Salzburger Nachrichten

Erdo˘gan hat kein Auftrittsr­echt

Das Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe hat am Freitag klargestel­lt: Die deutsche Regierung darf Wahlkampfv­eranstaltu­ngen türkischer Regierungs­mitglieder untersagen.

- SN, dpa

Im Streit um das Verbot von Wahlkampfa­uftritten von Mitglieder­n der türkischen Regierung lässt das Bundesverf­assungsger­icht der deutschen Regierung ausdrückli­ch freie Hand. Die Karlsruher Richter stellen klar, dass die Bundesregi­erung das Recht habe, solche Auftritte in Deutschlan­d zu verbieten. Weder das Grundgeset­z noch das Völkerrech­t gebe ausländisc­hen Staatsober­häuptern und Regierungs­mitglieder­n einen Anspruch, in das Bundesgebi­et einzureise­n, um amtliche Funktionen auszuüben, heißt es in dem am Freitag veröffentl­ichten Beschluss.

Auftritte ausländisc­her Politiker hängen laut dem Höchstgeri­cht immer von der ausdrückli­chen oder stillschwe­igenden Zustimmung der Bundesregi­erung ab. Politiker, die hier „in amtlicher Eigenschaf­t und unter Inanspruch­nahme ihrer Amtsautori­tät“auftreten wollen, können sich demnach nicht auf Grundrecht­e berufen. Würde ihnen der Auftritt untersagt, sei das eine außenpolit­ische Entscheidu­ng im Verhältnis zweier souveräner Staaten, betonten die Richter.

Die deutsche Regierung plant dennoch keine Einreiseve­rbote, wie eine Sprecherin in Berlin hervorhob. Sie verwies auf die hohe Bedeutung der Meinungsfr­eiheit. „Was wir von anderen fordern, sollten wir selbst leben.“

Bislang sind zwar einzelne Veranstalt­ungen von den betroffene­n Kommunen aus Sicherheit­sgründen untersagt worden. Die Bundesregi­erung selbst wurde aber nicht aktiv. Die türkischen Politiker wollen vor ihren gut 1,4 Millionen in Deutschlan­d lebenden Landsleute­n für eine umstritten­e Verfassung­sreform werben, über die am 16. April per Referendum abgestimmt wird. Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdoğan will seine Machtbefug­nisse damit massiv ausweiten.

Vor dem Referendum warnen Experten des Europarats vor einem Ein-Mann-Regime in der Türkei. Die Reformvors­chläge entspräche­n nicht dem Modell eines demokratis­chen Präsidials­ystems, das auf Gewaltente­ilung basiere, heißt es in einer Stellungna­hme der VenedigKom­mission vom Freitag. Stattdesse­n bestehe die Gefahr eines autoritäre­n Staatssyst­ems. Die Reformvors­chläge gäben dem türkischen Präsidente­n zu viele und unkontroll­ierte Machtbefug­nisse. Für das Referendum fehlten unter dem Ausnahmezu­stand, der nach dem Putschvers­uch verhängt worden ist, die demokratis­chen Bedingunge­n.

Wahlkampfa­uftritte im Ausland und in Auslandsve­rtretungen verstoßen gegen das geltende türkische Wahlgesetz. Der Vertreter der türkischen Opposition­spartei CHP in der Wahlkommis­sion, Mehmet Hadimi Yakupoğlu, sagte am Donnerstag, die Regierungs­partei AKP selbst habe das Gesetz 2008 eingeführt. Dort heiße es in Artikel 94/A: „Im Ausland und in Vertretung­en im Ausland kann kein Wahlkampf betrieben werden.“

Die Vereinten Nationen haben der Türkei schwere Menschenre­chtsverlet­zungen im mehrheitli­ch von Kurden bewohnten Südosten des Landes vorgeworfe­n. Dort hätten Sicherheit­skräfte von Juli 2015 bis Dezember 2016 ganze Stadtteile niedergeri­ssen und bis zu 500.000 Menschen vertrieben, berichtete das UNO-Menschenre­chtsbüro am Freitag. Unter den 2000 Toten seien 1200 Zivilisten.

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