Zeigt her eure Handys
Was filmen Jugendliche eigentlich mit ihren Smartphones? Zwei Alltagsforscher fragten nach und bekamen Unerwartetes zu sehen.
Nicht, dass sie etwas zu verbergen hätten. Aber auf die Frage, die sie von Ute Holfelder und Christian Ritter gestellt bekamen, reagierten manche Jugendliche erst einmal verwundert. Ob sie sehen dürften, was die Befragten mit ihren Handys filmten, wollten die beiden Wissenschafter wissen. Rund 100 Mal stellten sie diese Frage Jugendlichen zwischen 14 und 20. „Wieso, die sind doch gar nichts Besonderes?“, habe die Gegenfrage häufig gelautet. Genau deshalb interessierten sich Holfelder und Ritter allerdings dafür. „Als Alltagsforscher wollten wir die Handyfilme als soziales Phänomen bei Jugendlichen untersuchen“, sagt Ute Holfelder. Von 2012 bis 2014 arbeiteten sie an dem Schweizer Forschungsprojekt.
Auch um die Überprüfung eines Vorurteils sei es in der Fragestellung gegangen: „Das Thema ist in der Öffentlichkeit ja sehr negativ besetzt“, sagt Holfelder. Um Gewaltaufnahmen oder Pornoclips geht es meist, wenn die Schlagwörter Handyfilme und Jugend in Medienberichten auftauchen. Bei den 380 Filmen, die das Forscherteam zu sehen bekam, sei weder die eine noch die andere Kategorie ins Gewicht gefallen. „Jugendliche halten alle Bereiche ihres Alltags mit Handyfilmen fest: vom Konzertbesuch über das Fußballspiel im Stadion bis zum eigenen Sporttraining oder dem Üben von Musikstücken, wo Videos zur Selbstoptimierung eingesetzt werden.“Vor allem aber seien mit der Ausbreitung der Smartphones Handyfilme auch zu einem Phäno- men der Selbstermächtigung geworden: Bewegte Bilder festzuhalten, das sei lang das Monopol von Vätern gewesen, die über die Familienkamera wachten. Heute hat die Mittel dazu jeder Telefonbesitzer in der Hosentasche. „Das macht Handyfilme auch zu einem historisch neuen Phänomen.“
Um ein Vielfaches größer sind freilich die Handydisplays, auf denen im Wiener Volkskundemuseum derzeit Beispiele aus dem Forschungsprojekt laufen. Die Resultate ihrer Arbeit haben Holfelder und Ritter in einer Wanderausstellung dokumentiert, die aktuell in Wien und ab Mai in Klagenfurt zu sehen ist. Sieben Säulen, gestaltet wie Hände, die überdimensionierte Smartphones tragen, stehen für Blickwinkel auf das Thema. Holfelder erläutert: „Das reicht vom Handyfilm als Möglichkeit, sich im Freundeskreis zu präsentieren, über globale Phänomene wie YouTube-Clips bis zu Fragen des Urheberund Persönlichkeitsrechts oder der Verschiebung der Grenzen zwischen Privatheit und Öffentlichkeit.“Auch berüchtigte Phänomene wie das „Happy Slapping“(das Filmen und Veröffentlichen von Gewalt gegen andere) würden thematisiert. Ein Fehler sei es aber, das Smartphone pauschal als Ursache von Exzessen anzusehen. „Wann immer in der Geschichte ein neues Medium auftauchte, gab es auch die Debatte um dessen Gefährlichkeit.“Selbst als der Roman im 18. Jahrhundert seinen Aufstieg als literarisch anerkannte Form erlebt habe, „wurde viel diskutiert, ob er nicht schädliche Lesesucht verursachen würde“, sagt die Kulturanthropologin.
Die Filme, die Ute Holfelder und Christian Ritter analysiert haben, bringen indes keine besorgniserregenden Inhalte zutage. Sie zeigen vielmehr, wie schnell die Handykamera innerhalb kurzer Zeit den Spielraum Jugendlicher in ihrer Alltagswelt erweitert und neue Kommunikationswege eröffnet hat.
Wie rasant die technischen Trends einander dabei ablösten, zeigte sich schon während des Projekts. „Die ersten Filme mussten wir uns mühsam mit Bluetooth-Verbindungen von den Handys überspielen, mit dem Aufkommen von WhatsApp änderte sich das rasant.“
Eine Alltagshandlung wie das Handyfilmen muss keine Kunst sein: Dennoch habe sie die Ästhetik mancher Aufnahmen überrascht, sagt Ute Holfelder. Die Medienkonsumenten der TV-Ära sind heute Amateurproduzenten. „Man spricht auch von einer Ästhetisierung des Alltags. Viele Techniken aus dem Kunstbereich dringen in den Alltag vor. Auch bei Handyfilmen verschwimmt diese Grenze.“
„In Handyfilmen setzen sich Jugendliche mit ihrem Alltag auseinander.“Ute Holfelder, Kuratorin