In der Schreckensherrschaft der Oper triumphiert die Liebe
Nach mehreren Monaten mit kaputter Stimme kehrt Jonas Kaufmann zurück: Nach München und zu Anja Harteros.
Auf der Bühne agiert das Lieblingspaar nicht nur des Münchner Publikums: Anja Harteros und Jonas Kaufmann. Die beiden singen in München so oft zusammen, man könnte ein eigenes Abo auflegen. Anja Harteros lieferte in der Premiere von „Andrea Chenier“gewohnte Qualität – will sagen: wundervollste Spitzentöne und traumschön verlöschende Phrasen, all dies in perfektem Italienisch. Jonas Kaufmann meldet sich nach mittellanger Krankheitspause zurück, mit starkem und vollem Timbre, kaum manieriert, lediglich einmal klingt es gaumig verwaschen.
Das Stück war bei den Bregenzer Festspielen vor sechs Jahren ein Flop, in den großen RepertoireHäusern taucht es ab und zu auf und meistens rasch wieder ab. „Andrea Chénier“ist ein Paradebeispiel für den Verismo, also eine direkte, handfeste Klang- und Erzähldramaturgie ohne Schnickschnack, Koloraturarien oder unendliche Melodien. Umberto Giordano (1867– 1948) erzählt im 1896 an der Mailänder Scala uraufgeführten Werk von einem erst im Tod vereinten Liebespaar, es wütet gerade die Französische Revolution.
Chénier – dargestellt von Jonas Kaufmann – ist Dichter und eigentlich Adelsgegner, aber in den Umbrüchen der Zeit gerät er ins Visier von Revolutionären und endet auf dem Schafott. Seine Angebetete Maddalena – Anja Harteros – folgt ihm freiwillig. Giordanos Musik tönt oft grob und kantig, mit schrillen Effekten und reichlich Pomp. Am Pult des Bayerischen Staatsorchesters steht mit Omer Meir Wellber der richtige Dompteur fürs Laute und Brachiale, aber auch zarte Stellen (Liebesschluchzen! Sehnsuchtskantilenen!) gelingen gut.
Stark singen auch Luca Salsi (Carlo Gérard), Doris Soffel (Gräfin von Coigny) oder Andrea Borghini (Roucher) sowie die von Stellario Fagone präparierten Chöre.
Und die Bühne? Nach dem Verlassen des Opernhauses erlebt der Rezensent folgende Szene: Etwas älterer Herr: „Grauslig war das, die Bühne völlig zugeschissen!“Etwas jüngerer Herr: „Das war großartig! Wollen Sie, dass das im Krieg, in Syrien oder so, spielt?“Der erste Herr: „Grauenhaft, diese zugeschissene Bühne!“Und so weiter . . . Tja, die Bayerische Staatsoper polarisiert eben – doch diesmal auf überraschende Weise. Denn Regisseur Philipp Stölzl (der mit Heike Vollmer auch das Bühnenbild gestaltete) schließt an seine 2015 bei den Osterfestspielen Salzburg gezeigte Inszenierung von „Cavalleria rusticana“& „Pagliacci“an. Zwischen Naturalismus und Hyperrealismus schwankt das, mit unzähligen Wimmelbild-Details und pittoresken, durchaus „perückenden“Kostümen (Anke Winckler). Anfangs sieht man mehrere Räume nebeneinander auf zwei Ebenen, oben tanzt der Adel, unten malocht das Dienstpersonal. Hernach kommen neue Zimmer hinzu, die Standesunterschiede verwischen allmählich etwas. Stölzls Personenführung ist emphatisch, mit ziemlich ernstem Zugriff geht er die Sache an. Ein witziger Moment entsteht, als Chénier/ Kaufmann in vokale SchmachtensGrenzbereiche geht und einer Reifrockdame darob blümerant wird. Ist solch ein Historienspektakel nun ein Sakrileg? Nein, aus dem simplen Grund: Stölzl setzt alles konsequent und stilbewusst in Szene. Die nächsten Inszenierungen im Kriegsgefangenenlager oder Bürgerkrieg kommen eh bald wieder – mit Sicherheit. Oper: