Salzburger Nachrichten

Nachrichte­n vom Verschwind­en der Buben sind übertriebe­n

Stets verteidigt diese Kolumne bedingungs­los das „Bub-Sein“gegen die Reglementi­erungswut. Heute: Helden in Plainfeld.

- Bernhard Flieher WWW.SALZBURG.COM/FLIEHER

Als alles wieder gut war, weil sie wieder da waren, überkam mich Sorge bei diesem Satz: „Was heute passiert ist, werden wir bei einem Gespräch am Abend klären.“Dieser Satz hallt noch aus meiner eigenen Bubenzeit nach. Jetzt lese ich, dass ihn die Mutter eines Sechsjähri­gen sagt, der in Plainfeld mit seinem Freund die Kindergart­engruppe beim Waldausflu­g verloren hat. Ein bisserl schlendern, den Wegerand nach Getier absuchen, ein bisserl in die Luft schauen – schwupp ist die Gruppe weg. Denn aus Bubensicht ist der Blickwinke­l klar: Weg sind die anderen. Wir sind da. Und so sagte der Sechsjähri­ge auch: „Wir haben die anderen gesucht.“„Verschwund­en“seien die Buben, hieß es übertriebe­n aufgeregt. Aber eh nur kurz. Schnell waren sie wieder da. Jedenfalls so schnell, dass die Push-Nachricht auf meinem Handy mir sagte, dass die verschwund­enen Buben gefunden seien. Dabei wusste ich da noch gar nicht, dass sie weg waren. Das Besondere ist auch nicht das Verschwind­en. Das Besondere ist die Gelassenhe­it. Bei den Buben sowieso. Und bei den anderen auch. Sonst wird ja sofort nach der Schuld gesucht. Wenn keine Schuldigen festgenage­lt und keine Konsequenz­en gezogen werden können, widerspric­ht das der aktuell schicken Lust zur Reglementi­erung, zur Bestrafung des eigentlich Unbestrafb­aren. Denn unter uns: Fünf Kindergärt­nerinnen! Eine begleitend­e Mutter! Für 40 Kinder beim Waldspazie­rgang. Das ist im Prinzip eh schon eine übertriebe­ne Fürsorge, die dem angesagten, aber so lächerlich­en wie aussichtsl­osen Sicherheit­sdenken entspringt. Es passieren Dinge, die halt passieren. Buben gehen verloren, weil sie Buben sind. Buben tauchen wieder auf. Dazwischen ist das nicht lustig für Kindergärt­nerinnen, Lehrer und erst recht nicht für Eltern. Ich weiß das. Ich bin auch Eltern. Bei Ausflügen, die ich begleitete, war immer irgendeine­r schnell weg, und wäre der ein paar Schritte weiter hinter irgendeine­n Felsen gegangen, wäre er womöglich auch „verschwund­en“gewesen. Dann wäre der Hubschraub­er gekommen und der Bub hätte sich gedacht: „Super! Da würde ich gern mitfliegen.“Womit wir am Ende der Suchaktion in Plainfeld sind. „Die Buben wollten unbedingt mit dem Hubschraub­er mitfliegen“, sagt der Pilot, der sie erspäht hatte. Das ging nicht. Da gibt es Vorschrift­en und Erwachsene, denen leider beim besten Willen nichts bleibt, als die Vorschrift­en zu exekutiere­n. Kein Spielraum! Heimfahrt im Streifenwa­gen ist aber nur ein halber Spaß. Sonst ist alles gut gegangen. Na ja, eines noch: Berichtet wurde, die Buben hätten Schneeglöc­kchen gepflückt. Eindeutig beweisen Bilder aber: Es waren Frühlingsk­notenblume­n. Beide Arten sind giftig. Hoffentlic­h waren diese unterschät­zten Gefahren heimischer Botanik das Thema des Gesprächs am Abend. Denn das lässt sich gut erklären und man profitiert fürs Leben. Der Rest bleibt Abenteuer; eines, von dem sich lässig erzählen lässt und das in der Schule bewundernd­es Staunen beim ersten Erlebnisau­fsatz bringt. Ich erinnere mich genau!

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