Die List der Lügner
Die Wahrheit ist das erste Opfer des Kriegs. Fake News, Desinformation und schwarze Propaganda gab es schon in grauer Vorzeit. Belogen wurde keineswegs nur der Feind, sondern die ganze Welt.
Propaganda beginnt vor dem ersten Schuss. Zur Rechtfertigung des Kriegs greift man gern auf traditionelle Motive des „gerechten Kriegs“wie die Selbstverteidigung zurück, die auch vom modernen Völkerrecht als legitimer Kriegsgrund anerkannt wird. Obwohl Kriege auch heute noch vorwiegend aus ökonomischen Interessen und mit dem Ziel geopolitischer Vorherrschaft geführt werden, schrecken die Verantwortlichen weder vor Lügen noch aufwendigen Inszenierungen zurück, um Notwehr deklarieren zu können. Am 31. August 1939 täuschten als polnische Freischärler verkleidete SS-Leute einen Überfall auf den deutschen Sender Gleiwitz vor, sodass Adolf Hitler am 1. September verkünden konnte: „Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen!“
Auch Angriffskriege können mit dem Argument, man würde dem Gegner nur zuvorkommen, als Präventivkriege vermarktet werden. Dabei wird schon im Vorfeld ein überzeugendes Bedrohungsszenario aufgebaut, das den Präventivschlag zur Abwendung eines größeren Übels notwendig erscheinen lässt. Als bewährte Zutaten erwiesen sich in den letzten Jahren Massenvernichtungswaffen und ein Diktator, der als verrückt genug dargestellt wird, auf den roten Knopf zu drücken.
Allerdings finden sich Politiker auch auf der Seite der Belogenen wieder. Dass die Welt nicht tatenlos zusehen darf, wenn anderenorts Verbrechen gegen die Menschheit begangen werden, steht außer Frage. Berichte über Gräueltaten emotionalisieren, vor allem, wenn es Kinder betrifft. Dass in jedem Krieg gerade auch die Jüngsten grausamen Verbrechen zum Opfer fallen, ist unbestritten. Für Propagandisten zählen jedoch nicht objektive Wahrheiten, sondern Geschichten, die ins Herz treffen. Ende August 1990 begann mit der Eroberung Kuwaits durch den Irak der Erste Irakkrieg. Die junge kuwaitische Krankenschwester Nayirah trat öffentlich auf und erzählte unter Tränen, wie irakische Soldaten nach der Besetzung Kuwaits im Krankenhaus Säuglinge aus den Brutkästen gerissen hätten; die Babys starben. Die Geschichte wurde von zahlreichen Medien aufgegriffen, US-Präsident George Bush senior zitierte sie acht Mal und selbst Amnesty International schenkte den Berichten Glauben. Der USSenat stimmte am 12. Jänner 1991 mit einer Mehrheit von fünf Stimmen für den Kriegseinsatz der US-Streitkräfte; sechs Senatoren bezogen sich dabei explizit auf die Brutkasten-Geschichte. Wenige Tage später begann die Befreiung Kuwaits durch eine von den USA angeführte Koalition.
Der Haken an der Geschichte? Sie war erlogen. Verantwortlich für die Story war (im Auftrag der kuwaitischen Exilregierung) die PR-Agentur Hill & Knowlton; ein Beispiel für gelungene Manipulation.
Zu den Klassikern der Kriegspropaganda gehört die Irreführung des Gegners hinsichtlich militärischer Absichten. Der Feind soll zur Aufspaltung seiner Kräfte verleitet, in einen Hinterhalt gelockt oder in trügerischer Sicherheit gewiegt werden. Das wohl berühmteste Beispiel einer erfolgreichen Kriegslist findet sich in der griechischen Mythologie. Nachdem die Griechen jahrelang vergebens versucht hatten, Troja zu erobern, probierten sie es mit einer List. Sie bauten ein hölzernes Pferd, versteckten ihre besten Kämpfer darin und täuschten ihren Abzug vor. Die Trojaner fielen auf die Lüge, das Pferd wäre ein Geschenk, herein und zogen es in ihre Stadt. Troja wurde zerstört.
Die Desinformation des Gegners kann aber nur funktionieren, wenn Botschaft und Kanäle glaubwürdig erscheinen und er keine Möglichkeit hat, aus anderen Quellen wie Zeitungen oder über Spione die Wahrheit zu erfahren. Mit dem Argument, militärisch wichtige Informationen geheim halten zu müssen, unterwerfen Regierungen kriegsführender Staaten ihre Medien scharfen Zensurbestimmungen; zudem wird das Schweigen zur patriotischen Pflicht erklärt: Feind hört mit! Dass mit einer restriktiven Pressepolitik zugleich dem eigenen Volk wesentliche Informationen vorenthalten werden, ist aus Sicht der Propagandisten kein Nachteil.
Während im Krieg die Stimmung auf der eigenen Seite hochgejubelt wird, soll der Gegner mit psychologischer Kriegsführung demoralisiert werden. Da der Feind aber weiß, dass man ihn mit Falschinformationen zermürben möchte, ist „schwarze“Propaganda angesagt. Im Unterschied zur „weißen“Propaganda wird die Quelle einer Botschaft bewusst verschleiert. Beispielsweise wurden im Zweiten Weltkrieg von den Nazis wie den Alliierten Geheimsender eingesetzt, die sich jeweils als Organ der Gegenseite ausgaben. Die nationalsozialistische Propaganda unter der Führung von Propagandaminister Joseph Goebbels versuchte, in England und Frankreich innenpolitische Gegensätze – so sollten die britischen Arbeiter gegen ihre Eliten („Plutokratie“) aufgebracht werden – zu verschärfen und die gegnerische Bevölkerung mit Gerüchten zu entmutigen. Im Protokoll der „Ministerkonferenz“im Propagandaministerium vom 17. Mai 1940 hieß es: „Dem Geheimsender fällt ab sofort die Aufgabe zu, mit allen Mitteln Panikstimmung in Frankreich zu schaffen. Zu diesem Zweck muss er mit absolut französischer Tendenz arbeiten und im Tone größter Empörung und Bestürzung gegen die Versäumnisse der französischen Regierung Protest erheben. Im Einzelnen muss er dazu die in Frankreich umherschwirrenden Gerüchte aufgreifen und erweitern. Insbesondere soll er sich der Gerüchte annehmen, die von einer beabsichtigten Flucht der französischen Regierung aus Paris wissen wollen [. . .]. Ferner soll er eindringlich vor den Gefahren der ,Fünften Kolonne‘ warnen, zu der zweifellos auch alle deutschen Emigranten [!] gehören. Er soll ausführen, dass selbstverständlich auch die Juden“– die vor der brutalen Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten flohen – „aus Deutschland in der augenblicklichen Situation nichts anderes seien als Agenten Deutschlands.“
In Hitlerdeutschland sollten u. a. Gerüchte über „Wunderwaffen“und die in schrecklichsten Farben ausgemalten Folgen einer Kapitulation die Kriegsmoral bis zum bitteren Ende aufrechterhalten. Selbst als Adolf Hitler und Goebbels bereits ihren Selbstmord vorbereiteten, wurden noch Menschen als „Defätisten“ermordet, weil sie Zweifel am „Endsieg“zu äußern wagten.
Wie viel Wahrheit ist den Menschen zumutbar? „Wenn die Leute hier wirklich die Wahrheit wüssten, wäre der Krieg morgen schon zu Ende“, gestand der britische Premierminister David Lloyd George Ende Dezember 1917 ein, nachdem er am Vorabend über die ungeheuren Verluste an der nordfranzösischen Front aufgeklärt worden war; er befürchtete einen Einbruch der Kriegsmoral. Doch wirkte der Zeitungsbericht über die verlorene Schlacht bei Mons im Gegenteil geradezu mobilisierend, da er geschickt mit dem Ruf nach Verstärkung verknüpft worden war: Am nächsten Tag meldeten sich in ganz England Tausende junge Männer zur Armee.