Die Bulgaren müssen wählen
Zum dritten Mal in nur drei Jahren muss sich das Parlament in Sofia neu formieren. Die Wahl am Sonntag ist ein Indiz dafür, wie instabil das Land zehn Jahre nach dem EU-Beitritt noch ist.
SOFIA, WIEN. In Sofia sind keine Rechtspopulisten vom Format eines Geert Wilders am Werk. Trotzdem blickt Brüssel am Sonntag ähnlich gespannt nach Bulgarien wie in der vergangenen Woche in die Niederlande. Denn bei den Parlamentswahlen zeichnet sich ein Kopf-anKopf-Rennen zwischen dem ehemaligen Premier Bojko Borissow ab, der einen EU-freundlichen Kurs fährt, und der Sozialistin Kornelia Ninova, die das Land stärker Richtung Moskau ausrichten will.
Wird Ninova der nächsten bulgarischen Regierung vorstehen, dürfte Brüssel stärkeren Gegenwind aus Sofia spüren. Die 48-Jährige, die seit vergangenem Mai den Sozialisten vorsteht, spart nicht mit Kritik an Brüssel. Vor allem nicht, wenn es um die Sanktionen gegen Russland geht, unter denen Bulgarien ihrer Ansicht nach stärker zu leiden habe als andere EU-Länder.
In Richtung Moskau geschwenkt ist Bulgarien bereits bei der Präsidentenwahl im November. Der sozialistische Kandidat, der ehemalige General Rumen Radew, ist seither im Amt. Sein Sieg gegen die Kandidatin des damals amtierenden Premiers Borissow hatte den Ausschlag für Neuwahlen gegeben: Borissow hatte für den Fall einer Niederlage seiner Kandidatin seinen Rücktritt angekündigt.
Innerhalb von vier Jahren, so lange dauert eigentlich die Amtsperiode der Regierung, hat Bulgarien damit bereits seine sechste Regierung erhalten, zählt man die Übergangskabinette mit. Es ist nur ein Zeichen der Instabilität, die das Land auch zehn Jahre nach dem Beitritt zur Europäischen Union prägt: Auch wirtschaftlich und in Sachen Rechtstaatlichkeit hinkt Bulgarien nach.
Das Land ist weiterhin das ärmste in der EU, gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf. Nachholbedarf gibt es auch bei der Bekämpfung von Korruption und organisiertem Verbrechen. Zudem ist das Justizsystem nach zehn Jahren noch immer nicht auf dem Stand, den die EU ihren Mitgliedern vorschreibt.
Bulgarien war, ebenso wie Rumänien, zum Zeitpunkt des EU-Beitritts eigentlich keine Beitrittsreife attestiert worden, was die genannten Dinge betrifft. Die EU stellte beide Länder daher unter einen Kontrollmechanismus. In dessen Rahmen wird regelmäßig überprüft, ob notwendige Reformen auch umgesetzt werden. Alle sechs Monate erstellt die EU-Kommission Fortschrittsberichte. Hinter Beurteilungen wie „sehr beschränkte Fortschritte“oder Reformen „in frühem Stadium“steckt die Kritik: Bulgarien tut zu wenig.
Eine effektive Anti-KorruptionsBehörde, wie sie Rumänien längst eingerichtet hat, gibt es in Bulgarien noch immer nicht. Die Justizreform geht sehr langsam voran. „Einigen Fortschritt“attestierte die EU-Kommission zuletzt beim Kampf gegen organisierte Kriminalität, so gebe es zumindest weniger offene Gewalt. Notwendig sei aber weiterhin, den kriminellen Banden die finanziellen Grundlagen zu entziehen.
Im laufenden Wahlkampf kündigen die Parteien unter anderem an, diese Probleme anzugehen. Eine hat sich diesem Ziel gänzlich verschrieben: Die erst im Jänner gegründete Partei „Yes, Bulgaria“hat sich bislang weder links noch rechts im politischen Spektrum positioniert. Oberstes Ziel sei es, die Korruption zu bekämpfen und den Staat von der Mafia zurückzugewinnen, sagte Hristo Ivanov, der Gründer der Bewegung. Der ehemaliger Justizminister Bulgariens trat im vergangenen Jahr zurück, nachdem er seine Justizreform nicht durchbrachte. Der Kampf gegen Korruption und Mafia ist seiner Ansicht nach „der Schlüssel, um alle anderen Ziele zu erreichen“.
Derzeit liegt „Yes, Bulgaria“in den Umfragen aber noch im niedrigen einstelligen Bereich. Das mag zum einen an der kurzen Zeit liegen, die es die Partei erst gibt, zum anderen aber an der Themenvielfalt, die den bulgarischen Wahlkampf diesmal ausmacht: Neben dem Dauerthema Korruption beschäftigen das Pensions- und Gesundheitssystem die Bulgaren. Dazu kommen fast noch dringlicher außenpolitische Fragen. Die Russland-Sanktionen treffen die bulgarische Wirtschaft, die eng mit Moskau verflochten ist. Der Flüchtlingsstreit mit der Türkei wirkt sich direkt auf das Land aus, das eine fast 300 Kilometer lange Grenze zur Türkei hat – und eine große türkische Minderheit im eigenen Land.