Türken“„Die gibt es nicht
Das Spektrum ist sehr breit. Aber Austrotürken, die nicht für Erdoğan sind, halten sich mit Kritik derzeit lieber zurück.
WIEN. Wenn „die Türken“in Österreich in den vergangenen Jahren für politischen Wirbel sorgten, dann waren stets Mitglieder einer Gruppe ganz vorn mit dabei: jene der Union Europäisch-Türkischer Demokraten, kurz UETD, dem europäischen Ableger von Erdoğans AKP.
Die UETD organisierte den Auftritt Erdoğans vor Tausenden jubelnden Austrotürken 2014 in Wien. Für einen Eklat sorgte zur selben Zeit ein TV-Auftritt des damaligen UETD-Österreich-Präsidenten Abdurrahman Karayazili, der nach einem Interview in der ZiB 24 wütend hinausgestürmt war. Die Folge waren derart wüste Beschimpfungen seiner Anhänger auf Facebook gegen die Moderatorin, dass sich sogar der Staatsschutz einschaltete.
Zum nächsten Eklat kam es im Vorjahr, als der damalige Vizepräsident der UETD nach dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei alle Kritiker der AKP beschimpfte. „An alle, die die Gelegenheit nutzen, wieder die AKP, die Türkei oder den ISLAM anzugreifen. GEHT ALLE MITEINANDER SCHEISSEN!“, hatte er getwittert. – Nun, da einmal mehr türkischer Wahlkampf im Ausland betrieben wird, ist es wieder die UETD, die mitmischt: Sie hat die bisherigen Auftritte von AKPPolitikern in Österreich (etwa in Wien und Bregenz) organisiert. Und wieder fällt das teils aggressive Auftreten auf. UETD-Sprecher Ramazan Aktaş etwa denunzierte jüngst alle drei türkischstämmigen Abgeordneten im Nationalrat als „PKKSympathisanten oder Anhänger der Gülen-Bewegung“– „und das sind Terrororganisationen“, so Aktaş.
Die Entwicklung der UETD gehe einher mit der Entwicklung der AKP, sagt der Politikwissenschafter Thomas Schmidinger: Je autoritärer, je nationalistischer die AKP, umso autoritärer und nationalistischer trete auch ihr verlängerter Arm in Österreich und anderen EULändern auf. Der AKP-LobbyingVerein türkischstämmiger Unternehmer und Akademiker, als welcher die UETD vor zwölf Jahren in Österreich gegründet wurde, könne seit einigen Jahren schon auf breite soziale Strukturen zählen, sagt er.
Dennoch: Zu glauben, dass es unter Österreichs Türken nur Erdoğan-Fans gibt, ist falsch. Zwar kam die AKP bei der türkischen Parlamentswahl 2015 unter Österreichs Türken auf 70 Prozent. Aber nicht einmal jeder zweite der offiziell rund 90.000 Wahlberechtigten im Land ging wählen. Tendenziell, sagt Schmidinger, hätten alle großen türkischen Parteien ihre Anhänger in Österreich.
Etwa die Kemalisten. Und natürlich die Kurdenpartei HDP. Schätzungsweise ein Viertel der rund 270.000 Türkischstämmigen in Österreich sind Kurden. Und die sind auch sehr gut organisiert. Politisch stehen sie großteils links bis sehr links. Feycom etwa, der größte kurdische Dachverband, hegt Sympathien für die in der Türkei verbotene PKK, die auch auf der EU-Terrorliste steht. Laut Verfassungsschutz konzentrieren sich die Aktivitäten der PKK-Szene in Österreich auf das Spendensammeln und die Thematisierung der Kurdenproblematik. Das Konterfei des in der Türkei im Gefängnis sitzenden PKK-Führers Abdullah Öcalan fehlt bei keiner Kurdendemo in Wien.
Neben den politischen gibt es die zahlreichen religiösen Vereine. Der größte türkische Moscheeverein Atib etwa hängt offiziell am Gängelband der Türkei. Atib-Imame wurden bis vor Kurzem von Ankara entsandt und finanziert. Laut dem Grünen Peter Pilz ist das über Umwege immer noch der Fall. Er wirft Atib auch Spionage für Erdoğan vor, was Atib entschieden zurückweist.
Spannend: Atib war ursprünglich von der türkischen Religionsbehörde gegründet worden, um die relativ starken radikalislamischen Bewegungen unter den Auslandstürken zu kontrollieren. Das war freilich zu Zeiten, als die Türkei ein strikt laizistisches Land war. Seit sie unter Erdoğan mehr und mehr islamisiert wurde, hat sich auch die Religionsbehörde und damit auch Atib verändert. Und die einst von der Türkei als radikal-religiös und rechtskonservativ-islamisch geächteten Aus- landsgruppierungen haben längst der AKP angenähert.
Die Aleviten wiederum, eine säkulare Strömung des Islam, machen rund ein Viertel der österreichischen Türken aus. Sie wurden mittlerweile sogar als eigene Religionsgemeinschaft anerkannt. Der frühere grüne Bundesrat Efgani Dönmez etwa bezeichnet sich als „säkularen Muslim mit alevitischen Wurzeln“. Dönmez warnt seit Jahren vor dem politischen Islam in Österreich, vor der Verquickung der Erdoğan-Fans, religiösen Extremisten und den faschistischen Grauen Wölfen, die auch in Österreich ihre Ableger haben. Warum säkulare Muslime mit türkischen Wurzeln kaum öffentlich wahrnehmbar sind? Das liege nicht daran, dass es sie nicht gebe, betont Dönmez. „Aber viele haben Familie in der Türkei oder Geschäftsverbindungen. Die Leute haben derzeit einfach Angst und halten sich zurück“, erklärt er die Situation. Auch er selbst werde immer wieder bedroht. „Aber wir leben in Österreich. Und wenn man nicht mehr aufzeigen kann, was falsch läuft, dann müssen alle Alarmglocken schrillen.“ sich
„Die Leute haben einfach Angst.“