Wein am Fluss
Vienne. Die französische Stadt im Rhône-Tal steht fest auf zwei Beinen: Geschichte und Rebensaft.
Der Wein von Seyssuel begleitet Pierre Gaillard schon seit seiner Kindheit. Als die Familie von Lyon ein Stück weiter südlich aufs Land nach Tenay zog, hörte der kleine Pierre die Gespräche der Großen mit. „Die lokalen Winzer sagten immer, unser Wein ist gut, aber der in Seyssuel ist noch besser. Das hat mich schon als Kind neugierig gemacht.“Heute bewirtschaftet der freundliche Riese mit dem dichten, grauen Haarschopf rund 77 Hektar, viele davon in der renommierten Weinregion SaintJoseph und mittlerweile auch einige in Seyssuel – als „Vin de Vienne“. Wie bei ihrer österreichischen Namensschwester reicht auch der Ursprung von Vienne weit über die Römerzeit hinaus, und wie diese ist sie stolz auf ihren Wein. Besucher werden daher gern an das „Musée Gallo-Romain“auf der anderen Rhône-Seite verwiesen – eine Reise weit in die Vergangenheit. Die keltischen Allobroger machten Vienne zu ihrer Hauptstadt, später wurde sie römische Kolonie. Die Kelten waren enorme Zecher, und bald wurde die Gegend von römischen Weinhändlern regelrecht überflutet. „Der römische Wein war unglaublich beliebt“, sagt Museumsführer Christophe Caillaud, „in zwei Jahrhunderten wurden hier mehr als zwei Millionen Hektoliter konsumiert.“
Dann doch lieber selbst machen. Als Spalier für die Reben dienten abgestorbene Bäume – zu besichtigen im Museumsgarten. Gekeltert wurde Weißwein, stabilisiert mit Kräutern. Der gute Ruf des französischen Weins war hergestellt, jedenfalls exportierte man bald munter in die ganze damals bekannte Welt, nach Alexandria oder Axum ebenso wie bis nach Indien. Und zwar in Dolia, riesigen Tonfässern, deren Inhalt dann in Lederschläuche und mit Pumpen in Amphoren umgefüllt wurde. Erst ab dem ersten Jahrhundert kamen die Fässer auf – all dies anschaulich aufbereitet im Gallo-Römischen Museum. Dass der Weinhandel schon früh viel Geld einbrachte, zeigt eine Stele, deren römische Inschrift das Ableben des „Gaius Libertius Decimanus, Bürger von Vienne, Schiffer und Weintransporteur“bedauert.
Fröhlich und ausgelassen hingegen geht es zu, wenn Starwinzer Pierre Gaillard ein Mal im Jahr die antike Weinpresse in Betrieb nimmt. Im September, diesmal am 24. und zum zwölften Mal, wird beim eintägigen Fest „Les Vinalia“gelesen, getreten, gepresst und verkostet wie in alten Römerzeiten. Dazu wird Wissenswertes und auch so mancher Leckerbissen serviert.
Wer durch das Rhône-Tal fährt, dem präsentiert sich Vienne als geschichtsträchtiger Stopp. Der „Jardin Archéologique“de Cybèle, das einstige Forum, ist die reizvollste der drei Spielstätten des Festivals „Vienne et Jazz“. Der römische Tempel des Augustus und der Livia im Herzen der Stadt wurde später zur Kirche, dann kurz vor der Revolution zum Gericht und dadurch vor der Zerstörung bewahrt. Hier wohnten die ersten Christen Frankreichs, und sogar Pontius Pilatus soll hier begraben sein. Die Abbaye de Saint-André-le-Bas mit ihrem prächtigen Kreuzgang wurde 831 erstmals erwähnt, ist aber sicherlich älter. Und in so manchen Hauseingängen lassen sich Renaissancefassaden und Kassettendecken erspähen.
Das Jetzt gehört den Sinnesfreuden. Sogar auf höchstem Niveau: Fünf Spitzenköche der Region laden regelmäßig zur „Agora des Chefs“, plaudern über Winzer wie jene von Seyssuel, halten ungewöhnliche Diners und Märkte mit den Produzenten der Region ab. Philippe Girardon, Sternekoch und einer der „Chefs“: „Wir sind ein großer Bauernhof von Frankreich.“