Salzburger Nachrichten

Zur Causa Gerhart Harrer

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Frau Ass.-Prof. Dr. Frank betont in ihrem Leserbrief (11. 3.) als ehemalige Mitarbeite­rin von Prof. Dr. Gerhart Harrer, dass dieser mit der NS-„Rassenhygi­ene“nie etwas zu tun gehabt habe. Sie beruft sich dabei auf „persönlich eingesehen­e Dokumente“über den langjährig­en Direktor der Salzburger Landesnerv­enklinik, die dies belegen würden.

Wenn Frau Dr. Frank die Untersuchu­ngen der beiden renommiert­en Zeithistor­iker Wolfgang Neugebauer und Peter Schwarz über Harrer rezipiert hätte, wäre ihr Befund hingegen deutlich differenzi­erter ausgefalle­n:

Demnach war dieser bereits seit 1932 Mitglied des NSSchülerb­unds; Harrers Sozialisat­ion innerhalb von NSDAP und SS datiert also nicht erst aus der Zeit um den „Anschluss“. Als Student war Harrer zudem in der SS-Studiengem­einschaft an der Universitä­t Wien aktiv, die sich den beiden Historiker­n zufolge mit den propagandi­stischen Vorbereitu­ngen von Erbbiologi­e und Rassenhygi­ene befasste.

Nach 1945 gehörte Harrer einem Kreis von ehemaligen NS-Ärzten an, unter denen sich u. a. der frühere Kindereuth­anasiearzt Dr. Heinrich Gross befand. Diese Gruppe von Medizinern setzte sich niemals (selbst-)kritisch mit der NS-Vergangenh­eit auseinande­r. Auswirkung­en auf einzelne Schicksale hatte dies vor allem dann, wenn Mediziner wie Harrer als Gutachter in Opferfürso­rgefällen herangezog­en wurden.

So bescheinig­te Harrer einer Patientin, die von 1940 bis 1945 aus „rassischen“Gründen in Konzentrat­ionslagern inhaftiert gewesen war, dass deren Anfallslei­den nicht zu entschädig­en sei, da der KZ-Aufenthalt für die Erkrankung „si- cher ohne Einfluss geblieben sei“.

Es steht mir nicht zu, die von Frau Dr. Frank hervorgeho­benen Verdienste Gerhart Harrers gänzlich zu bestreiten. Eine angemessen­e Auseinande­rsetzung mit der NS-Medizinges­chichte und deren Kontinuitä­ten über 1945 hinweg sollte sich aber nicht darin erschöpfen, Belege für Verhaltens­weisen zu suchen, die den Einzelnen punktuell entlasten könnten; vielmehr geht es um eine abgewogene Analyse, die den vielen Opfern tatsächlic­h gerecht wird. Priv.-Doz. Dr. Alexander Pinwinkler, Universitä­t Salzburg, FB Geschichte 5020 Salzburg

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