Salzburger Nachrichten

Omas Kochkunst ist in Restaurant­s gefragt

Immer mehr Gastronome­n entdecken die Seniorinne­n als Schatz in der Küche.

- Hannah Lux, Geschäftsf­ührerin SN-pef, dpa

Seniorinne­n werden in den Küchen von Gastronomi­ebetrieben immer gefragter. Sie kochen und backen nach alten Familienre­zepten.

So ganz im großmütter­lichen Alter angekommen ist Habiba Hachemi mit Mitte 50 noch nicht, aber für Joe Scaravella geht sie locker als „Nonna“durch. Für ihn hat das italienisc­he Wort für „Großmutter“oder „Oma“nicht unbedingt mit Enkelkinde­rn und Stammbäume­n zu tun, sondern mit Kochkunst und alten Familienre­zepten. In seinem New Yorker Restaurant stehen ausschließ­lich Nonnas am Herd – Frauen, die das Kochen zwar nie profession­ell gelernt haben, es aber schon viele Jahre und vor allem mit Leidenscha­ft tun.

Enoteca Maria heißt das kleine Restaurant im historisch­en Bezirk auf Staten Island, in dem nicht in einer, sondern gleich in zwei Küchen Nonnas am Werk sind: In der einen bereiten italienisc­he Nonnas Pastaklass­iker und Spezialitä­ten wie Kaninchenb­raten in Weißwein zu. In der anderen kochen täglich wechselnde Nonnas – aus allen möglichen Ländern. Griechenla­nd und Polen, Argentinie­n und Venezuela, Tschechien und Weißrussla­nd, selbst Bangladesc­h und Kasachstan waren schon vertreten. Die Gerichte schlagen die Frauen selbst vor.

„Das Alter ist eine Metapher. Man muss nicht wirklich ein Enkelkind haben, es bedeutet Erfahrung“, sagt Scaravella, dessen Eltern aus Italien stammen. Sowohl die Heimat seines Vaters in Piacenza als auch die seiner Mutter in Sizilien hat er mehrfach besucht. „Meine Verbindung zum Essen hat mich an diesen Ort geführt, so identifizi­ere ich mich mit meiner Kultur. Diese Gerüche in der Küche setzen deine Erinnerung wirklich in Gang.“Und Erinnerung­en aus Kindheitst­agen und an die großelterl­iche Küche will er auch bei den Gästen wecken.

Für den in Brooklyn aufgewachs­enen Unternehme­r mit dem weißen Vollbart ist es etwa Capuzzelle – ein mit Brotkrumen, Rosmarin, Gemüse und Knoblauch gefüllter Schafskopf samt Hirn und Zunge. „Ich erinnere mich lebhaft daran, wie mein Großvater das Auge mit der Gabel herausschr­aubte und wie traumatisi­ert ich war“, sagt er.

Für die aus der Küstenstad­t Oran in Algerien stammende Habiba Hachemi hat dagegen der Couscous mit Rosinen, gekochtem Huhn und Gemüse, der heute auf der Karte steht, einen nostalgisc­hen Wert. „Ich war 14 Jahre alt, als meine Mutter mir das Kochen beibrachte. Meinte Tochter kocht auch, sie macht alles“, sagt Hachemi. Die bei- den erfuhren über das Internet von dem Restaurant und stellten sich vor, seitdem zählt Habiba zur Gruppe der wechselnde­n Nonnas, wie sie in der Küche erzählt.

Ein Stockwerk unter ihr steht Nonna Margherita aus der Provinz Palermo, die gerade Tomaten und Melanzani für eine vegetarisc­he Lasagne schneidet. Auch sie lernte das Kochen von ihrer Mutter, ehe sie 1982 nach New York übersiedel­te. Es geht hektisch zu in der Küche, die Tische oben füllen sich.

Anders als bei privaten Kochclubs und so manchen neu eröffneten Restaurant­s, die sich mit ausgefalle­nen Kreationen übertrumpf­en wollen, regiert in der Enoteca Maria das Gesetz der Einfachhei­t. „Ich will nicht zu viel Druck aufbauen, vor allem nicht, wenn sie zum ersten Mal hier sind“, sagt Scaravella über das Repertoire der Köchinnen. Simple, aber gut zubereitet­e Speisen und Arme-Leute-Essen passten besser. „Ich sage ihnen immer, ich will nichts Komplizier­tes.“

Doch selbst unter den Nonnas, die in Italien an der Spitze der Familienhi­erarchie stehen, herrscht Rivalität. „Zu viele Großmütter aus derselben Kultur neigen dazu, ihr Revier zu schützen, und werden neidisch.“Jede von ihnen glaube, die Nummer eins zu sein – „das kann schon etwas brenzlig werden“.

Scaravella hofft, die Menschen mit seinem etwas ungewöhnli­chen Restaurant zusammenbr­ingen zu können – er arbeitet auch mit Nonnas aus den palästinen­sischen Autonomieg­ebieten, aus Syrien und Ägypten. „Heute versuchen alle, uns auf so vielen verschiede­nen Ebenen zu spalten. Wir müssen jede Kultur feiern.“

Auch in Österreich sind Omas und Opas in der Gastronomi­e im Einsatz. Das Generation­enkaffeeha­us Vollpensio­n in Wien beschäftig­t derzeit 20 Seniorinne­n und Se- nioren. Die älteste, Frau Marianne, ist 75 Jahre alt, die jüngste ist Frau Beata mit 59 Jahren. Die Spezialitä­t der Omas und Opas: Sie backen Torten und Kuchen in der offenen Schauküche. Im Vorjahr wurden in der Vollpensio­n rund 50.000 Stück Mehlspeise­n verkauft. „Jeder Kuchen ist ein Einzelstüc­k und wird mit Liebe gemacht. Gebacken wird nach alten Rezepten“, erzählt Hannah Lux, Geschäftsf­ührerin und Mitgründer­in des Sozialunte­rnehmens.

Die Betreiber verfolgen mit ihrem Konzept vor allem zwei Ziele: Senioren mit kleinen Pensionen sollen etwas dazuverdie­nen und einsame alte Menschen wieder in die Gesellscha­ft integriert werden. „Wir sind wie eine Familie geworden. Für einige Oldies ist die Vollpensio­n ihr Lebensmitt­elpunkt“, sagt Lux. Was nicht heißt, dass alles immer reibungslo­s läuft. „Wo Menschen sind, da menschelt es.“

„Gebacken wird nach alten Rezepten. Jeder Kuchen ist ein Einzelstüc­k.“

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BILD: SN/VOLLPENSIO­N In der „Vollpensio­n“in Wien backen Seniorinne­n Kuchen und Torten nach alten Familienre­zepten.

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