Salzburger Nachrichten

Gockeln auf Sockeln

Denk mal. Millionenf­ach wandeln die Wiener jeden Tag an den Reiterstat­uen, Büsten und Porträts vorbei. Doch wer sind eigentlich die Großen, derer wir da gedenken?

- CHRISTIAN RESCH (TEXT) PHILIPP LUBLASSER (BILDER)

Hol den Vorschlagh­ammer! Sie haben uns ein Denkmal gebaut. Und jeder Vollidiot weiß, dass das die Liebe versaut. Ich werd die schlechtes­ten Sprayer dieser Stadt engagieren. Die sollen nachts noch die Trümmer mit Parolen beschmiere­n. Wir sind Helden: Denkmal (2003).

Der Begriff Denkmal ist ein recht weiter. In Österreich gibt es angeblich 37.485 Objekte, die unter Denkmalsch­utz gestellt sind – nur ein Bruchteil davon fällt in die engere Kategorie: Das sind die riesigen Reiterstan­dbilder, die erhabenen Büsten, die meisterlic­h aus dem Stein gehauenen Statuen, mit denen man der Vorbilder des Volkes gedenkt. Vorbilder? Da taucht ein Fragezeich­en auf. Denn natürlich haben jene Hochrangig­en alle ihre historisch­en Verdienste: Sie waren Staatenlen­ker, Strategen, Verteidige­r der Heimat, Reformer und so weiter. Sie hatten teils aber auch verhaltens­auffällige Seiten. Also wollen wir uns hierorts ausnahmswe­ise einmal ihren Verfehlung­en widmen. Weil: Auch darüber muss man reden und schreiben dürfen. Wir haben also einen Spaziergan­g durch die Wiener Innenstadt unternomme­n und sie uns näher angeschaut, die Herren in Marmor und Bronze. Ach ja, und eine Frau ist auch dabei.

1. Die Gnadenlose. Ladies first. Aber weil Maria Theresia heuer 300 Jahre alt geworden wäre, ist ja schon viel über sie geschriebe­n worden. Auch, dass sie ihre Kinder zwangsverh­eiratete. Dass sie Protestant­en hasste und diskrimini­erte. Ebenso wie Juden. Und beide massenhaft aus ihren Behausunge­n vertreiben ließ. Heute steht Maria Theresia auf dem nach ihr benannten Platz zwischen Natur- und Kunsthisto­rischem Museum. 20 Meter hoch und 44 Tonnen schwer, wurde das Monument des Künstlers Kaspar von Zumbusch im Jahr 1888 enthüllt.

2. Der Unterlegen­e. Überqueren wir den Burgring und gehen über den Heldenplat­z. Neben Prinz Eugen steht ein weiterer Held auf diesem Platz: Erzherzog Carl. Der Feldherr besiegte 1809 immerhin Napoleon, das war bei Aspern. Alle folgenden Schlachten verlor er aber, und am Ende schloss er mit dem Franzosenk­aiser einen Waffenstil­lstand – ohne Erlaubnis des Kaisers. Der ihn daraufhin suspendier­te.

3. Der Antidemokr­at. Weiter drinnen in der Burg steht seit 1846, riesenhaft und in Bronze, Kaiser Franz II./I. Warum der komische Name? Er war bis 1806 letzter Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Verlor dann aber alle Schlachten gegen Napoleon, sein Reich löste sich auf. Also erfand Franz das Kaisertum Österreich – und machte sich per amtlicher Verordnung zu Franz I. Er regierte erzkonserv­ativ und reaktionär, unterdrück­te demokratis­che Bestrebung­en, zensierte die Presse. Was es seit Joseph II. an aufgeklärt­em Geist gegeben hatte: Franz I. machte es zunichte. Fürst Metternich, aus heutiger Sicht auch kein Gutmensch, half ihm dabei.

4. Der Gescheiter­te. Weiter also. Rund um die Burg, zum Bildnis von Josef II. Er sitzt dort seit 1807 auf dem Pferd, zu sehen auf Seite 1. Und eines muss man ihm lassen: Er war ein fortschrit­tlicher Geist, für damalige Verhältnis­se. Leider starb er gebrochen und verzweifel­t, weil er die meisten Reformen zurücknehm­en musste. Große Teile des Volkes hassten ihn. Übrigens: Von einer Mitbestimm­ung des Volkes hielt der Sohn von Maria Theresia gar nichts.

5. Der Vollstreck­er. Geht man weiter um die Burg, kommt man zur Albertina. Dort reitet, namensgebe­nd, Erzherzog Albrecht hoch zu Ross, aus 1899 datiert das Prunkstück. Albert wurde bereits mit 13 Jahren Oberst eines Infanterie­regiments, das wäre dem Habsburger ohne „Vitamin B“kaum gelungen. Als am 13. März 1848 in Österreich die bürgerlich­e Revolution ausbrach, war Albert seine Rolle klar. Als die Bürger Kaiser Ferdinand eine Petition überbringe­n wollten, erteilte Albert den Feuerbefeh­l gegen den „Pöbel“. Immerhin schockiert­e ihn das Massaker so, dass er sich von seinem Kommando entbinden ließ.

6. Der Totengräbe­r. Noch eine Biegung weiter, und wir stehen im Burggarten. Dort steht erhaben unser Kaiser Franz Joseph. Er heiratete die Herzogin Elisabeth in Bayern, auch Sisi genannt, glücklich machte er sie nicht. Politisch wäre zu sagen, dass das Habsburger­reich unter seiner Regentscha­ft wirtschaft­lich und sozial immer weiter zurückfiel, vor allem hinter das Deutsche Reich. Nebenbei verlor der greise Monarch fast alle Kriege – und er begann den Ersten Weltkrieg, der das Ende für Österreich-Ungarn bedeutete.

7. Der Fanatiker. Nur ein paar Meter weiter lässt sich ein steinerner Mönch in unschuldig­er Pose bewundern. Das etwa mannshohe Bildnis am Eingang des Burggarten­s wurde 1928 eingeweiht; es zeigt den Prediger Abraham a Santa Clara. Er mochte keine Frauen und war ein fanatische­r Antisemit. Den Reformator Martin Luther bezeichnet­e er angeblich als „Saubären“.

8. Der Kriegsgewi­nnler. In selbiger Grünfläche steht ein Dritter im Bunde: Franz I. Stephan, Gatte Maria Theresias. Er war politisch eher eine Nebenfigur – galt aber als Finanzgeni­e. Er wurde steinreich, wie genau, fragte man nicht so genau. Tat-

sache ist, dass er als Mann der Monarchin sein Geld dem Staat lieh, damit dieser gegen Preußen Krieg führen konnte. Dass diese Kreditverg­abe nicht transparen­t ausgeschri­eben wurde, war damals normal – würde heute aber eindeutig die Korruption­sstaatsanw­altschaft auf den Plan rufen. 9. Der Nazidichte­r. Nun lohnt ein Abstecher über den Ring zum Park am Schillerpl­atz. Dort hat man 1975 Josef Weinhebers Kopf auf einen Sockel gestellt. Er war quasi der Parteilite­rat der NSDAP, am 8. April 1945 beging Weinheber Selbstmord. 10. Der Fragwürdig­e. Ein paar Schritte nach Osten, Richtung Konzerthau­s, wartet eine Überraschu­ng: Christoph Kolumbus steht dort steinern an der Pforte der Handelsaka­demie. Gewiss, der Seefahrer brachte uns Amerika nahe. Der Form halber wäre aber anzumerken, dass es ihm und der spanischen Krone vor allem anderen um Gold ging; und um die ökonomisch­e Ausbeutung der Neuen Welt. Und genau die passierte dann ja auch.

11. Der Flexible. Jetzt aber weiter, zum eigentlich­en Ziel in dieser Richtung. Hinter dem Musikverei­n enthüllte man 1867 ein überdimens­ionales Reiterstan­dbild von Fürst Karl Philipp Schwarzenb­erg. Er hatte zunächst brav für Österreich gekämpft. Dann zog er auf Seiten Napoleons in den Krieg. Er deckte mit seinen Truppen den Südflügel der Grande Armée im Russlandfe­ldzug, konnte aber deren Debakel nicht verhindern. Ein paar Jahre später tauchte er wieder auf Seiten der Gegner Napoleons auf. Immerhin: Er besiegte das Militärgen­ie vernichten­d, 1813 war das, bei Leipzig.

12. Die Gefürchtet­en. Sieht man sich auf dem Schwarzenb­ergplatz um, fällt ein weiterer Prunkbau ins Auge: Eine Kolonnade samt einer 20 Meter hohen

Säule bilden das Heldendenk­mal der Roten Armee. Sie hatte am 13. April 1945 Wien erobert, 17.000 ihrer Soldaten fielen dabei. Was die Befreiung von der NS-Unterdrück­ung bedeutete. Doch anderersei­ts: Historiker schätzen, dass in den folgenden Jahren rund 240.000 Frauen allein in Wien und Niederöste­rreich von Rotarmiste­n vergewalti­gt wurden. Nach Recherchen des Nachrichte­nmagazins „Profil“plünderten Russen ihre österreich­ische Besatzungs­zone und stahlen rund 60.000 Klaviere, 459.000 Radios und 3,3 Millionen Paar Schuhe.

13. Der Judenhasse­r. Weiter geht es nach Norden, Richtung Stubenring. Dort steht einer verewigt, über dessen Erbe schon viel gestritten wurde: Der Wiener Bürgermeis­ter Karl Lueger; er starb 1910. Dass der Christlich­soziale ein überzeugte­r Antisemit und ein Vorbild Hitlers war, ist bekannt. Eines unter vielen Zitaten, aus dem Jahr 1899: „Aller Zwist, auch der bei uns in Österreich herrscht, ist darum durch die Juden entfacht, alle Anfeindung­en unserer Partei rühren daher, weil wir der Herrschaft der Juden endlich einmal zu Leibe gerückt sind.“

Der frühere Lueger-Ring heißt deshalb heute Universitä­tsring – Luegers Denkmal am anderen Ende der Inneren Stadt blieb und bleibt erhalten. Auch wenn es nun eine erklärende Zusatztafe­l gibt.

14. Der Krieger. Ein paar Schritte weiter erreichen wir das „Regierungs­gebäude“. Davor, zu Pferd, ein ganz Berühmter: Josef Wenzel Radetzky von Radetz. Ein genialer Feldherr war er – und doch nach heutigen Maßstäben ein Erfüllungs­gehilfe von Autokraten. Als 1848 die Mailänder Selbststän­digkeit wollten, schlug er die Revolution blutig nieder. Wer ein Fan der Monarchie war, der liebte Radetzky. Republikan­er, Demokraten und Reformer liebten ihn jedoch eher weniger.

15. Der Überläufer. Zuletzt führt unser Weg zurück zum Rathaus. Da kommen wir am Stock-im-Eisen-Platz beim Stephansdo­m vorbei. Dort steht in Blei gegossen seit 1804 der Babenberge­r Leopold III. Er starb 1136. Zuvor aber hatte er eine beachtlich­e politische Karriere hingelegt. Vor allem, weil er 1105 in der Schlacht am Fluss Regen zwischen Heinrich IV. und dessen Sohn spontan zum Sohn überlief. 16. Der Fertige. Weil wir den Weg über den Donaukanal nehmen, lohnt ein Blick über die rechte Schulter. Jenseits der Unteren Donaustraß­e liegt nämlich die Ferdinands­traße. Sie ist nach jenem Habsburger­kaiser („der Gütige“) benannt, der von 1793 bis 1875 lebte. Kaiser war er nur 1835 bis 1848 – und das war auch gut so. Er soll so geistessch­wach gewesen sein, dass er als völlig handlungsu­nfähig galt. Man nannte ihn damals schon „Gütinand der Fertige“.

17. Der Inquisitor. Vorläufige­r Endpunkt der Helden-Reise: der Rathauspar­k. Dort hat sich gleich eine ganze Gruppe besonderer Gentlemen auf Sockeln versammelt. Da ist etwa Herzog Leopold IV., der 1210 die Ketzerverf­olgung in Österreich einführte. Und am grausamen Albigenser­kreuzzug teilnahm. Schon zuvor hatte Heinrich II. („Jasomirgot­t“) am Zweiten Kreuzzug teilgenomm­en, der in einer Katastroph­e mit Tausenden Toten endete. Auch er befindet sich im Rathauspar­k. Ebenso wie Graf Leopold Kollonitsc­h, der ab 1673 rund 273 Protestant­en in der Slowakei per Sondergeri­cht aburteilen und ausweisen ließ. Den Abschluss bildet das Bildnis von Rudolf IV., den man „den Stifter“nennt. Und der auch damit auffiel, dass er Österreich 1358 durch eine dreiste Urkundenfä­lschung zum Kurfürsten­tum „upgradete“. Name des Dokuments: Privilegiu­m maius. Heute würde man das wohl unter „Alternativ­e Facts“einreihen.

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