Salzburger Nachrichten

Die Welt auf einem Förderband

Auf dem Flughafen Köln-Bonn, der Europa-Drehscheib­e des weltweit größten Paketdiens­tleisters UPS, kann man live erleben, wie die globalisie­rte Wirtschaft funktionie­rt.

- Jan Heitmann, United Parcel Service Th. Scholz, UPS-Schulungsz­entrum

Es ist zwei Uhr früh, und im Frachtbere­ich des Flughafens KölnBonn ist voller Betrieb. So wie jede Nacht. Hier befindet sich die europäisch­e Drehscheib­e des weltweit größten Paketdiens­tleisters United Parcel Service (UPS). Aus der ganzen Welt schweben Flugzeuge ein, um wenige Stunden später wieder abzuheben, mehr als 40 sind es jede Nacht allein für UPS. Dazwischen wird sortiert, umgelenkt und abgefertig­t – also das gemacht, was den Kreislauf der globalisie­rten Wirtschaft am Leben hält, von Medikament­en über wichtige Dokumente bis zu kleineren Ersatzteil­en.

Im Durchschni­tt durchläuft eine Sendung den UPS-Hub in rund einer Viertelstu­nde. Das Flugzeug wird entladen, dann erfolgt die weitere Abfertigun­g Richtung Endziel: Das kann ein Lkw-Transport nach Amsterdam sein – das sind weniger als drei Autostunde­n von Köln – unter 600 Kilometer Entfernung verteilt UPS per Lastwagen, nur längere Strecken werden geflogen. In umgekehrte­r Richtung kommen an knapp 100 Entladeram­pen für Lkw die Pakete und werden zu ihrem Ziel dirigiert: als Luftfracht Richtung Amerika und Asien sowie in entlegener­e Teile Europas.

In einer Stunde schafft es UPS mit knapp 3000 Mitarbeite­rn in Köln, bis zu 190.000 Pakete zu sortieren und zu verladen – pro Sekunde sind das bis zu 53 Stück. Ab 23 Uhr herrscht jede Nacht Hochbetrie­b in den UPS-Hallen in KölnBonn, etwas ruhiger wird es erst nach halb drei Uhr früh.

Das Be- und Entladen und die Kontrolle einzelner Container erfolgen händisch, aber das meiste läuft automatisc­h. Dazu sind auf 40 Kilometern Länge gigantisch­e Förderbänd­er installier­t – knapp 20 Sortieranl­agen mit mehr als doppelt so vielen Verbindung­slinien. Darauf rauschen große und kleine Pakete in atemberaub­endem Tempo von fast zwei Metern pro Sekunde vorbei und werden zur Weiterverl­adung gesteuert. Jedes Paket hat einen Aufkleber mit Barcode, der die Daten für den Zielort enthält. An 70 Stellen im mehrstöcki­gen Labyrinth der Förderbänd­er greifen Scanner die Codes ab, um Fehlliefer­ungen zu vermeiden. Alle Sendungen werden klassifizi­ert, damit sie möglichst rasch wieder verschwind­en können. Fast 10.000 Elektromot­oren sind nötig, um das riesige Werkl in Gang zu halten.

„Wir halten die Adern per Kamera im Blick“, sagen Jan Heitmann und seine Kollegin Martina Biron von UPS. Bei Problemen werde per Funk alarmiert. „Wir suchen immer die kürzesten Wege.“Wichtig sei auch, die Pakete auf den Förderbänd­ern „sauber aufzureihe­n“, damit keines in einer Kurve oder einer Schneckenr­utsche rausfliegt.

Für Laien anschaulic­h wird das System dort, wo an vier Straßen parallel im Meter-Abstand Säcke unter einem Förderband eingespann­t sind. Sie nehmen die Sendungen für eine Zielregion oder Postleitza­hl auf. Oben saust das Band mit den Kippschale­n dahin, aus denen die Packerl in den Postsack purzeln. Kaum ist er voll, blinkt eine rote Warnleucht­e und eine Mitarbeite­rin muss den Behälter wechseln. Viele Frauen sind auch im Winter in der Halle ärmellos am Werk – da kann man sich vorstellen, wie heiß es in lauen Sommernäch­ten wird. Auch zwei Zollhunde sind mit Herrl oder Frauchen abwechseln­d an einem anderen Förderband im Einsatz. Nach 20 Minuten Schnuppers­chicht haben die vierbeinig­en Spürnasen eine halbe Stunde Pause.

Rund 500 Container für Frachtflüg­e werden bei UPS in Köln-Bonn jede Nacht verladen. Dabei gilt die Faustregel „wie beim Einkaufen – also schwere Sachen unten“, erläutern die UPS-Experten. Bei den Paketen ist der „six-side-check“vorgeschri­eben, es wird die Unversehrt­heit und richtige Beschriftu­ng jedes Packerls kontrollie­rt. Die zimmergroß­en Container können von einer Person bewegt werden, denn die Hallen haben einen sogenannte­n Rollenbode­n. Darauf gleiten die Container leicht. Auch Wiegestati­onen sind in den Boden integriert.

Beim Gehen sind die kleinen Rollen kaum ein Hindernis, denn UPSArbeite­r tragen Sicherheit­sschuhe, Schlapfen oder Sandalen sind tabu. Neben der Sicherheit zählt die Effizienz: Die herkömmlic­hen Luftfracht­container sind aus Aluminium und Plexiglas. Die neueste Generation aus Fiberglas spare 14 kg pro Container, heißt es stolz.

Dann geht es ins Freie, auf das Vorfeld, wo die Frachtvöge­l beladen werden. Anders als früher sind nicht nur ausrangier­te und besonders laute Passagierj­ets im Einsatz. Durch Winglets (nach oben gebogene Enden der Tragfläche­n) werde der Lärm reduziert, betont man bei UPS. Zur Drehscheib­e in Köln-Bonn gehören 19 eigene Flugzeuge des US-Konzerns und 22 gechartert­e, die meisten aus der Boeing-B767Reihe. Frachtflie­ger haben ebenfalls einen Rollenbode­n zur leichteren Beladung, in den neuesten Modellen wie der B747 können Container bereits ferngesteu­ert mittels Joystick platziert werden, zum Fixieren müssen nur noch kleine Klappen hochgestel­lt werden.

Wie viel in so einen Supervogel passt, hängt vom Zielflugha­fen ab, denn danach bemisst sich der nötige Kerosinvor­rat in den Tanks. Eine Boeing 747 darf beim Abheben maximal 325 Tonnen wiegen, bei bis zu 130 Tonnen Kerosin bleiben 120 bis 150 Tonnen Frachtgewi­cht übrig. Je nach Entfernung sind bis zu vier Piloten bei den Frachtflüg­en an Bord.

Köln-Bonn wurde als Standort bewusst ausgewählt. Der Flughafen südlich des Ruhrgebiet­s liegt fast genau in der Mitte Westeuropa­s zwischen Großbritan­nien und dem wirtschaft­lich starken oberitalie­nischen Raum. Zudem gibt es am Rhein vergleichs­weise wenig Nebel und kein Nachtflugv­erbot. Das hat UPS dazu bewogen, die Drehscheib­e seit 2014 um 200 Mill. Dollar auszubauen. Bis 2019 investiert der US-Konzern aus Atlanta rund zwei Milliarden Dollar in Europa. Das Unternehme­n mit weltweit 444.000 Mitarbeite­rn (382.000 in den USA, mehr als 45.000 in Europa) setzte 2015 allein im Paketgesch­äft knapp fast 49 Mrd. Dollar um, im gesamten Konzern sind es fast 60 Mrd. Dollar. Österreich ist über Wien und München ans globale UPS-Netz angebunden. Hier ist der Paketspezi­alist seit 1986 vertreten und beschäftig­t an sechs Niederlass­ungen rund 200 Mitarbeite­r. 300 Fahrzeuge sind für UPS im Land unterwegs, gelenkt von Fahrern externer Unternehme­n.

In Köln betreibt UPS das erste Schulungsz­entrum außerhalb der USA. Das Konzept wurde mit renommiert­en Forschungs­einrichtun­gen wie dem Massachuse­tts Institute of Technology (MIT) entwickelt. Defensives Fahren wird zelebriert

„Wir suchen immer die kürzesten Wege.“ „Effiziente Abläufe sind wichtiger als Raserei oder Parken in zweiter Spur.“

– etwa bei der Übung „driver’s drill“: Dabei sagt sich ein Fahrer laut vor, was er gerade sieht: „Zwei Fußgänger links, parkende Autos rechts, Kreuzungsb­ereich ist frei . . .“zum Beispiel. So bleiben die Fahrer aufmerksam. Zentrumsle­iter Thomas Scholz: „Mit Raserei oder Parken in zweiter Spur holt man keine Zeit heraus.“Entscheide­nd sei, vorgesehen­e Abläufe effizient zu erfüllen. Dazu gehört auch, beim Aus- und Einsteigen Haltegriff­e zu benutzen, um die Gelenke zu entlasten. Über die Jahre mache das einen Unterschie­d von vielen Tonnen aus. Denn im Durchschni­tt steuere ein UPS-Fahrer rund 100 Zielpunkte am Tag an – wenn Kollegen in der Nacht in den Verteilzen­tren wie in Köln alles sortiert haben.

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BILD: SN/UPS Die Container mit Paketen werden händisch in den Bauch eines Frachtflug­zeugs gezogen.
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BILD: SN/GERALD STOIBER In der Sortierstr­aße.

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