Gockeln auf Sockeln
Denk mal. Millionenfach wandeln die Wiener jeden Tag an den Reiterstatuen, Büsten und Porträts vorbei. Doch wer sind eigentlich die Großen, derer wir da gedenken?
Hol den Vorschlaghammer! Sie haben uns ein Denkmal gebaut. Und jeder Vollidiot weiß, dass das die Liebe versaut. Ich werd die schlechtesten Sprayer dieser Stadt engagieren. Die sollen nachts noch die Trümmer mit Parolen beschmieren. Wir sind Helden: Denkmal (2003).
Der Begriff Denkmal ist ein recht weiter. In Österreich gibt es angeblich 37.485 Objekte, die unter Denkmalschutz gestellt sind – nur ein Bruchteil davon fällt in die engere Kategorie: Das sind die riesigen Reiterstandbilder, die erhabenen Büsten, die meisterlich aus dem Stein gehauenen Statuen, mit denen man der Vorbilder des Volkes gedenkt. Vorbilder? Da taucht ein Fragezeichen auf. Denn natürlich haben jene Hochrangigen alle ihre historischen Verdienste: Sie waren Staatenlenker, Strategen, Verteidiger der Heimat, Reformer und so weiter. Sie hatten teils aber auch verhaltensauffällige Seiten. Also wollen wir uns hierorts ausnahmsweise einmal ihren Verfehlungen widmen. Weil: Auch darüber muss man reden und schreiben dürfen. Wir haben also einen Spaziergang durch die Wiener Innenstadt unternommen und sie uns näher angeschaut, die Herren in Marmor und Bronze. Ach ja, und eine Frau ist auch dabei.
1. Die Gnadenlose. Ladies first. Aber weil Maria Theresia heuer 300 Jahre alt geworden wäre, ist ja schon viel über sie geschrieben worden. Auch, dass sie ihre Kinder zwangsverheiratete. Dass sie Protestanten hasste und diskriminierte. Ebenso wie Juden. Und beide massenhaft aus ihren Behausungen vertreiben ließ. Heute steht Maria Theresia auf dem nach ihr benannten Platz zwischen Natur- und Kunsthistorischem Museum. 20 Meter hoch und 44 Tonnen schwer, wurde das Monument des Künstlers Kaspar von Zumbusch im Jahr 1888 enthüllt.
2. Der Unterlegene. Überqueren wir den Burgring und gehen über den Heldenplatz. Neben Prinz Eugen steht ein weiterer Held auf diesem Platz: Erzherzog Carl. Der Feldherr besiegte 1809 immerhin Napoleon, das war bei Aspern. Alle folgenden Schlachten verlor er aber, und am Ende schloss er mit dem Franzosenkaiser einen Waffenstillstand – ohne Erlaubnis des Kaisers. Der ihn daraufhin suspendierte.
3. Der Antidemokrat. Weiter drinnen in der Burg steht seit 1846, riesenhaft und in Bronze, Kaiser Franz II./I. Warum der komische Name? Er war bis 1806 letzter Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Verlor dann aber alle Schlachten gegen Napoleon, sein Reich löste sich auf. Also erfand Franz das Kaisertum Österreich – und machte sich per amtlicher Verordnung zu Franz I. Er regierte erzkonservativ und reaktionär, unterdrückte demokratische Bestrebungen, zensierte die Presse. Was es seit Joseph II. an aufgeklärtem Geist gegeben hatte: Franz I. machte es zunichte. Fürst Metternich, aus heutiger Sicht auch kein Gutmensch, half ihm dabei.
4. Der Gescheiterte. Weiter also. Rund um die Burg, zum Bildnis von Josef II. Er sitzt dort seit 1807 auf dem Pferd, zu sehen auf Seite 1. Und eines muss man ihm lassen: Er war ein fortschrittlicher Geist, für damalige Verhältnisse. Leider starb er gebrochen und verzweifelt, weil er die meisten Reformen zurücknehmen musste. Große Teile des Volkes hassten ihn. Übrigens: Von einer Mitbestimmung des Volkes hielt der Sohn von Maria Theresia gar nichts.
5. Der Vollstrecker. Geht man weiter um die Burg, kommt man zur Albertina. Dort reitet, namensgebend, Erzherzog Albrecht hoch zu Ross, aus 1899 datiert das Prunkstück. Albert wurde bereits mit 13 Jahren Oberst eines Infanterieregiments, das wäre dem Habsburger ohne „Vitamin B“kaum gelungen. Als am 13. März 1848 in Österreich die bürgerliche Revolution ausbrach, war Albert seine Rolle klar. Als die Bürger Kaiser Ferdinand eine Petition überbringen wollten, erteilte Albert den Feuerbefehl gegen den „Pöbel“. Immerhin schockierte ihn das Massaker so, dass er sich von seinem Kommando entbinden ließ.
6. Der Totengräber. Noch eine Biegung weiter, und wir stehen im Burggarten. Dort steht erhaben unser Kaiser Franz Joseph. Er heiratete die Herzogin Elisabeth in Bayern, auch Sisi genannt, glücklich machte er sie nicht. Politisch wäre zu sagen, dass das Habsburgerreich unter seiner Regentschaft wirtschaftlich und sozial immer weiter zurückfiel, vor allem hinter das Deutsche Reich. Nebenbei verlor der greise Monarch fast alle Kriege – und er begann den Ersten Weltkrieg, der das Ende für Österreich-Ungarn bedeutete.
7. Der Fanatiker. Nur ein paar Meter weiter lässt sich ein steinerner Mönch in unschuldiger Pose bewundern. Das etwa mannshohe Bildnis am Eingang des Burggartens wurde 1928 eingeweiht; es zeigt den Prediger Abraham a Santa Clara. Er mochte keine Frauen und war ein fanatischer Antisemit. Den Reformator Martin Luther bezeichnete er angeblich als „Saubären“.
8. Der Kriegsgewinnler. In selbiger Grünfläche steht ein Dritter im Bunde: Franz I. Stephan, Gatte Maria Theresias. Er war politisch eher eine Nebenfigur – galt aber als Finanzgenie. Er wurde steinreich, wie genau, fragte man nicht so genau. Tat-
sache ist, dass er als Mann der Monarchin sein Geld dem Staat lieh, damit dieser gegen Preußen Krieg führen konnte. Dass diese Kreditvergabe nicht transparent ausgeschrieben wurde, war damals normal – würde heute aber eindeutig die Korruptionsstaatsanwaltschaft auf den Plan rufen. 9. Der Nazidichter. Nun lohnt ein Abstecher über den Ring zum Park am Schillerplatz. Dort hat man 1975 Josef Weinhebers Kopf auf einen Sockel gestellt. Er war quasi der Parteiliterat der NSDAP, am 8. April 1945 beging Weinheber Selbstmord. 10. Der Fragwürdige. Ein paar Schritte nach Osten, Richtung Konzerthaus, wartet eine Überraschung: Christoph Kolumbus steht dort steinern an der Pforte der Handelsakademie. Gewiss, der Seefahrer brachte uns Amerika nahe. Der Form halber wäre aber anzumerken, dass es ihm und der spanischen Krone vor allem anderen um Gold ging; und um die ökonomische Ausbeutung der Neuen Welt. Und genau die passierte dann ja auch.
11. Der Flexible. Jetzt aber weiter, zum eigentlichen Ziel in dieser Richtung. Hinter dem Musikverein enthüllte man 1867 ein überdimensionales Reiterstandbild von Fürst Karl Philipp Schwarzenberg. Er hatte zunächst brav für Österreich gekämpft. Dann zog er auf Seiten Napoleons in den Krieg. Er deckte mit seinen Truppen den Südflügel der Grande Armée im Russlandfeldzug, konnte aber deren Debakel nicht verhindern. Ein paar Jahre später tauchte er wieder auf Seiten der Gegner Napoleons auf. Immerhin: Er besiegte das Militärgenie vernichtend, 1813 war das, bei Leipzig.
12. Die Gefürchteten. Sieht man sich auf dem Schwarzenbergplatz um, fällt ein weiterer Prunkbau ins Auge: Eine Kolonnade samt einer 20 Meter hohen
Säule bilden das Heldendenkmal der Roten Armee. Sie hatte am 13. April 1945 Wien erobert, 17.000 ihrer Soldaten fielen dabei. Was die Befreiung von der NS-Unterdrückung bedeutete. Doch andererseits: Historiker schätzen, dass in den folgenden Jahren rund 240.000 Frauen allein in Wien und Niederösterreich von Rotarmisten vergewaltigt wurden. Nach Recherchen des Nachrichtenmagazins „Profil“plünderten Russen ihre österreichische Besatzungszone und stahlen rund 60.000 Klaviere, 459.000 Radios und 3,3 Millionen Paar Schuhe.
13. Der Judenhasser. Weiter geht es nach Norden, Richtung Stubenring. Dort steht einer verewigt, über dessen Erbe schon viel gestritten wurde: Der Wiener Bürgermeister Karl Lueger; er starb 1910. Dass der Christlichsoziale ein überzeugter Antisemit und ein Vorbild Hitlers war, ist bekannt. Eines unter vielen Zitaten, aus dem Jahr 1899: „Aller Zwist, auch der bei uns in Österreich herrscht, ist darum durch die Juden entfacht, alle Anfeindungen unserer Partei rühren daher, weil wir der Herrschaft der Juden endlich einmal zu Leibe gerückt sind.“
Der frühere Lueger-Ring heißt deshalb heute Universitätsring – Luegers Denkmal am anderen Ende der Inneren Stadt blieb und bleibt erhalten. Auch wenn es nun eine erklärende Zusatztafel gibt.
14. Der Krieger. Ein paar Schritte weiter erreichen wir das „Regierungsgebäude“. Davor, zu Pferd, ein ganz Berühmter: Josef Wenzel Radetzky von Radetz. Ein genialer Feldherr war er – und doch nach heutigen Maßstäben ein Erfüllungsgehilfe von Autokraten. Als 1848 die Mailänder Selbstständigkeit wollten, schlug er die Revolution blutig nieder. Wer ein Fan der Monarchie war, der liebte Radetzky. Republikaner, Demokraten und Reformer liebten ihn jedoch eher weniger.
15. Der Überläufer. Zuletzt führt unser Weg zurück zum Rathaus. Da kommen wir am Stock-im-Eisen-Platz beim Stephansdom vorbei. Dort steht in Blei gegossen seit 1804 der Babenberger Leopold III. Er starb 1136. Zuvor aber hatte er eine beachtliche politische Karriere hingelegt. Vor allem, weil er 1105 in der Schlacht am Fluss Regen zwischen Heinrich IV. und dessen Sohn spontan zum Sohn überlief. 16. Der Fertige. Weil wir den Weg über den Donaukanal nehmen, lohnt ein Blick über die rechte Schulter. Jenseits der Unteren Donaustraße liegt nämlich die Ferdinandstraße. Sie ist nach jenem Habsburgerkaiser („der Gütige“) benannt, der von 1793 bis 1875 lebte. Kaiser war er nur 1835 bis 1848 – und das war auch gut so. Er soll so geistesschwach gewesen sein, dass er als völlig handlungsunfähig galt. Man nannte ihn damals schon „Gütinand der Fertige“.
17. Der Inquisitor. Vorläufiger Endpunkt der Helden-Reise: der Rathauspark. Dort hat sich gleich eine ganze Gruppe besonderer Gentlemen auf Sockeln versammelt. Da ist etwa Herzog Leopold IV., der 1210 die Ketzerverfolgung in Österreich einführte. Und am grausamen Albigenserkreuzzug teilnahm. Schon zuvor hatte Heinrich II. („Jasomirgott“) am Zweiten Kreuzzug teilgenommen, der in einer Katastrophe mit Tausenden Toten endete. Auch er befindet sich im Rathauspark. Ebenso wie Graf Leopold Kollonitsch, der ab 1673 rund 273 Protestanten in der Slowakei per Sondergericht aburteilen und ausweisen ließ. Den Abschluss bildet das Bildnis von Rudolf IV., den man „den Stifter“nennt. Und der auch damit auffiel, dass er Österreich 1358 durch eine dreiste Urkundenfälschung zum Kurfürstentum „upgradete“. Name des Dokuments: Privilegium maius. Heute würde man das wohl unter „Alternative Facts“einreihen.