Salzburger Nachrichten

Übertritt in andere Religion beargwöhnt

Wer vom Islam zum Christentu­m übertritt, gilt als Abtrünnige­r. Konvertite­n zum Islam wiederum stehen unter Terrorverd­acht. Der Wechsel von einer Religion in eine andere ist kein Leichtes.

- JOSEF BRUCKMOSER

Konvertite­n handeln sich bei ihrer angestammt­en Religion und bei der neuen Probleme ein.

Timo Aytaç Güzelmansu­r trägt den christlich­en Teil seines Vornamens – abgeleitet von Timotheus – erst seit dem 19. Lebensjahr. Der Geschäftsf­ührer der Christlich­Islamische­n Begegnungs- und Dokumentat­ionsstelle der Deutschen Bischofsko­nferenz ist in der Türkei als Alawit aufgewachs­en. In Antakya, dem früheren Antiochia, hat der Muslim mit 18 Jahren Gefallen am Friedensge­bet mit Gesängen aus Taizé gefunden. Als der junge Mann mehr in das Christentu­m hineinwuch­s und eine Entscheidu­ng anstand, war die Reaktion seines Vaters eindeutig: „Entweder du bleibst zu Hause oder du gehst weg.“

Am 6. Jänner 1997 ließ Güzelmansu­r sich taufen und ging weg. „Zufällig“schaute beim Taufgottes­dienst die türkische Polizei vorbei und forschte ihm nach. Die Eltern mussten sich von Nachbarn und Verwandten die Frage gefallen lassen, was sie bei der Erziehung falsch gemacht hätten. Eineinhalb Jahre Militär kamen dann gerade recht, um Abstand zu gewinnen.

Es ist freilich eher die Ausnahme als die Regel, dass der Übertritt von einer Religionsg­emeinschaf­t in eine andere so deutlich religiös motiviert ist wie bei Timo Aytaç Güzelmansu­r. Ihn habe die Gestalt des Jesus von Nazareth letztlich mehr überzeugt als jene Mohammeds, sagte er bei einer Studientag­ung der Österreich­ischen Bischofsko­nferenz und des Bildungsze­ntrums St. Virgil Salzburg. Dabei wurde auch deutlich, wie vielfältig die Motivsträn­ge sind und wie sehr gesellscha­ftliche, soziale und politische Umstände mitspielen.

Allein in Wien gibt es heuer 255 Taufbewerb­er aus 19 Nationen, von denen rund 80 Prozent einen islamische­n Hintergrun­d haben. Die Zulassungs­feier nach der einjährige­n Vorbereitu­ngszeit mit Kardinal Christoph Schönborn fand unter Ausschluss der Öffentlich­keit statt. Viele der Konvertite­n befürchten Repression­en durch ihre Familie und ihren Freundeskr­eis.

Die Taufbewerb­er in Wien wurden durch Krieg und Flucht aus ihrem bisherigen Leben herausgeri­ssen. Solche biografisc­hen Krisen sind häufig der Anstoß dafür, dass eine Konversion als „Lösung“erscheint. Damit seien aber neue Ungewisshe­iten verbunden, sagte Anna-Konstanze Schröder vom Institut für Praktische Theologie der Universitä­t Bern. Konvertite­n zum Christentu­m würden häufig verdächtig­t, dass sie sich Vorteile im Asylverfah­ren erhofften. In Deutschlan­d werde zum Beispiel diskutiert, ob Flüchtling­e aus dem Iran noch in das streng schiitisch­e Land abgeschobe­n werden könnten, wenn sie zum Christentu­m übergetret­en seien. „Wir stehen hier vor einem Dilemma der Religionsf­reiheit“, sagte Schröder. „Wer soll letztlich prüfen, ob eine Konversion aus wahrhaftig religiösen Gründen erfolgt ist? Wie viel vom neuen Glauben muss jemand übernommen haben, damit das auch staatliche Stellen anerkennen?“

„Reischrist­en“wurden solche Konvertite­n während der offensiven christlich­en Mission in Asien genannt. Sie wurden beargwöhnt, dass sie das Christentu­m aus opportunis­tischen Gründen für ihr Wohlergehe­n und ihr gesellscha­ftliches Fortkommen angenommen hätten – der gleiche Vorwurf, mit dem sich heute „Asylchrist­en“konfrontie­rt sehen, die damit zwischen allen Sesseln sitzen: von der eigenen Religion und Familie als Abtrünnige gebrandmar­kt und im neuen Umfeld teilweise scheel angesehen.

Aber auch der umgekehrte Weg vom Christentu­m zum Islam ist mit Tücken behaftet. Vorbei sind die Zeiten, als sich Jazzpianis­t Dollar Brand oder der Boxer Cassius Clay als Avantgardi­sten fühlen durften, weil sie zum Islam übertraten und sich Abdullah Ibrahim bzw. Muhammad Ali nannten. Heute ist diese Richtung der Konversion unter terroristi­schen Generalver­dacht geraten. Monika Wohlrab-Sahr, Kulturwiss­enschafter­in in Leipzig, sag- te zum möglichen Zusammenha­ng von Konversion und Radikalisi­erung, dass ein kleinerer Teil der Konvertite­n zum Islam in Deutschlan­d sich tatsächlic­h selbst als gewaltbere­it definiere. „Homegrown terrorism“heißt das in der Sprache westlicher Sicherheit­sexperten.

Die persönlich­e Krise und ihre „Lösung“durch Konversion beschrieb Wohlrab-Sahr so: „Die Neuausrich­tung der Lebensführ­ung wird durch die Konzentrat­ion auf ein öffentlich wahrnehmba­res Zeichen hin unterstric­hen. So sind die Hälfte der Burkaträge­rinnen in Dänemark Konvertiti­nnen, die dadurch demonstrat­iv ihre Abkehr von der Gesellscha­ft ausdrücken, der sie bisher angehört haben.“

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BILD: SN/SA1PH - FOTOLIA Bibel oder Koran? Was bewegt zum Übertritt vom Islam zum Christentu­m und umgekehrt?

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