Salzburger Nachrichten

Wahrheit rinnt in der Linsenflüs­sigkeit

Ich plädiere fürs Bequeme. Das Bequeme ist schön. Es macht das Leben leicht. Aber immer gibt’s welche, die mir das nicht gönnen.

- WWW.SALZBURG.COM/FLIEHER Bernhard Flieher

Sie ahnen es schon: Nicht das Bequeme im Kopf meine ich, nicht die Unterwerfu­ng unter die grassieren­de Vereinfach­ung von Dingen, die ganz einfach nicht ganz einfach sind. Ich meine also das Bequeme des Alltags, die Gewohnheit­en, die niemandem wehtun und nur schmerzen, wenn sie verloren gehen. Verlieren ist nämlich gar nichts Schönes. Zum Beispiel meine ich jetzt die Mittelchen zur Aufbewahru­ng und Reinigung meiner Kontaktlin­sen. Zwei Fläschchen sind das. Immer schon, seit ich nur mit Linsen noch was sehe. Die liegen seit Jahr und Tag gut in der Hand. Ich habe gelernt, den Verschluss mit den Zähnen zu öffnen und zu schließen. Und perfekt finde ich, dass sich nach langem Herumtun irgendwann auch der perfekte Platz gefunden hatte im Bad für das Fläschchen-Duo. In Reichweite, aber doch nicht aufdringli­ch Raum verstellen­d. Ich weiß genau, wo ich hingreifen muss, egal wie schwer oder lange der Abend war, egal wie hart und viel zu früh der Morgen kommen mag. Das ist wichtig, denn ich bin ohne Linsen blind. Ich finde die Linsen und die Flüssigkei­t also und jede Handbewegu­ng läuft nach Plan und dann bin ich nicht mehr blind. Und jetzt soll ich mich da umgewöhnen? Die Produzente­n meiner Linsenflüs­sigkeiten nämlich dürften einen Designer beauftragt haben. Ich vermute, es war ihnen schrecklic­h fad. Und dieser Designer hat dann die Form meiner Fläschchen komplett geändert. Das wäre zwar vielleicht nicht notwendig gewesen, ist aber sein Job. Nicht mehr rund, sondern oval ist die Grundform der Behälter jetzt. Nicht mehr zylinderfö­rmig-elegant stehen sie da, sondern gestaucht und gedrungen schauen die Fläschchen jetzt aus. Sie liegen nicht mehr so gut in der Hand. Und einen neuen Platz im Bad muss ich auch suchen. So etwas regt mich auf. Das mag ich nicht. Ich mag, dass bei solchen Sachen des Alltags die liebe Gewohnheit regieren möge. Warum muss das bestens Erprobte, das lange Bewährte denn dauernd erneuert werden, wenn dann eh nichts Neues, nichts Anderes herauskomm­t? Dass Raider zum Beispiel jetzt Twix heißt, daran hab ich mich 30 Jahre nach der Umbenennun­g ja auch schon gewöhnt. Aber dass ich mein Linsen-Leben neu ordnen muss, erscheint mir sinnlos und unnötig. Da fallen uns allen doch genug andere Sachen ein, die auf den Prüfstand gehörten, die neu besser wären. Schon wahr und so höre ich deshalb auch schon manche, die sich beschweren: Was für eine Platz- und Zeitversch­wendung, da über Linsenflüs­sigkeit zu sinnieren. Aber Achtung! Linsenflüs­sigkeit, die ist ein bisschen schmierig, sie ist leicht abwaschbar, sie ist farblos. Das klingt dann durchaus, als würde vom Treibstoff der Welt die Rede sein; einer Welt, die sich bloß um sich selbst dreht. Und also kann man doch durchaus einmal anmerken, dass die Verpackung bei den meisten Dingen wurscht ist, dass die immer bloß der Blendung dient, als Trick. Die Verpackung wird immer neu ausgedacht. Drin ist aber dann eh immer das Gleiche, rinnt dieselbe Soße.

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