50 Jahre gebaut aus 50 Songs
Für jedes seiner 50 Lebensjahre schrieb Stephin Merritt einen Song. Das war mehr Vergnügen, als er fürchtete. Heraus kamen fünf Alben.
Nein, nein. Das Autobiografische liege ihm nicht. Gar nicht. „Welchen Grund sollte es geben, etwas aus meinem Leben zu erzählen“, sagt Stephin Merritt im Interview mit den SN. Wenn er für seine Band The Magnetic Fields Songs schreibe, dann erfinde er Figuren und Blickwinkel. Aber sein Ich, ein reales noch dazu, das müsse da nicht vorkommen. Nicht einmal dann, wenn er ein ganzes Album aufnimmt, das „I“heißt, wie das der Kanadier vor sieben Jahren getan hat. Nun kommt es aber vor, dieses echte „Ich“– auf dem neuen Album.
Dieses erste neue Werk seit fünf Jahren heißt „50 Song Memoir“. Das Konzept dafür ist so simpel wie umfangreich: fünf Alben, darauf 50 Lieder – zu jedem Lebensjahr eines.
Die Idee hatte Merritt nicht selbst, obwohl er zu denen gehört, die gern mit ausgefallenen Ideen überraschen. Angesetzt auf diese Lebenssongs wurde Merritt von Robert Hurwitz von Nonesuch, dem Label, auf dem The Magnetic Fields ihre Musik veröffentlichen.
Schon 1999 hatte sich der mittlerweile 52-Jährige ein ähnliches Monsterprojekt vorgenommen. „69 Love Songs“hieß es und gilt – nicht nur ob seines Umfangs (drei Alben), sondern auch wegen seiner dem Thema angepassten Feinfühligkeit – als ein außergewöhnliches Großwerk des Indie-Pop.
Und weil es damals so eine harte Anstrengung gewesen sei, die Plattenfirma von diesem so umfangreichen Konzept zu überzeugen, hätte er „das sicher nicht noch einmal“ von sich aus versucht. Nun habe er die Idee von 50 Songs für 50 Jahre „nur noch übernehmen müssen“. An seinem 50. Geburtstag im Februar 2015 begann Merritt zu schreiben. Im August des vergangenen Jahres war dann alles fertig. Das Songschreiben sei dabei immer die geringste Arbeit. Am liebsten sitze er dabei in einer Bar. „Zu Hause fällt das Schreiben schwerer, ist eigentlich unmöglich“, sagt Merritt im Interview. Die Bewegung an öffentlichen Orten hingegen rege seine Gedanken an. Und was die Erinnerungen für die betrifft, nahm er auch Hilfe in Anspruch.
„Ganz ehrlich, ich erinnere mich wirklich nicht so gut daran, was zum Beispiel war, als ich ein, zwei oder drei Jahre alt gewesen bin“, sagt er mit ironischem Unterton. Gut also, dass es die Mama gibt. Die nämlich hatte in Notizen die ersten paar Lebensjahre festgehalten. Und es geht dann ohnehin auch weniger um wahre Begebenheiten denn um Fragen wie „Wonder Where I Came From“.
Wer nun also eine Autobiografie in Songform erwartet, liegt falsch. Da mögen manche realen Ereignisse vorkommen, mancher Song funktioniert dann auch tatsächlich als Erinnerung, meist aber dienen die Lebensjahre und die ihnen zugeordneten Erlebnisse als Inspirationsquelle. Von diesen Quellen aus lässt Merritt einen munteren Gedankenfluss plätschern. Es geht dann unter anderem um die Familienkatze, die immer Probleme machte („We had a cat called Dionysus, every day another crisis“). Merritt berichtet von der frühen, großen Liebe zu Judy Garland. Er erzählt von einem Sturm und lässt die Zuhörer in „How To Play The Synthesizer“an seinen ersten Musikversuchen teilhaben – und auch an den üblichen elterlichen Warnungen: „Rock’n’Roll Will Ruin You“.
Es geht – oft mit ironischem, sarkastischem Unterton – um große Lebensfragen wie „How I Failed Ethics“. Und es geht auch um ganz simple Dinge – etwa dass man zu seiner Bar ehrlich sein und ihr die Treue halten soll. Schnell wird klar, dass es nicht das pure Autobiografische anhand der Abarbeitung von Anekdoten ist, das dieses Werk so eindrucksvoll macht.
Die überwältigende Kraft dieser Songs speist sich aus dem Umstand, dass beim Zuhören ganz deutlich Parallelen zu (fast) jedem Leben auftauchen. Das gilt besonders, aber eben nicht nur für Merritts Altersgenossen. „Nach dieser Arbeit werde ich wahrscheinlich nie mehr Songs schreiben, die irgendwie wahr sein könnten. Aber es einmal auszuprobieren war tatsächlich sehr interessant“, sagt er.
Dass die Üppigkeit auf diesen fünf Alben niemals langweilig wird, liegt daran, dass sich Merritt in ein Meer aus verschiedenen Stilen stürzt. Country und Rock tauchen da ebenso auf wie zarter Folk oder elektronisch bearbeitetes SingerSongwritertum. Etwa 100 unterschiedliche Instrumente kamen zum Einsatz. Die Vielfalt entspreche seiner eigenen Hörgewohnheit. „Ich schließe keine Genres aus“, sagt er. Vielmehr gehe es darum, „dass man sich das Album ganz anhört“. Dass er damit recht allein ist, in Zeiten, da vieles in der Popwelt nur noch auf Songs zugeschnitten ist – leicht konsumierbar und schnell wieder weggedrückt –, stört ihn nicht. „Es geht mir nie darum, Erwartungen zu erfüllen.“Es geht ihm darum, „den besten Weg zu finden, meine Kunst umzusetzen“.
Album: The Magnetic Fields: 50 Song Memoir (Nonesuch/Warner).
„Ich mache das sicher nicht noch einmal.“ Stephin Merritt, Musiker