Aufschwung ist, wenn der Mut die Wut verdrängt Man darf das Feld nicht den Zynikern überlassen
Trotz der Zeichen für eine Besserung der Konjunktur bleibt die Stimmung schlecht. Warum sind die Optimisten so leise?
Dass die Wirtschaft erstmals seit zehn Jahren in allen 28 EU-Staaten wieder wächst, ist nur die bislang letzte der vielen guten Nachrichten, die sich in den vergangenen Wochen und Monaten häufen. Die Arbeitslosigkeit ist zwar weiter hoch, aber in vielen Ländern Europas geht sie zurück, Österreich ist in dieser Hinsicht leider eine Ausnahme. Sogar die Tatsache, dass die Preise wieder stärker steigen, kann man positiv sehen. Verfestigt sich dieser Trend im Jahresverlauf, wird ein Schwenk in Europas Geldpolitik – in den USA ist er ja bereits eingeleitet – ebenfalls unvermeidlich. Damit würden der Abschied von der viel zu langen Niedrigzinsphase und die Rückkehr zur Normalität eingeläutet.
Man könnte angesichts der positiven Signale aus der Wirtschaft also durchaus optimistisch in die Zukunft blicken, wären da nicht die vielen politischen Unwägbarkeiten, die auf die Stimmung drücken. Man sollte auch erwarten, dass den Verkündern des bevorstehenden Untergangs, die sich in vielen Ländern so großen Zuspruchs erfreuen, allmählich der Boden für ihre düsteren Zukunftsszenarien entzogen wird. Aber dem ist leider nicht so.
Warum? Weil sich bei den Menschen in den mittlerweile fast zehn Jahren seit Ausbruch der Finanzkrise viel aufgestaut hat. Frust darüber, dass sie finanziell auf der Stelle treten oder gar verlieren. Sorge um die eigene Zukunft und die der Kinder. Angst um den Job und vor zu vielen Migranten. All das nährt eine teuflische Abwärtsspirale, die sich ohne Unterlass immer weiterdreht.
Man kann schon wütend sein ob vieler Ungerechtigkeiten, sei es in der Einkommens- und Vermögensverteilung oder im Zugang zu höherer Bildung oder in Karrierechancen für Männer und Frauen und wegen der damit einhergehenden politischen Versäumnisse. An Wut besteht derzeit nirgendwo ein Mangel.
Aber die Wut darf nicht den Blick auf das verstellen, was gut läuft. Außerdem steht sie im Weg, wenn Mut und Zuversicht gefragt sind. Diese Eigenschaften sind aber unerlässlich, gerade weil wir tatsächlich vor vielen Herausforderungen stehen.
Die Digitalisierung wirbelt die Gesellschaft durcheinander und sie wird die Welt der Wirtschaft massiv verändern. Man kann es aber auch dabei mit der Angst oder dem Schüren derselben übertreiben. Ja, es werden viele Jobs verloren gehen, weil bestimmte Tätigkeiten obsolet werden. Aber es werden auch neue entstehen. Den Saldo daraus kennt niemand. Sicher ist, dass der nächste große Schub der industriellen Revolution neue Antworten erfordert – wenn man Sozialsysteme, wie wir sie kennen, erhalten und finanzieren will. Auf diese und andere Fragen erwarten die Menschen Antworten – aber die Politik liefert ihnen oft nur Streit und Polemik.
Ähnliches gilt für die Globalisierung. Man muss nicht alles gutheißen, was in den umstrittenen Freihandelsabkommen CETA und TTIP steht. Aber mit den Fakten hatte die Polemik dagegen oft nichts zu tun.
„Was die Weltwirtschaft angeht, so ist sie verflochten.“So prägnant goss der Schriftsteller Kurt Tucholsky das Phänomen der global vernetzten Wirtschaft in einen Satz. Sein „Kurzer Abriss der Nationalökonomie“ist eine bissige Satire über die Lage der Wirtschaft der Zeit. 1931, als der Text erschien, befand sich die Weltwirtschaft in der schlimmsten Krise ihrer Geschichte – wo das hinführte, ist bekannt.
Nichts spricht dafür, dass die Finanzkrise des 21. Jahrhunderts in eine Katastrophe mündet, dennoch malen viele den Teufel an die Wand. Wegen eines US-Präsidenten, bei dem unser Bild vom besonnenen Staatenlenker aus dem Rahmen fällt. Wegen des unwillkommenen Austritts der Briten aus der EU. Wegen des Vordringens der Populisten. Aber wir stehen nicht vor dem Umsturz des Systems, sondern vor Wahlen in robusten Demokratien.
Das Gute ist, dass es viele Menschen gibt, die bereit sind anzupacken. Die Selbstständigkeit ist auf der Suche nach Einkommenschancen immer öfter eine Alternative. Manchmal aus Not, weil kein Job zu finden ist, aber oft aus eigenem Antrieb. Diese Menschen muss man unterstützen, statt ihnen Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Ebenso wie es nichts bringt, bei Unselbstständigen einen Keil zwischen die zu treiben, die da sind und die erst kommen. Nachhaltig wird die Wende aber nur sein, wenn die Wut dem Mut weicht. Das ist kein Selbstläufer, dazu muss jeder einen Beitrag leisten – Bürger, Unternehmer, Politiker, also wir alle.