Die Charité steht für Barmherzigkeit
Ein Kunstgriff: Die aufwühlende Geschichte der Männerwelt in der berühmten Berliner Klinik Charité wird aus Sicht einer Frau erzählt.
SALZBURG. Eine Blinddarmentzündung war im Dreikaiserjahr 1888 ein Todesurteil. Aber die mittellose Waise Ida schleppt sich trotz dieser Erkrankung mit letzter Kraft in die Berliner Charité, wo sie der junge Arzt Emil Behring mit einer kaum erprobten Operationsmethode rettet. Das ist ein Glück, auch für Sönke Wortmanns Sechsteiler über die aufregende Zeit um 1900, als die Medizin begann, rasend schnelle Fortschritte zu machen. Denn Ida ist die Hauptfigur, mit deren Augen die Zuschauer diese spannende Epoche verfolgen können.
Das ist ein gewagter Ansatz, war das Krankenhaus doch damals ein Männerbetrieb, in dem Frauen zwar wertvolle und wichtige Arbeit verrichteten, aber anonym blieben.
Ist der Sechsteiler „Charité“denkbar ohne die Krankenhausserie „The Knick“? Kaum. Die Filme über die New Yorker Klinik haben Maßstäbe gesetzt und die seit der „Schwarzwaldklinik“über „Emergency Room“bis zu den modernen Arztserien wie „In aller Freundschaft“bestehenden Sehgewohnheiten revolutioniert.
Nun versucht „Charité“, ein Pendant zu schaffen. Nicht unbedingt mit solch fesselnder visueller Radikalität, aber mit vergleichbar nahegehenden Problemen. Auch hier gibt es mit Behring einen Arzt, dessen Benehmen als medizinischer Genius sowie mit hochfahrender Arroganz einem Dr. House ins nichts nachsteht.
Operiert wird übrigens mit bloßen Händen in einem Hörsaal vor Medizinstudenten, in den Krankenzimmern mussten sich jeweils 20 Patienten eine Toilette teilen – ein Plumpsklo. Ein hygienischer Albtraum, der zu einem Neubau (1897 bis 1917) führte. Da vom Schauplatz der TV-Serie nichts mehr übrig ist, wurde in Prag gedreht.
Wie in „The Knick“wird auch die Rauschgiftsucht von Medizinern thematisiert. Charité-Behring kommt vom Opium nicht los und stiehlt es ebenso aus den Beständen der Klinik wie „Knick“-Chefarzt Thackery, der zuerst kokst und dann als Entziehungskur ausgerechnet Heroin nimmt.
Während die Heldin Ida (Alicia von Rittberg), die als Krankenschwester arbeitet, aber unbedingt Ärztin werden will, ebenso fiktiv ist wie die anderen Frauenrollen, sind die Männer die Stars: Binnen sieben Jahren erhalten drei Mediziner der Charité den Medizin-Nobelpreis. Die entsprechenden Entdeckungen waren ein Serum gegen Diphtherie (Emil Behring, 1901, gespielt von Matthias Koeberlin); „Untersuchungen und Entdeckungen auf dem Gebiet der Tuberkulose“an Robert Koch (1905, Justus von Dohnányi); und „Arbeiten über die Immunität“an Paul Ehrlich (1908, Christoph Bach).