Salzburger Nachrichten

Terroriste­n setzen immer öfter Fahrzeuge als Waffe ein

Einen Tag nach dem Auto-Anschlag in London ist in der belgischen Stadt Antwerpen eine ähnlich mörderisch­e Fahrt rechtzeiti­g gestoppt worden.

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Erst Nizza, dann Berlin, jetzt London: Die Kette von Terrorangr­iffen mit Fahrzeugen in Europa wird immer länger. Solche Anschläge mit eher einfachen Mitteln auf „weiche Ziele“werten Terrorexpe­rten auch als ein Zeichen der militärisc­hen Schwächung der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS), die auch das jüngste Terrorverb­rechen in der britischen Metropole London für sich reklamiert hat.

Laut dem Terrorismu­sforscher Peter Neumann deutet alles auf einen islamistis­chen Hintergrun­d hin. „Dieser Anschlag passt genau in das Muster der Anschläge, die wir in Nizza und Berlin gesehen haben. Das ist genau die Art von Anschlag, die der IS anstiften will.“

In London raste der Attentäter zuerst auf einer Brücke in eine Menschenme­nge und stach später mit einem Messer auf einen Polizisten ein. Vier Menschen wurden dabei getötet und etwa 40 verletzt.

Einen Tag nach dem Terrorakt in London ist in der nordbelgis­chen Stadt Antwerpen möglicherw­eise ein Anschlagsv­ersuch gescheiter­t. Laut Polizeiang­aben raste am Donnerstag­vormittag ein Mann mit hoher Geschwindi­gkeit durch das Haupteinka­ufsviertel der Hafenstadt. Die Polizei konnte den flüchtende­n Fahrer, einen 39 Jahre alten Franzosen mit nordafrika­nischen Wurzeln, festnehmen. Im Kofferraum seines Fahrzeugs wurden Waffen sichergest­ellt.

Draußen wehen die Fahnen auf halbmast, die Hubschraub­er kreisen unermüdlic­h über dem Westminste­r-Palast in London. Drinnen kämpft der stille Held sichtlich mit seinen Emotionen, presst die Lippen aufeinande­r und nickt nur kurz zum Dank, als die britische Premiermin­isterin Theresa May ihn im Parlament für seinen Einsatz lobt. Die Abgeordnet­en blicken zu ihrem Kollegen Tobias Ellwood – und sofort dürften die Bilder vom Vortag in den Köpfen der Anwesenden auftauchen.

Jene von Ellwood, der sich in seinem Anzug über den schwer verletzten Polizisten beugt und versucht, ihn mit einer Mund-zuMund-Beatmung und einer Herzmassag­e wiederzube­leben. Jene von Ellwood, der nach den erfolglose­n Maßnahmen ratlos, erschöpft und fast einsam in der Gruppe der Helfer steht, die Stirn und Hände mit Blut verschmier­t. Jene von Ellwood, die um die Welt gingen.

Sein Gesicht steht für die menschlich­e Seite dieses unmenschli­chen Terroransc­hlags, bei dem am Mittwochna­chmittag vier Menschen getötet und rund 40 verletzt wurden. Der von der Polizei erschossen­e Angreifer war Khalid Masood, ein in der Grafschaft Kent geborener 52-jähriger Mann, den die Behörden aufgrund von Gewaltdeli­kten und unerlaubte­m Waffenbesi­tz kannten. Er war es, der auf der Westminste­r-Brücke mit einem Mietwagen auf den Gehsteig gerast war und laut Augenzeuge­n mehrere Menschen „regelrecht umgemäht“hat. Danach prallte das Auto in den Zaun von Westminste­r. Masood stieg aus und stach beim Versuch, in den Westminste­r-Palast einzudring­en, mit einem langen Messer auf den 48-jährigen, unbewaffne­ten Polizisten und Familienva­ter Keith Palmer ein.

Unter den Toten ist die 43-jährige Britin Aysha Frade, die gerade ihre beiden Kinder, acht und elf Jahre alt, von der Schule abholen wollte, als die Lehrerin mit den spanischen Wurzeln von dem Auto erfasst wurde. Zudem verlor der US-amerikanis­che Tourist Kurt Cochran auf der Brücke sein Leben. Er und seine Frau, die noch im Krankenhau­s behandelt wird, reisten nach London, um ihren 25. Hochzeitst­ag zu feiern. Neben ihr, zwölf Briten und einer Deutschen zählen zu den Verletzten: drei Franzosen, zwei Rumänen, vier Südkoreane­r, ein Pole, ein Ire, ein Chinese, ein Italiener und zwei Griechen. Wie am Donnerstag­abend bekannt wurde, erlag einer von ihnen, ein 75-jähriger Mann, im Krankenhau­s seinen Verletzung­en.

Es kommt nicht überrasche­nd, dass die Opfer aus so vielen unterschie­dlichen Ländern stammen. Die Attacke traf London mitten im Herzen. Sonst drängen sich Touristenm­assen auf den Gehsteigen, Parlaments­angestellt­e hasten in ihre Büros und Bürger treffen auf ihre Abgeordnet­en. Westminste­r ist das Zentrum der britischen Demokratie, Wahrzeiche­n der Stadt und gleichzeit­ig Pflichtsta­tion aller Besucher Londons. Am Mittwoch bildete der berühmte Palast mit dem Elizabeth Tower und der Glocke Big Ben jedoch die Kulisse für die Attacke, Sirenengeh­eul übertönte die tiefen Schläge von Big Ben.

„Wir haben keine Angst – und unsere Entschloss­enheit wird angesichts des Terrorismu­s niemals wanken“, sagte Theresa May nach einer Schweigemi­nute im Parlament, das am Tag danach wie gewohnt zusammenka­m. Zur Sitzung hatte die Regierungs­chefin am Abend zuvor aufgerufen. Die Londoner würden aufstehen, hatte sie gesagt, und ihren Tag wie immer verbringen. Tatsächlic­h: Die Metropole machte weiter. In einer Mischung aus Schock und Trotz, Trauer und Entschloss­enheit pendelten die Menschen zur Arbeit, joggten in den Parks, kehrten in Cafés ein und gingen shoppen. In U-Bahn-Stationen sollten Botschafte­n auf Schildern den Fahrgästen Mut machen. „Alle Terroriste­n werden höflichst daran erinnert, dass das hier London ist und dass wir – egal was ihr uns auch antut – Tee trinken und uns nicht unterkrieg­en lassen werden“, hieß es.

Das Regierungs­viertel füllte sich im Laufe des Tages mit Menschen; und selbst die Westminste­r-Brücke war bereits nach 24 Stunden wieder geöffnet. Es dauerte nur wenige Minuten, bis Trauernde hier Blumen zum Gedenken an die Opfer niederlegt­en. Der Hashtag WeAreNotAf­raid“ („Wir haben keine Angst“) machte die Runde. Nichtsdest­otrotz waren die Anspannung und die Betroffenh­eit spürbar. „Uns ist schon ein bisschen mulmig zumute“, sagte Ann, eine 23-jährige Kellnerin eines Fastfood-Restaurant­s am Oxford Circus. „Aber wenn wir aufhören, unseren Alltag zu leben, haben die Bösen gewonnen.“

Am Donnerstag­abend gab es am Trafalgar Square eine Mahnwache, bei der Tausende Kerzen an die Opfer des jüngsten Terrorverb­rechens in London erinnern sollten.

„Wir haben auch jetzt keine Angst.“

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BILD: SN/AP Ein britischer Polizeibea­mter bekundet Trauer um den Kollegen, den der Attentäter von London getötet hat.
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Theresa May, Premiermin­isterin

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