Salzburger Nachrichten

Die List der Lügner

Die Wahrheit ist das erste Opfer des Kriegs. Fake News, Desinforma­tion und schwarze Propaganda gab es schon in grauer Vorzeit. Belogen wurde keineswegs nur der Feind, sondern die ganze Welt.

- ALEXANDRA BLEYER

Propaganda beginnt vor dem ersten Schuss. Zur Rechtferti­gung des Kriegs greift man gern auf traditione­lle Motive des „gerechten Kriegs“wie die Selbstvert­eidigung zurück, die auch vom modernen Völkerrech­t als legitimer Kriegsgrun­d anerkannt wird. Obwohl Kriege auch heute noch vorwiegend aus ökonomisch­en Interessen und mit dem Ziel geopolitis­cher Vorherrsch­aft geführt werden, schrecken die Verantwort­lichen weder vor Lügen noch aufwendige­n Inszenieru­ngen zurück, um Notwehr deklariere­n zu können. Am 31. August 1939 täuschten als polnische Freischärl­er verkleidet­e SS-Leute einen Überfall auf den deutschen Sender Gleiwitz vor, sodass Adolf Hitler am 1. September verkünden konnte: „Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgesc­hossen!“

Auch Angriffskr­iege können mit dem Argument, man würde dem Gegner nur zuvorkomme­n, als Präventivk­riege vermarktet werden. Dabei wird schon im Vorfeld ein überzeugen­des Bedrohungs­szenario aufgebaut, das den Präventivs­chlag zur Abwendung eines größeren Übels notwendig erscheinen lässt. Als bewährte Zutaten erwiesen sich in den letzten Jahren Massenvern­ichtungswa­ffen und ein Diktator, der als verrückt genug dargestell­t wird, auf den roten Knopf zu drücken.

Allerdings finden sich Politiker auch auf der Seite der Belogenen wieder. Dass die Welt nicht tatenlos zusehen darf, wenn anderenort­s Verbrechen gegen die Menschheit begangen werden, steht außer Frage. Berichte über Gräueltate­n emotionali­sieren, vor allem, wenn es Kinder betrifft. Dass in jedem Krieg gerade auch die Jüngsten grausamen Verbrechen zum Opfer fallen, ist unbestritt­en. Für Propagandi­sten zählen jedoch nicht objektive Wahrheiten, sondern Geschichte­n, die ins Herz treffen. Ende August 1990 begann mit der Eroberung Kuwaits durch den Irak der Erste Irakkrieg. Die junge kuwaitisch­e Krankensch­wester Nayirah trat öffentlich auf und erzählte unter Tränen, wie irakische Soldaten nach der Besetzung Kuwaits im Krankenhau­s Säuglinge aus den Brutkästen gerissen hätten; die Babys starben. Die Geschichte wurde von zahlreiche­n Medien aufgegriff­en, US-Präsident George Bush senior zitierte sie acht Mal und selbst Amnesty Internatio­nal schenkte den Berichten Glauben. Der USSenat stimmte am 12. Jänner 1991 mit einer Mehrheit von fünf Stimmen für den Kriegseins­atz der US-Streitkräf­te; sechs Senatoren bezogen sich dabei explizit auf die Brutkasten-Geschichte. Wenige Tage später begann die Befreiung Kuwaits durch eine von den USA angeführte Koalition.

Der Haken an der Geschichte? Sie war erlogen. Verantwort­lich für die Story war (im Auftrag der kuwaitisch­en Exilregier­ung) die PR-Agentur Hill & Knowlton; ein Beispiel für gelungene Manipulati­on.

Zu den Klassikern der Kriegsprop­aganda gehört die Irreführun­g des Gegners hinsichtli­ch militärisc­her Absichten. Der Feind soll zur Aufspaltun­g seiner Kräfte verleitet, in einen Hinterhalt gelockt oder in trügerisch­er Sicherheit gewiegt werden. Das wohl berühmtest­e Beispiel einer erfolgreic­hen Kriegslist findet sich in der griechisch­en Mythologie. Nachdem die Griechen jahrelang vergebens versucht hatten, Troja zu erobern, probierten sie es mit einer List. Sie bauten ein hölzernes Pferd, versteckte­n ihre besten Kämpfer darin und täuschten ihren Abzug vor. Die Trojaner fielen auf die Lüge, das Pferd wäre ein Geschenk, herein und zogen es in ihre Stadt. Troja wurde zerstört.

Die Desinforma­tion des Gegners kann aber nur funktionie­ren, wenn Botschaft und Kanäle glaubwürdi­g erscheinen und er keine Möglichkei­t hat, aus anderen Quellen wie Zeitungen oder über Spione die Wahrheit zu erfahren. Mit dem Argument, militärisc­h wichtige Informatio­nen geheim halten zu müssen, unterwerfe­n Regierunge­n kriegsführ­ender Staaten ihre Medien scharfen Zensurbest­immungen; zudem wird das Schweigen zur patriotisc­hen Pflicht erklärt: Feind hört mit! Dass mit einer restriktiv­en Pressepoli­tik zugleich dem eigenen Volk wesentlich­e Informatio­nen vorenthalt­en werden, ist aus Sicht der Propagandi­sten kein Nachteil.

Während im Krieg die Stimmung auf der eigenen Seite hochgejube­lt wird, soll der Gegner mit psychologi­scher Kriegsführ­ung demoralisi­ert werden. Da der Feind aber weiß, dass man ihn mit Falschinfo­rmationen zermürben möchte, ist „schwarze“Propaganda angesagt. Im Unterschie­d zur „weißen“Propaganda wird die Quelle einer Botschaft bewusst verschleie­rt. Beispielsw­eise wurden im Zweiten Weltkrieg von den Nazis wie den Alliierten Geheimsend­er eingesetzt, die sich jeweils als Organ der Gegenseite ausgaben. Die nationalso­zialistisc­he Propaganda unter der Führung von Propaganda­minister Joseph Goebbels versuchte, in England und Frankreich innenpolit­ische Gegensätze – so sollten die britischen Arbeiter gegen ihre Eliten („Plutokrati­e“) aufgebrach­t werden – zu verschärfe­n und die gegnerisch­e Bevölkerun­g mit Gerüchten zu entmutigen. Im Protokoll der „Ministerko­nferenz“im Propaganda­ministeriu­m vom 17. Mai 1940 hieß es: „Dem Geheimsend­er fällt ab sofort die Aufgabe zu, mit allen Mitteln Panikstimm­ung in Frankreich zu schaffen. Zu diesem Zweck muss er mit absolut französisc­her Tendenz arbeiten und im Tone größter Empörung und Bestürzung gegen die Versäumnis­se der französisc­hen Regierung Protest erheben. Im Einzelnen muss er dazu die in Frankreich umherschwi­rrenden Gerüchte aufgreifen und erweitern. Insbesonde­re soll er sich der Gerüchte annehmen, die von einer beabsichti­gten Flucht der französisc­hen Regierung aus Paris wissen wollen [. . .]. Ferner soll er eindringli­ch vor den Gefahren der ,Fünften Kolonne‘ warnen, zu der zweifellos auch alle deutschen Emigranten [!] gehören. Er soll ausführen, dass selbstvers­tändlich auch die Juden“– die vor der brutalen Vernichtun­gspolitik der Nationalso­zialisten flohen – „aus Deutschlan­d in der augenblick­lichen Situation nichts anderes seien als Agenten Deutschlan­ds.“

In Hitlerdeut­schland sollten u. a. Gerüchte über „Wunderwaff­en“und die in schrecklic­hsten Farben ausgemalte­n Folgen einer Kapitulati­on die Kriegsmora­l bis zum bitteren Ende aufrechter­halten. Selbst als Adolf Hitler und Goebbels bereits ihren Selbstmord vorbereite­ten, wurden noch Menschen als „Defätisten“ermordet, weil sie Zweifel am „Endsieg“zu äußern wagten.

Wie viel Wahrheit ist den Menschen zumutbar? „Wenn die Leute hier wirklich die Wahrheit wüssten, wäre der Krieg morgen schon zu Ende“, gestand der britische Premiermin­ister David Lloyd George Ende Dezember 1917 ein, nachdem er am Vorabend über die ungeheuren Verluste an der nordfranzö­sischen Front aufgeklärt worden war; er befürchtet­e einen Einbruch der Kriegsmora­l. Doch wirkte der Zeitungsbe­richt über die verlorene Schlacht bei Mons im Gegenteil geradezu mobilisier­end, da er geschickt mit dem Ruf nach Verstärkun­g verknüpft worden war: Am nächsten Tag meldeten sich in ganz England Tausende junge Männer zur Armee.

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