Übertritt in andere Religion beargwöhnt
Wer vom Islam zum Christentum übertritt, gilt als Abtrünniger. Konvertiten zum Islam wiederum stehen unter Terrorverdacht. Der Wechsel von einer Religion in eine andere ist kein Leichtes.
Konvertiten handeln sich bei ihrer angestammten Religion und bei der neuen Probleme ein.
Timo Aytaç Güzelmansur trägt den christlichen Teil seines Vornamens – abgeleitet von Timotheus – erst seit dem 19. Lebensjahr. Der Geschäftsführer der ChristlichIslamischen Begegnungs- und Dokumentationsstelle der Deutschen Bischofskonferenz ist in der Türkei als Alawit aufgewachsen. In Antakya, dem früheren Antiochia, hat der Muslim mit 18 Jahren Gefallen am Friedensgebet mit Gesängen aus Taizé gefunden. Als der junge Mann mehr in das Christentum hineinwuchs und eine Entscheidung anstand, war die Reaktion seines Vaters eindeutig: „Entweder du bleibst zu Hause oder du gehst weg.“
Am 6. Jänner 1997 ließ Güzelmansur sich taufen und ging weg. „Zufällig“schaute beim Taufgottesdienst die türkische Polizei vorbei und forschte ihm nach. Die Eltern mussten sich von Nachbarn und Verwandten die Frage gefallen lassen, was sie bei der Erziehung falsch gemacht hätten. Eineinhalb Jahre Militär kamen dann gerade recht, um Abstand zu gewinnen.
Es ist freilich eher die Ausnahme als die Regel, dass der Übertritt von einer Religionsgemeinschaft in eine andere so deutlich religiös motiviert ist wie bei Timo Aytaç Güzelmansur. Ihn habe die Gestalt des Jesus von Nazareth letztlich mehr überzeugt als jene Mohammeds, sagte er bei einer Studientagung der Österreichischen Bischofskonferenz und des Bildungszentrums St. Virgil Salzburg. Dabei wurde auch deutlich, wie vielfältig die Motivstränge sind und wie sehr gesellschaftliche, soziale und politische Umstände mitspielen.
Allein in Wien gibt es heuer 255 Taufbewerber aus 19 Nationen, von denen rund 80 Prozent einen islamischen Hintergrund haben. Die Zulassungsfeier nach der einjährigen Vorbereitungszeit mit Kardinal Christoph Schönborn fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Viele der Konvertiten befürchten Repressionen durch ihre Familie und ihren Freundeskreis.
Die Taufbewerber in Wien wurden durch Krieg und Flucht aus ihrem bisherigen Leben herausgerissen. Solche biografischen Krisen sind häufig der Anstoß dafür, dass eine Konversion als „Lösung“erscheint. Damit seien aber neue Ungewissheiten verbunden, sagte Anna-Konstanze Schröder vom Institut für Praktische Theologie der Universität Bern. Konvertiten zum Christentum würden häufig verdächtigt, dass sie sich Vorteile im Asylverfahren erhofften. In Deutschland werde zum Beispiel diskutiert, ob Flüchtlinge aus dem Iran noch in das streng schiitische Land abgeschoben werden könnten, wenn sie zum Christentum übergetreten seien. „Wir stehen hier vor einem Dilemma der Religionsfreiheit“, sagte Schröder. „Wer soll letztlich prüfen, ob eine Konversion aus wahrhaftig religiösen Gründen erfolgt ist? Wie viel vom neuen Glauben muss jemand übernommen haben, damit das auch staatliche Stellen anerkennen?“
„Reischristen“wurden solche Konvertiten während der offensiven christlichen Mission in Asien genannt. Sie wurden beargwöhnt, dass sie das Christentum aus opportunistischen Gründen für ihr Wohlergehen und ihr gesellschaftliches Fortkommen angenommen hätten – der gleiche Vorwurf, mit dem sich heute „Asylchristen“konfrontiert sehen, die damit zwischen allen Sesseln sitzen: von der eigenen Religion und Familie als Abtrünnige gebrandmarkt und im neuen Umfeld teilweise scheel angesehen.
Aber auch der umgekehrte Weg vom Christentum zum Islam ist mit Tücken behaftet. Vorbei sind die Zeiten, als sich Jazzpianist Dollar Brand oder der Boxer Cassius Clay als Avantgardisten fühlen durften, weil sie zum Islam übertraten und sich Abdullah Ibrahim bzw. Muhammad Ali nannten. Heute ist diese Richtung der Konversion unter terroristischen Generalverdacht geraten. Monika Wohlrab-Sahr, Kulturwissenschafterin in Leipzig, sag- te zum möglichen Zusammenhang von Konversion und Radikalisierung, dass ein kleinerer Teil der Konvertiten zum Islam in Deutschland sich tatsächlich selbst als gewaltbereit definiere. „Homegrown terrorism“heißt das in der Sprache westlicher Sicherheitsexperten.
Die persönliche Krise und ihre „Lösung“durch Konversion beschrieb Wohlrab-Sahr so: „Die Neuausrichtung der Lebensführung wird durch die Konzentration auf ein öffentlich wahrnehmbares Zeichen hin unterstrichen. So sind die Hälfte der Burkaträgerinnen in Dänemark Konvertitinnen, die dadurch demonstrativ ihre Abkehr von der Gesellschaft ausdrücken, der sie bisher angehört haben.“