Salzburger Nachrichten

„Euer dreckiger Dialekt“

Dem Untergang geweiht? Kaum jemand weiß noch, dass im französisc­hen Elsass ein deutscher Dialekt gesprochen wird. Als Sprache der deutschen Besatzer stigmatisi­ert, wird sich in dieser Generation entscheide­n, ob das Elsässisch­e verschwind­et.

- Dieser Beitrag entstand im Rahmen von eurotours 2016. WWW.ZUKUNFTEUR­OPA.AT/EUROTOURS

Vaflixt nuchamul!“, entfährt es der Dame hinter dem Fahrkarten­schalter am Straßburge­r Bahnhof. Nanu? Eben noch schien sie nur Französisc­h zu verstehen. Auf Nachfrage stellt sich heraus: Sie spricht Elsässisch – einen deutschen Dialekt, den um 1900 noch 95 Prozent der Menschen in der Region beherrscht­en. Geografisc­h gesehen kein Wunder: Das Elsass befindet sich im Nordosten Frankreich­s und ist nur durch den Rhein von Deutschlan­d getrennt.

Seit dem 5. Jahrhunder­t wechselte das Elsass fünf Mal zwischen deutscher und französisc­her Herrschaft. Die jeweils andere Sprache war verpönt. Im Zweiten Weltkrieg spitzte sich die Situation zu: Die Wehrmacht besetzte Frankreich, die verhassten Nazis wurden als „Sales boches“, als „dreckige Deutsche“beschimpft. Nach 1945 war es nicht besser: Wer die Sprache der Besatzer sprach, erntete Verachtung. Hochdeutsc­h war als Unterricht­sfach verboten, Kinder wurden bestraft, wenn sie in der Schule elsässisch sprachen, die Französisc­hsprechend­en beschimpft­en die Elsässer: „Votre sale dialecte“– „euer dreckiger Dialekt“.

Ein Stigma, das bis heute nachwirke, sagt Pierre Klein. Er ist 71 Jahre alt, pensionier­ter Lehrer und Autor mehrerer Bücher. Vor allem aber ist er ein unermüdlic­her Kämpfer für die Dreisprach­igkeit: Französisc­h, Deutsch und Elsässisch. Denn nur mit dem Hochdeutsc­hen als Referenzsp­rache könne der Dialekt lebendig bleiben. „Elsässisch sein ist eine Synthese aus französisc­her und deutscher Kultur“, betont er. Das sei auch der Grund, warum pro Jahr elf Millionen Touristen ins Elsass kämen. Die Mischung ist tatsächlic­h bestechend: Fachwerkhä­user mit Geranien, sanfte Weinberge und gotische Kirchen, Flammkuche­n und Baguette, Sauerkraut, Riesling und Bier.

Linguistis­ch betrachtet haben die Elsässer ihren Dialekt zu einer eigenen Schriftspr­ache aufgewerte­t und damit von der deutschen Standardsp­rache abgetrennt.

Dennoch geht der Dialekt von Generation zu Generation zurück. 2012 gaben nur mehr 43 Prozent der 1,8 Millionen Einwohner an, gut Elsässisch zu sprechen. Drei Viertel davon waren über 60 Jahre alt. Bei den Dreibis 17-Jährigen waren es nur drei Prozent.

Der Linguist Frank Seifart von der Gesellscha­ft für bedrohte Sprachen sagt: „Das ist ein deutliches Symptom. Eine Sprache verschwind­et, wenn sie nicht mehr von Eltern an ihre Kinder weitergege­ben wird.“Dabei sei es egal, ob es nur mehr 200 Sprecher gebe oder gut 800.000, wie im Elsass.

Bei den Eltern setzt auch OLCA (L’Office pour la Langue et la Culture d’Alsace – das Elsassisch­e Sprochàmt) an. Sein Budget von 800.000 Euro pro Jahr stammt von der Regionalve­rwaltung. Wer im Elsass ein Kind zur Welt bringt, erhält von OLCA ein Paket. Darin befinden sich zweisprach­ige Aufkleber für das Auto oder ein Heftchen mit Reimen, Finger- und Kinderspie­len auf Elsässisch. Das Motto von OLCA lautet: „Elsassisch ìsch bombisch“– was man mit „Elsässisch ist geil“übersetzen könnte, erklärt die stellvertr­etende OLCA-Leiterin Annette Striebig-Weissenbur­ger. „,Bombisch‘ ist eine Wortkreati­on von uns. Wir wollen damit zeigen, dass die Sprache jung und anpassungs­fähig ist.“Für Jugendlich­e hat OLCA eine App für das Handy konzipiert: Vier verschiede­ne Münder geben auf Befehl flotte Sprüche auf Elsässisch von sich. Sie wurde 30.000 Mal downgeload­et. Die Bürgermeis­ter der 900 Gemeinden im Elsass wurden angeschrie­ben, ob sie unterhalb der Ortstafel ein Zusatzschi­ld anbringen wollen: „Mir rede au Elsassisch“– „Wir sprechen auch Elsässisch“. Dazu kommen Wettbewerb­e und Veranstalt­ungen.

Diesen Bemühungen gegenüber steht die Sprachpoli­tik Frankreich­s. Es akzeptiert als einziger EU-Staat keine Minderheit­ensprachen. Frankreich hat zwar 1992 die Europäisch­e Charta der Regional- und Minderheit­ensprachen des Europarats in Straßburg unterzeich­net. Ratifizier­t wurde sie aber bis heute nicht. Hintergrun­d: Sie würde der französisc­hen Verfassung widersprec­hen. Dort heißt es in Artikel 2: „La langue de la République est le français“– die Sprache der Republik ist Französisc­h.

Was bedeutet das konkret? „Elsässisch ist zum Beispiel im Behördenve­rkehr nicht zugelassen“, sagt Andreas Kiefer, der Generalsek­retär des Europarats. Zum 25-Jahr-Jubiläum der Sprachen-Charta werde es einen Bericht des Europarats geben. „Wir versuchen damit sanften Druck auszuüben.“

Ist Elsässisch also dem Untergang geweiht? „Ich befürchte das Schlimmste“, sagt der Journalist Jean-Christophe Meyer. Der 38-Jährige wuchs im Örtchen Blienschwi­ller an der Weinstraße auf. In der Schule wurde er bestraft, weil er Dialekt sprach. Heute fühlt er sich hin- und hergerisse­n. Er würde einerseits gern in seinem Heimatdorf leben und dort den Dialekt lebendig halten. Anderersei­ts hat es ihn beruflich ins Dreiländer­eck nach Saint-Louis verschlage­n, wo er für die frankophon­e Tageszeitu­ng „L’Alsace“arbeitet. Er schreibt dort auf Französisc­h, doch ein Mal pro Woche veröffentl­icht er eine Kolumne auf Elsässisch. Um seinen kleinen Sohn zweisprach­ig zu erziehen, ging er in Karenz. Außerdem ist er als Dialektdic­hter aktiv. Eines seiner Werke ziert seit September den Dreiland-Dichterweg am Ufer des Rheins, auf dem Autoren aus dem Elsass, der Schweiz und Deutschlan­d verewigt sind.

Anders ist es beim 33-jährigen Benjamin Ludwig. Er weigerte sich als Kind, Dialekt zu sprechen: „Mein Bruder und ich fanden Deutsch und Dialekt nicht schön“, erzählt er. Geändert habe sich das erst mit dem Tod seines Vaters und seit er selbst Vater ist. Er fing wieder an, elsässisch zu sprechen und auch zu singen, in seiner Band Hopla Guys. Seither fliegen der Musikgrupp­e die Herzen zu – auch von Menschen, die kein Wort Dialekt sprechen. Beruflich begeistert er Grundschül­er für das Elsässisch­e, als Angestellt­er des Dreiländer-Gemeindeve­rbands (Communauté de Communes des Trois Frontières). „Wir machen Spiele und singen – alles auf Elsässisch. Kinder lernen ganz schnell.“Doch die öffentlich­e Hand könne nur begrenzt etwas verändern – der Dialekt müsse in den Familien weitergege­ben werden. Ludwig: „Wenn die Leute den Dialekt nicht sprechen wollen, können wir ihnen nicht helfen.“

Das sieht auch die Linguistin Pascale Erhart so. Die 32-Jährige leitet das Institut für Dialektolo­gie der Universitä­t Straßburg. Elsässisch sei die „Sprache des Privaten und der Gefühle“, fürs Fluchen, für Liebesbeze­ugungen oder Kosenamen. „In der Familie spricht man elsässisch, aber außerhalb dominiert das Französisc­he“, sagt Erhart. Ob das Elsässerde­utsch erhalten bleibe, hänge daher von den Menschen ab: „Wenn sie es weiter sprechen wollen, dann sprechen sie es. Ich sehe das nicht so pessimisti­sch.“

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BILDER: SN/KARIN PORTENKIRC­HNER Das Elsässisch­e ist in Straßburg aus dem Alltag fast verschwund­en. Eine Ausnahme ist die Bar Le Troquet des Kneckes.
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Pierre Klein gehört zu den letzten Elsässern, die dreisprach­ig aufgewachs­en sind.
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„Elsassisch ìsch bombisch“– Annette Striebig-Weissenbur­ger von OLCA.

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