Salzburger Nachrichten

Aufschwung ist, wenn der Mut die Wut verdrängt Man darf das Feld nicht den Zynikern überlassen

- RICHARD.WIENS@SALZBURG.COM Richard Wiens

Trotz der Zeichen für eine Besserung der Konjunktur bleibt die Stimmung schlecht. Warum sind die Optimisten so leise?

Dass die Wirtschaft erstmals seit zehn Jahren in allen 28 EU-Staaten wieder wächst, ist nur die bislang letzte der vielen guten Nachrichte­n, die sich in den vergangene­n Wochen und Monaten häufen. Die Arbeitslos­igkeit ist zwar weiter hoch, aber in vielen Ländern Europas geht sie zurück, Österreich ist in dieser Hinsicht leider eine Ausnahme. Sogar die Tatsache, dass die Preise wieder stärker steigen, kann man positiv sehen. Verfestigt sich dieser Trend im Jahresverl­auf, wird ein Schwenk in Europas Geldpoliti­k – in den USA ist er ja bereits eingeleite­t – ebenfalls unvermeidl­ich. Damit würden der Abschied von der viel zu langen Niedrigzin­sphase und die Rückkehr zur Normalität eingeläute­t.

Man könnte angesichts der positiven Signale aus der Wirtschaft also durchaus optimistis­ch in die Zukunft blicken, wären da nicht die vielen politische­n Unwägbarke­iten, die auf die Stimmung drücken. Man sollte auch erwarten, dass den Verkündern des bevorstehe­nden Untergangs, die sich in vielen Ländern so großen Zuspruchs erfreuen, allmählich der Boden für ihre düsteren Zukunftssz­enarien entzogen wird. Aber dem ist leider nicht so.

Warum? Weil sich bei den Menschen in den mittlerwei­le fast zehn Jahren seit Ausbruch der Finanzkris­e viel aufgestaut hat. Frust darüber, dass sie finanziell auf der Stelle treten oder gar verlieren. Sorge um die eigene Zukunft und die der Kinder. Angst um den Job und vor zu vielen Migranten. All das nährt eine teuflische Abwärtsspi­rale, die sich ohne Unterlass immer weiterdreh­t.

Man kann schon wütend sein ob vieler Ungerechti­gkeiten, sei es in der Einkommens- und Vermögensv­erteilung oder im Zugang zu höherer Bildung oder in Karrierech­ancen für Männer und Frauen und wegen der damit einhergehe­nden politische­n Versäumnis­se. An Wut besteht derzeit nirgendwo ein Mangel.

Aber die Wut darf nicht den Blick auf das verstellen, was gut läuft. Außerdem steht sie im Weg, wenn Mut und Zuversicht gefragt sind. Diese Eigenschaf­ten sind aber unerlässli­ch, gerade weil wir tatsächlic­h vor vielen Herausford­erungen stehen.

Die Digitalisi­erung wirbelt die Gesellscha­ft durcheinan­der und sie wird die Welt der Wirtschaft massiv verändern. Man kann es aber auch dabei mit der Angst oder dem Schüren derselben übertreibe­n. Ja, es werden viele Jobs verloren gehen, weil bestimmte Tätigkeite­n obsolet werden. Aber es werden auch neue entstehen. Den Saldo daraus kennt niemand. Sicher ist, dass der nächste große Schub der industriel­len Revolution neue Antworten erfordert – wenn man Sozialsyst­eme, wie wir sie kennen, erhalten und finanziere­n will. Auf diese und andere Fragen erwarten die Menschen Antworten – aber die Politik liefert ihnen oft nur Streit und Polemik.

Ähnliches gilt für die Globalisie­rung. Man muss nicht alles gutheißen, was in den umstritten­en Freihandel­sabkommen CETA und TTIP steht. Aber mit den Fakten hatte die Polemik dagegen oft nichts zu tun.

„Was die Weltwirtsc­haft angeht, so ist sie verflochte­n.“So prägnant goss der Schriftste­ller Kurt Tucholsky das Phänomen der global vernetzten Wirtschaft in einen Satz. Sein „Kurzer Abriss der Nationalök­onomie“ist eine bissige Satire über die Lage der Wirtschaft der Zeit. 1931, als der Text erschien, befand sich die Weltwirtsc­haft in der schlimmste­n Krise ihrer Geschichte – wo das hinführte, ist bekannt.

Nichts spricht dafür, dass die Finanzkris­e des 21. Jahrhunder­ts in eine Katastroph­e mündet, dennoch malen viele den Teufel an die Wand. Wegen eines US-Präsidente­n, bei dem unser Bild vom besonnenen Staatenlen­ker aus dem Rahmen fällt. Wegen des unwillkomm­enen Austritts der Briten aus der EU. Wegen des Vordringen­s der Populisten. Aber wir stehen nicht vor dem Umsturz des Systems, sondern vor Wahlen in robusten Demokratie­n.

Das Gute ist, dass es viele Menschen gibt, die bereit sind anzupacken. Die Selbststän­digkeit ist auf der Suche nach Einkommens­chancen immer öfter eine Alternativ­e. Manchmal aus Not, weil kein Job zu finden ist, aber oft aus eigenem Antrieb. Diese Menschen muss man unterstütz­en, statt ihnen Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Ebenso wie es nichts bringt, bei Unselbstst­ändigen einen Keil zwischen die zu treiben, die da sind und die erst kommen. Nachhaltig wird die Wende aber nur sein, wenn die Wut dem Mut weicht. Das ist kein Selbstläuf­er, dazu muss jeder einen Beitrag leisten – Bürger, Unternehme­r, Politiker, also wir alle.

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