Ein Semmerl wird zur Kunst Erwin Wurm passt zu Carl Spitzweg
Weltkünstler Erwin Wurm kehrt mit einer fulminanten Nachdenk-Ausstellung zurück nach Graz.
Hat da ein Besucher auf respektlose Weise seine Vormittagsjause abgestellt und sie dann dort vergessen? Die Extrawurstsemmel mit Gurkerl, die da auf dem rechten Knie der „Liegenden Figur“von Fritz Wotruba ruht, stellt Fragen. Berühren (oder auch reinbeißen) ist aber verboten und bald schon wird klar, dass es sich um eine künstlerische Intervention, um ein Gedankenkunstwerk handelt. Der klassische österreichische Zwischendurch-Snack verleiht der ebenso klassischen Skulptur des Wiener Bildhauers einen durchaus bekömmlichen subversiven Geschmack. Wie jetzt? Was jetzt? Bilden Weckerl plus Zementguss ein neues Kunstwerk? Eines, das mit Augenzwinkern Wotrubas Schwere infrage stellt?
„Die Wurstsemmel bleibt eine Wurstsemmel. Sie hat keine Botschaft. Nur die, dass die fertige Skulptur eines Kollegen zum Material für eine neue Arbeit von mir wird“, wird Erwin Wurm im Katalog zur Ausstellung „Fußballgroßer Tonklumpen auf hellblauem Autodach“im Grazer Kunsthaus zitiert. Zusätzlich räumt er ein, dass er sich keinesfalls über einen Künstlerkollegen lustig machen möchte. Die Wurstsemmelarbeit – Wurm nennt sie „Ohne Titel“– folge bloß seiner These, dass alles, was uns umgebe, zu einem Kunstwerk werden könne. Konkret: Die Figur wird zum Sockel, das essbare Alltagsobjekt zum Artefakt. Nicht immer gelingen dem im steirischen Bruck an der Mur geborenen Künstler die Umsetzungen seiner Ideen, die den Skulpturbegriff neu zu definieren versuchen: In England war man not amused, als Wurm einer Henry-Moore-Skulptur einen Pullover anziehen wollte. Zum kreativen Entstauben in der Wunderkammer der Kunstgeschichte gehören eben zwei. In Graz durfte Wurm in der Sammlung der Neuen Galerie mehrere Arbeiten für Bedeutungsverschiebungen auswählen
Erwin Wurm, zurück in Graz: Wilfried Skreiner hatte ihn weiland gefördert, in der Neuen Galerie startete seine Weltkarriere. 2002 widmete Peter Weibel dem Steirer, der insbesondere durch seine „One Minute Sculptures“in die Topliga aufgestiegen ist, eine Personale. Seither gab es – bedingt durch Ressentiments in der einstigen Universalmuseum-Joanneum-Führungsetage – keine umfassende Werkpräsentation mehr in Wurms Heimat. Anlass für die längst fällige, fulminante Schau ist nun die Zuerkennung des steirischen Würdigungspreises an den 62-Jährigen.
Für Graz realisierte Erwin Wurm eine „Kletterskulptur“aus Styropor, aufbauend auf einer Plastik von Josef Pillhofer. Diese darf, wie „Rauschenberg an Wurm“, eine Synthese auf Zeit – bestehend aus einer Riesengurke und einem Kartonschachtel-Multiple des US-PopartHeroen – nicht angefasst werden. „Bitte zugreifen“, heißt es hingegen beim Objekt „Rotlicht“, bei dem Besucher dazu animiert werden, einen leeren Farbkübel auf den Kopf zu stülpen, um einen Lampenschirm zu imitieren: die Handlung wird zur Skulptur. Kurator Günther HollerSchuster lässt zudem ein monströses, 40 Meter langes, rosafarbenes Pulloverobjekt („Weltraumschwitzer“) den Raum teilen, auf Podesten sagen Akteure Sätze wie „Über ein Bett gehen und dabei einsinken wie im Schnee und eine Spur hinterlassen“. Mit wunderbaren Wortskulpturen im Kopf zieht man von dannen. Hinter Wurms spielerischem Witz lauern unter anderem Paradoxien, Innovation und Poesie.
Um Erwin Wurm ist ja in der Kunstszene ein Griss, und auch das Leopold-Museum in Wien kommt nicht am Steirer vorbei, der bei der Biennale in Venedig heuer mit Brigitte Kowanz Österreich vertreten wird. Hans-Peter Wipplinger organisierte im Leopold-Museum eine große Carl-Spitzweg-Ausstellung und fand, dass Erwin Wurm gut zum „Bücherwurm“– und anderen Spitzweg-Gemälden – passen könnte. Wie Spitzweg hat ja auch Wurm einen feinen, kritisch-reflektierten Humor. Und wenn Spitzwegs „Bücherwurm“auf der Leiter stehend seine Bibliothek genießt, so ist etwa auf einem Wurm-Foto eine Frau als „Bücherregal“ein passendes Gegenstück. Diese wenigen Wurm-Zutaten geben der Schau eine Würze, lenken aber nicht ab vom großen Biedermeier-Maler. Ausstellung: