Nachrichten vom Verschwinden der Buben sind übertrieben
Stets verteidigt diese Kolumne bedingungslos das „Bub-Sein“gegen die Reglementierungswut. Heute: Helden in Plainfeld.
Als alles wieder gut war, weil sie wieder da waren, überkam mich Sorge bei diesem Satz: „Was heute passiert ist, werden wir bei einem Gespräch am Abend klären.“Dieser Satz hallt noch aus meiner eigenen Bubenzeit nach. Jetzt lese ich, dass ihn die Mutter eines Sechsjährigen sagt, der in Plainfeld mit seinem Freund die Kindergartengruppe beim Waldausflug verloren hat. Ein bisserl schlendern, den Wegerand nach Getier absuchen, ein bisserl in die Luft schauen – schwupp ist die Gruppe weg. Denn aus Bubensicht ist der Blickwinkel klar: Weg sind die anderen. Wir sind da. Und so sagte der Sechsjährige auch: „Wir haben die anderen gesucht.“„Verschwunden“seien die Buben, hieß es übertrieben aufgeregt. Aber eh nur kurz. Schnell waren sie wieder da. Jedenfalls so schnell, dass die Push-Nachricht auf meinem Handy mir sagte, dass die verschwundenen Buben gefunden seien. Dabei wusste ich da noch gar nicht, dass sie weg waren. Das Besondere ist auch nicht das Verschwinden. Das Besondere ist die Gelassenheit. Bei den Buben sowieso. Und bei den anderen auch. Sonst wird ja sofort nach der Schuld gesucht. Wenn keine Schuldigen festgenagelt und keine Konsequenzen gezogen werden können, widerspricht das der aktuell schicken Lust zur Reglementierung, zur Bestrafung des eigentlich Unbestrafbaren. Denn unter uns: Fünf Kindergärtnerinnen! Eine begleitende Mutter! Für 40 Kinder beim Waldspaziergang. Das ist im Prinzip eh schon eine übertriebene Fürsorge, die dem angesagten, aber so lächerlichen wie aussichtslosen Sicherheitsdenken entspringt. Es passieren Dinge, die halt passieren. Buben gehen verloren, weil sie Buben sind. Buben tauchen wieder auf. Dazwischen ist das nicht lustig für Kindergärtnerinnen, Lehrer und erst recht nicht für Eltern. Ich weiß das. Ich bin auch Eltern. Bei Ausflügen, die ich begleitete, war immer irgendeiner schnell weg, und wäre der ein paar Schritte weiter hinter irgendeinen Felsen gegangen, wäre er womöglich auch „verschwunden“gewesen. Dann wäre der Hubschrauber gekommen und der Bub hätte sich gedacht: „Super! Da würde ich gern mitfliegen.“Womit wir am Ende der Suchaktion in Plainfeld sind. „Die Buben wollten unbedingt mit dem Hubschrauber mitfliegen“, sagt der Pilot, der sie erspäht hatte. Das ging nicht. Da gibt es Vorschriften und Erwachsene, denen leider beim besten Willen nichts bleibt, als die Vorschriften zu exekutieren. Kein Spielraum! Heimfahrt im Streifenwagen ist aber nur ein halber Spaß. Sonst ist alles gut gegangen. Na ja, eines noch: Berichtet wurde, die Buben hätten Schneeglöckchen gepflückt. Eindeutig beweisen Bilder aber: Es waren Frühlingsknotenblumen. Beide Arten sind giftig. Hoffentlich waren diese unterschätzten Gefahren heimischer Botanik das Thema des Gesprächs am Abend. Denn das lässt sich gut erklären und man profitiert fürs Leben. Der Rest bleibt Abenteuer; eines, von dem sich lässig erzählen lässt und das in der Schule bewunderndes Staunen beim ersten Erlebnisaufsatz bringt. Ich erinnere mich genau!