Salzburger Nachrichten

Besorgte Blicke in die Türkei

Mit Argusaugen beobachten in diesen Tagen die heimischen Rinderzüch­ter die politische­n Entwicklun­gen rund um die Türkei. Nicht ohne Grund: 46 Prozent ihrer Exporte gehen in das Land am Bosporus.

- HANS GMEINER SALZBURG.

„2016 war das drittbeste der vergangene­n zehn Jahre.“Stefan Lindner, Obmann der heimischen Rinderzüch­ter, könnte zufrieden sein. „Wir haben im Vorjahr etwas mehr als 32.000 Zuchtrinde­r exportiert, um 20 Prozent mehr als im Jahr davor.“Dennoch beschleich­t ihn mitunter ein flaues Gefühl. „Der hohe Anteil der Exporte in die Türkei macht es im Moment sehr, sehr spannend“, sagt er.

Die Türkei ist in den vergangene­n Jahren zum mit Abstand wichtigste­n Markt für heimische Zuchtrinde­r geworden. Betrug vor zwei Jahren der Anteil der Ausfuhren in das Land am Bosporus noch 36 Prozent, so waren es im Vorjahr bereits 46 Prozent. „Wir wissen, dass wir dort ein sehr großes Risiko haben“, sagt Lindner. Nach den Entlassung­en vieler Beamter hat man schon jetzt mit ausgedünnt­en Verwaltung­sstrukture­n zu kämpfen. Oft fehlen auch Ansprechpa­rtner. „Die Türkei kann jeden Tag zu sein“, sagt Lindner, die politische Diskussion in Österreich und Deutschlan­d rund um Auftritte von türkischen Politikern beobachtet er mit Argusaugen.

Die Rinderzüch­ter würde das auf dem falschen Fuß erwischen. Denn gerade in der Türkei ist österreich­isches Fleckvieh als sogenannte­s Zweinutzun­gsrind für die Fleischund Milchgewin­nung besonders geschätzt. Die Preise, die dort bezahlt werden, liegen deutlich über denen für Spezial-Milchrasse­n wie Holstein-Kühe oder Braunvieh. Denn bei diesen Rassen brachte die Milchkrise der vergangene­n Jahre den Zuchtviehm­arkt gehörig durcheinan­der. Als die Milchpreis­e in Richtung 20 Cent pro Kilogramm rutschten, stockten vor allem viele deutsche Bauern ihre Bestände ab und verkauften ihre meist speziell auf Milchprodu­ktion gezüchtete­n Tiere auf den Zuchtviehm­ärkten, um an Geld zu kommen. Die Preise bei den reinen Milchrasse­n gerieten dadurch stark unter Druck und haben sich bis dato nicht erfangen.

Hinter der Türkei ist Italien mit einem Anteil von knapp 22 Prozent zweitwicht­igster Absatzmark­t für österreich­ische Zuchtrinde­r. Dahinter kommen Aserbaidsc­han, Ungarn und der Iran. Völlig zusammenge­brochen hingegen ist das Geschäft mit Algerien, das viele Jahre ein wichtiger Absatzmark­t war.

Lindner ist sich bewusst, dass das Jahr 2016 trotz des zahlenmäßi­gen Exporterfo­lgs wirtschaft­lich einen gewissen „Beigeschma­ck“hat, wie er es formuliert. Das liege zum einen an den deutlichen Erlösunter­schieden zwischen den Rassen. Zum anderen aber daran, dass vor allem in Niederöste­rreich und in der Steiermark viele Züchter vom Türkei-Geschäft ausgeschlo­ssen waren, weil ihre Betriebe in einem Gebiet liegen, das vor Jahren wegen Fällen von Blauzungen­krankheit zur Sperrzone erklärt wurde. Die bereits vollzogene Aufhebung der Sperre kommt für sie aber zu spät.

Vor diesem Hintergrun­d versuchte die Zentrale Arbeitsgem­einschaft der Rinderzüch­ter, ZAR, die 23.000 Bauern in Österreich vertritt, nun alle Register zu ziehen, um neue Exportmärk­te aufzubauen. Im Mittelpunk­t steht dabei neben Ägypten, Marokko und Algerien vor allem Russland. Bis zum Ende des vergangene­n Jahrzehnts war man dort gut im Geschäft. Nun hofft man, wieder Fuß fassen zu können, denn Zuchtrinde­r stehen, im Gegensatz zu den meisten anderen Produkten, nicht im Sanktionsk­atalog, den Russland gegen EUAgrarerz­eugnisse verhängte.

„Anders als in anderen Bereichen, wo man sehr erfolgreic­h eine eigene Produktion aufgebaut hat, hat Russland immer noch um ein Drittel zu wenig Milch und um 25 Prozent zu wenig Rindfleisc­h“, sagt Lindner. Schon im Frühjahr könnte ein Tiroler Tourismusp­rojekt im Nordkaukas­us Bewegung ins Geschäft bringen. Aber auch in Südrusslan­d gebe es großes Potenzial. Dabei wollen die Rinderzüch­ter nicht nur Tiere liefern. „Uns geht es auch um Beratung und Begleitung und um die Weiterbetr­euung der Genetik“, sagt Lindner.

Der Zuchtrinde­rexport gilt als eines der Aushängesc­hilder der heimischen Landwirtsc­haft. Das Exportvolu­men beträgt rund 50 Mill. Euro. Für viele Milchbauer­n ist der Verkauf von Zuchttiere­n ein zusätzlich­es Standbein, das hilft, etwas leichter mit den Krisen beim Milchpreis zurechtzuk­ommen. Der Aufwand, den die insgesamt 18 Zuchtverbä­nde unter dem Dach der ZAR betreiben, ist für Laien unvorstell­bar hoch. Das reicht von der zusätzlich­en freiwillig­en, sehr detaillier­ten Milchleist­ungskontro­lle bei 80 Prozent der Kühe (sie liefern um 30 Prozent mehr als noch vor 20 Jahren) bis hin zur genetische­n Auslese der Tiere, die aufgrund von zahllosen Parametern getroffen wird.

Ein Milchbauer hat heute eine ungeheure Fülle von Daten zur Verfügung, mit der er auf die Milchprodu­ktion, die Gesundheit und das Wohl der Tiere Einfluss nehmen kann. Längst geht es dabei nicht nur mehr darum, die jährliche Milchleist­ung der Kühe zu steigern. In den Mittelpunk­t rücken zunehmend Faktoren wie Nutzungsda­uer oder gesundheit­liche Aspekte.

Lindner, selbst Milchbauer in Tirol, beobachtet die wachsende Kritik an der Landwirtsc­haft mit Sorge. „Da wird viel missversta­nden.“Rinderzuch­t sei für ihn „gute Form der Qualitätss­icherung“, weil er als Bauer Daten und Fakten habe. „Entscheidu­ngen nur aus der Emotion heraus sind mir zu wenig.“

„Der russische Markt bietet Chancen.“

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Stefan Lindner, Rinderzüch­terverband

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