Bewaffnete Frauen lüften ihre Kleider
Drei Jahrhunderte lang sind die sich entblößenden Frauen nicht verstanden worden. Eine Kunsthistorikerin entdeckt nun ihre Geschichte.
Ist es ein neuer Zeitgeist? Ist es der Blick einer Frau, dank dem ein Gemälde des Kunsthistorischen Museums in Wien jetzt enträtselt ist? Beinahe 300 Jahre, in denen fast nur Männer darüber entschieden haben, blieben diese „Amazonen“im Depot. Erstmals, seit sie – vermutlich von Kaiser Rudolf II. erworben – die Prager Burg verlassen haben, werden sie nun ausgestellt.
Ab heute, Freitag, sind die „Amazonen“, gemalt von Otto van Veen um 1600 in Antwerpen, eine „Ansichtssache“. Unter diesem Titel stellt das Kunsthistorische Museum außergewöhnliche Stücke seiner Sammlung vor. Die „Ansichtssache #18“ist so spektakulär, dass sie von einer Broschüre begleitet wird, in der neue Forschung und frische Restaurierung geschildert werden.
Das Rätsel diese Bildes beginnt in seinem Hintergrund. Da sind zwei bewaffnete Gruppen – links Frauen, rechts Männer. Auch die im Vordergrund sich entblößenden Frauen sind Kämpferinnen; sie legen Kleider, Helme, Harnische und Waffen ab, um dann rechts mit je einem Mann in den Wald abzupaschen.
Sie kenne kein einziges Bild zu diesem Thema, erläutert die Kuratorin Gerlinde Gruber. Sie und ihre Kollegen hätten lange gebraucht, um das Dargestellte zu verstehen.
Die „Amazonen“dümpelten mit einem zweiten Gemälde im Depot: den „Perserinnen“. „Das ist noch ärger“, schildert Gerlinde Gruber. Während die Amazonen gutmütig verführend ihre Kleider ablegen, heben die Perserinnen kämpferisch ihre Röcke, um halbnackt ihren Männern zu drohen. Denn diese flohen aus der attackierten Stadt. Da liefen ihnen die zurückgelassenen Frauen nach, hoben ihre Röcke und riefen: „Wohin wollt ihr Feigherzigen?“Solch Anblick und Rede soll die Perser so entsetzt haben, dass sie umdrehten, die Stadt verteidigten und die Feinde besiegten.
Diese Episode hat Plutarch geschildert. Von dem dürfte der belesene Otto van Veen das Motiv der „Perserinnen“bezogen haben. Jenes der Amazonen hat er bei Herodot gefunden. Demnach sollen die kämpferischen Frauen im Land der Skythen geraubt und geplündert haben. Da schickten die Skythen ihre jüngsten Soldaten zu den Kriegerinnen, um mit ihnen Nachkommen zu zeugen, was den Amazonen recht war. Doch sie wollten sich nicht bei den Skythen integrieren. Also brachten sie die jungen Män- ner dazu, sich ihr Erbe auszahlen zu lassen. Gemeinsam gründeten sie den Stamm der Saromaten. In diesem konnten Frauen reiten, allein jagen, Männerkleider tragen und in den Krieg ziehen. Eine Frau durfte sogar erst heiraten, wenn sie drei Männer besiegt hatte.
Warum sind die zwei Bilder erst jetzt entschlüsselt? Da es auf Kuratorenebene einen Generationenwechsel gegeben habe, „kommen neue Blickwinkel“, erläutert Gerlinde Gruber. Zudem habe dies die US-Künstlerin Rebecca Quaytman ermöglicht, die sich damit künstlerisch befasse und die Restaurierung finanziert habe. Davon inspirierte Werke sowie Otto van Veens „Perserinnen“werden ab November in der Wiener Secession gezeigt.
Auch auf die „Amazonen“harrt noch Größeres: die Rubens-Ausstellung des Kunsthistorischen Museums ab 17. Oktober. Otto van Veen sei „wichtigster Lehrer“von Peter Paul Rubens gewesen, sagt Gerlinde Gruber. An den beiden Gemälden der starken Frauen lasse sich ablesen, woher Rubens seine so typische Malweise für Frauen habe. Ausstellung: