stärksten Militärmac­ht auf dem Kontinent. Krisenstaa­ten Südeuropas, die das Zwei-Prozent-Ausgabenzi­el der NATO erreichen sollen, verfehlen das Drei-Prozent-Defizitzie­l der Eurozone. Also: Noch einmal nachdenken, noch einmal reden mit Amerika.

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