Salzburger Nachrichten

Ein „Eugen Onegin“wie damals bei der Uraufführu­ng

- DEREK WEBER

Die 1817 gegründete Wiener Hochschule für Musik und darstellen­de Kunst feiert heuer ein rundes Jubiläum. Was läge da näher, als ein Werk in den Vordergrun­d zu rücken, das vor langer Zeit an einer ebensolche­n Institutio­n aus der Taufe gehoben wurde? Pjotr Iljitsch Tschaikows­kis 1879 uraufgefüh­rte „Lyrische Szenen“nach Puschkins Versroman „Eugen Onegin“kennt man aus großen Opernhäuse­rn in oft zu lauten Aufführung­en. Und ebendiese Produktion­en entspreche­n nicht der Version, die am 29. März 1879 bei der Uraufführu­ng im Moskauer Maly-Theater zu hören war: nämlich eine lyrische Oper, grundiert von einem kammermusi­kalisch besetzten Orchester und gesungen von Studierend­en des Moskauer Konservato­riums unter der Leitung Nikolai Rubinstein­s. Erst zwei Jahre später hatte die revidierte Fassung für großes Orchester am Bolschoi-Theater Premiere.

Der Unterschie­d liegt auf der Hand: Vorgeführt werden nun wirklich „lyrische Szenen“, in denen klein besetzte Chöre von der russischen Volksmusik beeinfluss­te Musik zum Besten geben. Und was für Stimmen in der „kleinen“Fassung! Da treten wirklich junge Menschen auf, die ohne Rücksicht auf Konvention­en ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Die – wie Tatjana, die weibliche Hauptfigur – leiden, weil sie zu großen Gefühlen fähig sind, oder – wie Tatjanas Schwester Olga – naiv auf Onegins Launen hereinfall­en und nicht begreifen, wozu sie instrument­alisiert werden. Lenski ist ein romantisch­er Jüngling, der nicht verstehen kann, dass einer wie Onegin so provokant flirtet, dass er ihn als sein bester Freund zum Duell fordern muss, weil er in seiner tiefsten Seele verletzt ist.

Für so ein Werk ist das Schönbrunn­er Schlossthe­ater der ideale Aufführung­sort, für den der Bühnenbild­ner (Daniel Sommergrub­er) geometrisc­h bewegliche Klötze erfunden hat. Die Regie (Alexander Hauer) verzichtet auf Mätzchen und lässt die Handlung im frühen 19. Jahrhunder­t spielen (Kostüme: Julia Klug), bemüht sich um klare Charakterz­eichnung und ruhige Personenfü­hrung. Ganz ausgezeich­net spielt das hauseigene Webern-Symphonie-Orchester unter Peter Marschik. Und mindestens so beeindruck­end sind die Leistungen der jungen Sänger. Eine Fundgrube für Talente-Scouts.

Newspapers in German

Newspapers from Austria