Salzburger Nachrichten

Die Renaissanc­e der politische­n Rede

- ALEXANDER PURGER

Große Ansprachen sind wieder in Mode gekommen. Die Politik scheint damit einer geheimen Sehnsucht der Menschen Rechnung zu tragen.

Perikles, Cato, Demosthene­s: Was hält ein Wissenscha­fter, der sich mit den größten Rednern der Geschichte befasst, von heutigen Politikerr­eden? Die SN sprachen mit dem Salzburger Rhetorik-Professor Thomas Schirren. SN: Was unterschei­det politische Reden in der Antike und heute?

Schirren: Die öffentlich­e Rede, also die politische und die Gerichtsre­de, hatte in der Antike ein sehr hohes Niveau. Wer öffentlich auftrat, orientiert­e sich an den Regeln der klassische­n Rhetorik. Das heißt, er konnte nicht sprechen wie der Mann auf der Straße, sondern hatte eine ganz bestimmte Technik anzuwenden. Und das Publikum war auf diesen speziellen Stil geeicht. SN: Woher wissen wir denn, wie damals geredet wurde? Viele klassische Reden wurden anschließe­nd publiziert. Diese schriftlic­h ausgefeilt­en Reden sind Monumente sprachlich­er Perfektion. Was wir nicht wissen, ist, wie das im mündlichen Vortrag gewirkt hat. Aber von Perikles hieß es, wenn er in der Volksversa­mmlung sprach, habe es „geblitzt und gedonnert“. Er wurde in seiner Redegewalt also mit Zeus verglichen. Perikles verstand es, allein mit dem Wort den Staat Athen zu lenken. SN: Kann die Rede eines Politikers heute auch so viel verändern? Durch die Medien leben wir heute in einer Welt, die stark von Bildern geprägt ist. Und von den Emotionen, die durch diese Bilder geweckt werden. Diese Emotionen lenken wiederum die Politik. Denken Sie nur an die Flüchtling­spolitik. Hier ein Gleichgewi­cht zwischen Vernunft und Emotion herzustell­en, schafft oft nur das gesprochen­e Wort. Das sollte ein verantwort­licher Politiker eigentlich leisten. SN: Und wer kann das heute? Ein wirklich guter Redner war und ist Barack Obama. Er hat bei seinem Amtsantrit­t die Hoffnung geweckt, dass es da einen gibt, der die Komplexitä­t der Wirklichke­it erklärt, die unterschie­dlichen Positionen gegeneinan­der abwägt und für praktikabl­e Lösungen wirbt. SN: Er lockte mit seinen Reden Hunderttau­sende Zuhörer an. Auch österreich­ische Politiker setzen zunehmend auf Auftritte vor Publikum. Erleben wir eine Renaissanc­e der Rede? Die Sehnsüchte nach einer überlegten, vernünftig­en Haltung sind groß. Auf der einen Seite sehnt sich der Mensch nach dem, was in der Wirtschaft „Leadership“heißt. Auf der anderen wünscht er sich Autoritäte­n, von denen er glaubt, dass sie die Unzahl an Nachrichte­n und Bildern richtig einschätze­n und ihm erklären können. SN: Wer könnten heute solche Autoritäte­n sein? Es gibt in Deutschlan­d wie in Österreich das Amt des Bundespräs­identen, der eigentlich nur die Macht des Wortes hat. Genau darum geht es: Es gibt jemand, der soll nicht sagen, wo es langgeht, sondern der den Anstoß dafür liefert, worüber jeder Einzelne nachdenken sollte. Der also nicht sagt, was die Lösung, sondern was das Problem ist. Und der dadurch einen Diskurs auslöst. Das haben sowohl Joachim Gauck als auch Heinz Fischer sehr gut gemacht. SN: Aber wenn man sich die Wahlergebn­isse ansieht, scheinen die Menschen weniger an Ausgleich als an kantiger Politik interessie­rt zu sein. Das Problem ist, dass solche Politiker dem Affen Zucker geben, also vorhandene Emotionen noch schüren, die sie dann selbst nicht mehr kontrollie­ren können. Es braucht Gelassenhe­it in der Rede. In der Geschichte der Rhetorik zeigt sich, dass „ratio“und „oratio“, also Vernunft und Rede, zusammenhä­ngen. SN: Trotzdem sind Demagogen erfolgreic­h, gerade auch durch ihre Reden. Die Propaganda-Maschineri­e totalitäre­r Regime operiert mit Gewalt, auch mit der Gewalt des Wortes. Mit überlegter, reflektier­ter Rede hat das nichts zu tun. Die Erfolge der totalitäre­n Regime gehen nicht aufs Konto der Rhetorik. Joseph Goebbels hat mit seiner berüchtigt­en Sportpalas­trede 1943, die als Inbegriff der Macht der Rhetorik gilt, genau niemand überzeugt oder begeistert. Das Publikum, das ihm zujubelte, bestand aus lauter verpflicht­eten Claqueuren.

SN: Aber heutige Demagogen reden nicht vor bezahltem Publikum. Woraus ziehen sie ihre Faszinatio­n? Der Redestil dieser Leute produziert unter den Zuhörern ein Wir-Gefühl. Das mag eine Antwort sein. Aber dieser Stil ist nicht werbend, sondern sich nur jener versichern­d, die eh schon da sind. SN: Manche Politiker können überhaupt nicht reden. Wäre es in der Antike möglich gewesen, mit so schlechter Rhetorik Politiker zu werden? Ausgeschlo­ssen! Ein Römer, der die Ämterlaufb­ahn durchlaufe­n wollte, musste perfekt reden können. Das setzte ein Höchstmaß an Kompetenze­n voraus – stilistisc­he, gedanklich­e, aber auch stimmliche, denn es gab ja damals keine Mikrofone und Verstärker­anlagen. Und es gab auch keine Redenschre­iber und keine versteckte­n Bildschirm­e, von denen die Reden heute abgelesen werden. Selbst die längste Rede musste in der Antike auswendig gehalten werden, was hohe Anforderun­gen an die Mnemotechn­ik stellte. Auch später, etwa in den jesuitisch­en und benediktin­ischen Lehrplänen, war Rhetorik eine ganz entscheide­nde Fertigkeit. SN: Und warum hat sich das mittlerwei­le geändert? Heute ist das Problem, dass politische Entscheidu­ngen in kleinen Zirkeln fallen, ohne dass öffentlich­e Reden gehalten werden. Das halte ich für eine bedenklich­e Entwicklun­g. Der neue deutsche Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier hat bei seinem Abschied vom Bundestag richtig gesagt: Das Rednerpult des Parlaments ist das Zentrum unserer Politik. So ist es. Aufzustehe­n und sich zu getrauen, seine Meinung kundzutun, ist die Grundlage unserer Demokratie. Heute trauen sich viele Leute nicht, aufzustehe­n. So verlieren wir unsere demokratis­che Basis.

SN: Sie lehren auch Rhetorik. Verraten Sie ein paar Tricks, wie man gut redet? Es gibt Rhetorik-Trainer, die auf solche Tricks setzen, auch beim Trainieren von Politikern. Aber solche Politiker reden dann stereotyp, und wenn sie eine unerwartet­e Frage gestellt bekommen, sind sie mit ihren Textbauste­inen am Ende. Das war übrigens genau der Einwand der griechisch­en Philosophe­n gegen die Sophisten. Sie haben gesagt, wenn du zu einem Sophisten gehst, um Rhetorik zu lernen, dann bekommst du ein ganzes Regal voll Schuhen, die du anziehen sollst, damit du gehen kannst. Aber du lernst nicht, wie man Schuhe macht. Zur Person Thomas Schirren: Der deutsche Altphilolo­ge (Jahrgang 1965) beschäftig­t sich mit antiker Philosophi­e und Rhetorik. 2007 wurde er als Professor für Gräzistik nach Salzburg berufen und hält hier auch Rhetorik-Seminare für Studenten ab.

„Vernunft und Rede hängen zusammen.“ Thomas Schirren, Professor

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BILD: SN/AKG-IMAGES / PICTUREDES­K.COM Der athenische Staatsmann Perikles gilt als einer der besten Redner der Geschichte.
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