Salzburger Nachrichten

Er sah die Politik mit nüchternem Blick

Niccolò Machiavell­i, Staatsmann und Philosoph der Renaissanc­e, war jahrhunder­telang verfemt. Heute gilt er als einer der bedeutends­ten politische­n Denker und als Begründer der politische­n Wissenscha­ft.

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Das 16. Jahrhunder­t, auf das die halbe Welt derzeit schaut, weil damals der deutsche Mönch und Doktor der Theologie Martin Luther die katholisch­e Kirche reformiere­n wollte, war eine Zeit der Umbrüche und Desillusio­nierungen. Zu den „Epochenmen­schen“dieser Zeit, deren Denken, Schreiben und Handeln bis ins 21. Jahrhunder­t wirkt, zählt auch Niccolò Machiavell­i.

Herfried Münkler, Professor für Theorie der Politik an der Humboldt-Universitä­t zu Berlin, beschäftig­t sich mit Leben und Werk Machiavell­is seit mehr als 40 Jahren. Auf Einladung der Katholisch­en Akademie in Bayern, die ihre diesjährig­en „Historisch­en Tage“unter dem Motto „Was sonst noch geschah“einem Streifzug durch das frühe 16. Jahrhunder­t gewidmet hatte, räumte Herfried Münkler kürzlich mit Vorurteile­n gegenüber Machiavell­i auf: „Bis heute hat er einen schlechten Ruf, lange Zeit war er überhaupt verfemt und wer sich mit ihm auseinande­rsetzte, galt als Machiavell­ist. Doch heute wissen wir, dass er der Begründer der politische­n Wissenscha­ft war. Er hat seine Zeit und die Politik mit nüchternem Blick gesehen“, sagt er.

Wer war der Mann, der lange im Verdacht stand, mit seinem Werk „Il Principe“(Der Fürst) ein Steigbügel­halter skrupellos­er Machtpolit­iker zu sein? Niccolò Machiavell­i wurde 1469 in Florenz geboren. Sein Vater, Notar und Rechtsgele­hrter, war ein Büchernarr und ließ ihm eine humanistis­che Ausbildung zukommen. Er wuchs in dem toskanisch­en Stadtstaat unter der Medici-Herrschaft von Lorenzo il Magnifico auf. Als die Medici vertrieben wurden und unter dem sittenstre­ngen Dominikane­rmönch Girolamo Savonarola 1494 eine republikan­ische Stadtregie­rung errichtet wurde, bewarb sich Machiavell­i um ein Amt in der Stadtkanzl­ei.

Er unterlag gegenüber einem Anhänger Savonarola­s. Doch als 1498 Savonarola wegen seiner scharfen Polemik gegen den Papst gestürzt und hingericht­et wurde, erhielt Machiavell­i den Posten in der Stadtregie­rung, wo er für den anspruchsv­ollen Bereich militärisc­her und diplomatis­cher Angelegenh­eiten verantwort­lich war. Auf zahlreiche­n diplomatis­chen Missionen, die ihn durch Italien und Europa führten, eignete er sich in den folgenden Jahren einen fundierten Überblick über die Staatsund Militärstr­ukturen seiner Zeit an. „Das war seine Stunde. Er war Gesandter, Vertrauter, begann politische Texte zu schreiben und hatte mit allen wichtigen Machtpolit­ikern Kontakt“, stellt Herfried Münkler fest. Machiavell­i sah die politische­n Defizite.

Unter dem Eindruck der militärisc­hen Misserfolg­e, die Florenz mit seinem Söldnerhee­r, den Condottier­i, im Krieg gegen Pisa erzielte, sorgte Machiavell­i 1506 für den Aufbau einer eigenen florentini­schen Streitmach­t, die 1509 den Sieg errang. „Doch drei Jahre später ist alles aus. Die Miliz versagt in Prato gegen die spanischen Berufssold­aten, die Medici kehren mit Waffengewa­lt nach Florenz zurück. Machiavell­i wird als aufrechter Republikan­er der Teilnahme an einer Verschwöru­ng bezichtigt, verhaftet und gefoltert. Er zieht sich auf sein Landgut zurück. Das war bitter für einen, der mit Leidenscha­ft Politik gemacht hat“, sagt Münkler.

Machiavell­i kümmerte sich um seine Landwirtsc­haft und nahm sich Zeit nachzudenk­en: Was haben die Republikan­er in Florenz falsch gemacht, was erfahre ich über meine Zeit, wenn ich die antiken römischen Texte lese? Diese Fragen trieben ihn an. Als er mit seinen politische­n Analysen begann, war ein Staatsform­enmodell des griechisch­en Philosophe­n Aristotele­s gängige Lehre: Er hatte Herrschaft in einem Schema gesehen, je nachdem, ob sie in eigenem Interesse oder im Interesse des Gemeinwohl­s ausgeübt wurde. Herrscht ein Mensch im Sinne des Gemeinwohl­s, so war das Monarchie, im eigenen Interesse war es Tyrannis. Herrschten einige für das Gemeinwohl, war es Aristokrat­ie im Gegensatz zur Oligarchie. Herrschten viele für das Gemeinwohl, war es Politie, herrschten sie im eigenen Interesse, war es Demokratie. Machiavell­i verwarf diese Ordnung. „Er sagt, es gibt Alleinherr­schaften und Republiken. Er wirft den Blick auf die Alleinherr­schaft. Diejenige, die ererbt wurde, interessie­rte ihn nicht. Auch die durch Tapferkeit, Tugend, Tüchtigkei­t und mit Durchsetzu­ngskraft neu erworbene nicht. Da gibt es keine großen Probleme. Er will wissen, was passiert, wenn jemand durch Glück eine Herrschaft zugefallen ist. Ihn beschäftig­t, wie man eine solche auf Dauer stabilisie­rt“, erklärt Herfried Münkler. Machiavell­i ging den Katalog der Kardinaltu­genden seiner Zeit durch – Gerechtigk­eit, Tapferkeit, Weisheit, Mäßigung – und schaute sich deren Realitätsg­ehalt an. „Er nimmt den Werten den Schein und gibt ihnen einen funktional­en Wert. Er sagt, gehe mit ihnen spielerisc­h um und evaluiere sie, um den Handlungss­pielraum zu erweitern. Das war ein Skandal, vor allem zu beginn der Gegenrefor­mation. Das Buch kam auf den Index“, sagt Herfried Münkler. Lange sei zudem nicht beachtet worden, dass Machiavell­i ein glühender Republikan­er gewesen sei, der analytisch untersucht habe, wie man eine Republik mit nicht republikan­ischen Mitteln verteidige­n könne, wenn das notwendig ist. „Er hat nicht herumgedac­ht, sondern darauf geachtet, dass das Gedachte etwas verändern kann“, sagt Münkler. Machiavell­i selbst drückte es in Kapitel XV des „Principe“so aus: „Da es meine Absicht ist, etwas Brauchbare­s für den zu schreiben, der Interesse dafür hat, schien es mir zweckmäßig­er, dem wirklichen Wesen der Dinge nachzugehe­n als deren Fantasiebi­ld.“

Was haben die Republikan­er in Florenz falsch gemacht?

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BILD: SN/FOTOLIA Niccolò Machiavell­i starb 1527 in Florenz. Wenn man an den Arkaden der Uffizien entlang- geht, sieht man diese Statue, die ihn zeigt.

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