Salzburger Nachrichten

Bewaffnete Frauen lüften ihre Kleider

Drei Jahrhunder­te lang sind die sich entblößend­en Frauen nicht verstanden worden. Eine Kunsthisto­rikerin entdeckt nun ihre Geschichte.

- Otto van Veen, Starke Frauen, Ansichtssa­che #18, Kunsthisto­risches Museum, Wien, bis 16. Juli.

Ist es ein neuer Zeitgeist? Ist es der Blick einer Frau, dank dem ein Gemälde des Kunsthisto­rischen Museums in Wien jetzt enträtselt ist? Beinahe 300 Jahre, in denen fast nur Männer darüber entschiede­n haben, blieben diese „Amazonen“im Depot. Erstmals, seit sie – vermutlich von Kaiser Rudolf II. erworben – die Prager Burg verlassen haben, werden sie nun ausgestell­t.

Ab heute, Freitag, sind die „Amazonen“, gemalt von Otto van Veen um 1600 in Antwerpen, eine „Ansichtssa­che“. Unter diesem Titel stellt das Kunsthisto­rische Museum außergewöh­nliche Stücke seiner Sammlung vor. Die „Ansichtssa­che #18“ist so spektakulä­r, dass sie von einer Broschüre begleitet wird, in der neue Forschung und frische Restaurier­ung geschilder­t werden.

Das Rätsel diese Bildes beginnt in seinem Hintergrun­d. Da sind zwei bewaffnete Gruppen – links Frauen, rechts Männer. Auch die im Vordergrun­d sich entblößend­en Frauen sind Kämpferinn­en; sie legen Kleider, Helme, Harnische und Waffen ab, um dann rechts mit je einem Mann in den Wald abzupasche­n.

Sie kenne kein einziges Bild zu diesem Thema, erläutert die Kuratorin Gerlinde Gruber. Sie und ihre Kollegen hätten lange gebraucht, um das Dargestell­te zu verstehen.

Die „Amazonen“dümpelten mit einem zweiten Gemälde im Depot: den „Perserinne­n“. „Das ist noch ärger“, schildert Gerlinde Gruber. Während die Amazonen gutmütig verführend ihre Kleider ablegen, heben die Perserinne­n kämpferisc­h ihre Röcke, um halbnackt ihren Männern zu drohen. Denn diese flohen aus der attackiert­en Stadt. Da liefen ihnen die zurückgela­ssenen Frauen nach, hoben ihre Röcke und riefen: „Wohin wollt ihr Feigherzig­en?“Solch Anblick und Rede soll die Perser so entsetzt haben, dass sie umdrehten, die Stadt verteidigt­en und die Feinde besiegten.

Diese Episode hat Plutarch geschilder­t. Von dem dürfte der belesene Otto van Veen das Motiv der „Perserinne­n“bezogen haben. Jenes der Amazonen hat er bei Herodot gefunden. Demnach sollen die kämpferisc­hen Frauen im Land der Skythen geraubt und geplündert haben. Da schickten die Skythen ihre jüngsten Soldaten zu den Kriegerinn­en, um mit ihnen Nachkommen zu zeugen, was den Amazonen recht war. Doch sie wollten sich nicht bei den Skythen integriere­n. Also brachten sie die jungen Män- ner dazu, sich ihr Erbe auszahlen zu lassen. Gemeinsam gründeten sie den Stamm der Saromaten. In diesem konnten Frauen reiten, allein jagen, Männerklei­der tragen und in den Krieg ziehen. Eine Frau durfte sogar erst heiraten, wenn sie drei Männer besiegt hatte.

Warum sind die zwei Bilder erst jetzt entschlüss­elt? Da es auf Kuratorene­bene einen Generation­enwechsel gegeben habe, „kommen neue Blickwinke­l“, erläutert Gerlinde Gruber. Zudem habe dies die US-Künstlerin Rebecca Quaytman ermöglicht, die sich damit künstleris­ch befasse und die Restaurier­ung finanziert habe. Davon inspiriert­e Werke sowie Otto van Veens „Perserinne­n“werden ab November in der Wiener Secession gezeigt.

Auch auf die „Amazonen“harrt noch Größeres: die Rubens-Ausstellun­g des Kunsthisto­rischen Museums ab 17. Oktober. Otto van Veen sei „wichtigste­r Lehrer“von Peter Paul Rubens gewesen, sagt Gerlinde Gruber. An den beiden Gemälden der starken Frauen lasse sich ablesen, woher Rubens seine so typische Malweise für Frauen habe. Ausstellun­g:

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BILD: SN/KHM „Amazonen“von Otto van Veen im Kunsthisto­rischen Museum in Wien.

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