Sein Traumjob führt ihn hinter Gitter
Jonathan Werner ist der katholische Seelsorger im Gefängnis in Puch. Warum er dort nicht über Sünde spricht und was ihn mit Häftlingen eint.
PUCH. Wer Jonathan Werner trifft, lernt einen heiteren Menschen kennen, mit wachen Augen hinter Brillengläsern, der in einer Mischung aus Pfälzisch und Salzburgerisch spricht und dessen gemütliche Statur den Eindruck vermittelt, dass er das Leben genießen kann. Er ist ein besonnener Gesprächspartner, doch wenn man ihn mit einem Reizthema konfrontiert, kann der 41Jährige ganz schön vehement werden: Auch Kraftausdrücke kommen ihm dann über die Lippen. „Das kotzt mich an“, sagt er dann zum Beispiel und meint „dieses Grätzeldenken“, wenn Glaubensrichtungen konkurrieren. „Das geht nur zulasten der Menschen“, sagt Werner empört.
Für den Doktor der Theologie steht der Mensch im Mittelpunkt, „und damit alle Aspekte des menschlichen Lebens“. Deshalb sei die Theologie auch etwas sehr Modernes, „weil sich die Anliegen und Bedürfnisse der Menschen immer verändern“, erklärt Werner. Was in der Antike und im Mittelalter galt, könne heute bestenfalls als Orientierung gelten. „Wenn Sie wandern und einen Wegweiser sehen, dann hilft es Ihnen nicht, wenn er in Kurrent geschrieben ist. Heute ist es wichtig, dass die Adresse im Navi steht“, wählt er einen sehr bildhaften Vergleich.
Überhaupt passt Werner seine Sprache an seine Zielgruppen an. Diese könnten unterschiedlicher nicht sein: Als Pastoralassistent in der Stadtpfarrkirche Hallein hält er Wortgottesdienste, meist vor älteren Damen. Als Gefängnisseelsorger in der Justizanstalt in Puch hält er ökumenische Gottesdienste für Häftlinge. „Im Gefängnis brauche ich nicht von Sünde zu reden, denn das versteht niemand. Da sage ich: ,Ich weiß auch, dass ich manchmal ein Arschloch bin.‘“Eine Formulierung, die er in der Pfarrkirche natürlich nicht wähle.
Jonathan Werner ist seit September der Gefangenenseelsorger der Erzdiözese Salzburg. Er folgte in dieser Position auf Friedrich Reiterer, Uni-Professor für alttestamentliche Bibelwissenschaft. Ausschlaggebend für die Ernennung Werners war auch
seine ehrenamtliche Tätigkeit bei der Krisenintervention. Für Jonathan Werner ist diese Position ein Traumjob: „Seelsorger zu sein ist etwas ganz Schönes, weil man viel mehr bekommt, als man gibt.“Der Weg dorthin verlief für den Deutschen durchaus ungewöhnlich. Er wuchs in Meisenheim am Glan (Rheinland-Pfalz) in einem Elternhaus auf, in dem Religion keine Rolle spielte. Durch die Musik kam er in Kontakt mit der Kirche, da es dort eine Orgel gab. Nach einer Ausbildung zum „Staatlich anerkannten Erzieher“trat er mit Mitte 20 in ein Kloster ein und war drei Jahre lang Mönch. Der Abt schickte ihn schließlich zum Theologiestudium nach Salzburg. Ursprünglich habe er auch Priester werden wollen, „aber manche Dinge im Leben werden eben anders, als man sie plant“.
Die Musik begleitet ihn auch heute noch – neben seinem großen Hobby, dem Garteln. Er ist Organist in Hallein und singt als Tenor im Chor des Salzburger Adventsingens.
Die Hauptaufgabe eines Seelsorgers sei das Zuhören. „Zuhören heißt respektieren. Ich sitze oft eine Dreiviertelstunde bei einem Häftling und sage kein Wort, und nachher bedankt sich der ganz herzlich. Aber ich war nur da und habe ihm die Möglichkeit gegeben, zu reden.“
Jede Woche erhält der 41-Jährige in der Justizanstalt eine Liste mit Häftlingen, die sich einen Besuch von ihm wünschen. Ein muslimischer Häftling habe ihn gebeten, bei dessen Prozess dabei zu sein: „Dieser Mann hat mir gesagt: ,Meine Familie ist in Tunesien. Wenn du dabei bist, fühle ich mich nicht so allein.‘“
Angst empfinde er nicht, wenn er bei den Häftlingen sei, „auch nicht, wenn ich bei einem Mörder sitze. Aber mich bedrückt, wieviel Not und Armut es in unserer Gesellschaft gibt. Das tut weh. Wenn mir jemand erzählt, dass er mit zehn Jahren begonnen hat, Drogen zu nehmen – das geht an die Eingeweide“, erzählt er.
Ein Häftling unterscheide sich insofern von anderen Menschen, „als er an einem wichtigen Punkt in seinem Leben die völlig falsche Entscheidung getroffen hat. Das hat Konsequenzen und diese muss er auch tragen“, erklärt Werner. Die Herausforderung sei, die Menschen hinter Gittern zu befähigen, künftig die richtigen Entscheidungen zu treffen. Sein Beitrag bestehe darin, die Häftlinge spüren zu lassen, dass sie als Menschen trotzdem wertvoll seien: „Ich sehe mich mit allen Menschen in einem brüderlichen Verhältnis, egal, was sie getan haben.“Es gelte, die liturgische Formulierung „Liebe Brüdern und Schwestern“ernst zu nehmen und mit Leben zu erfüllen.
Noch etwas verbindet den 41-Jährigen mit vielen Häftlingen: Er ist tätowiert. Auf seinen rechten Oberarm ließ er sich eine Darstellung aus dem „Book of Kells“stechen: Christus, der zwei Dämonen hält, und darunter in Griechisch das Wort „Gnade“bzw. „Barmherzigkeit“. „Ich kann selbst oft ziemlich deppert sein“, erklärt er die Bedeutung, „deshalb brauche ich Barmherzigkeit, die Gnade Gottes. Die brauche ich, die brauchen wir alle.“