Hofübergabe in Blau-Gelb
Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll übergibt an Johanna Mikl-Leitner. Sie schlüpft in große Schuhe.
„War alles ganz anders? Sind wir alle Nachfahren von Außerirdischen?“– Nein, sorry, wir haben uns um eine Woche vertan. Dieser Programmpunkt im Veranstaltungszentrum St. Pölten findet erst kommenden Freitag statt, wenn der bekannte Ufologe Erich von Däniken zum Vortrag bittet, Karten um 29,90 Euro im Vorverkauf.
Am gestrigen Freitag hieß der Programmpunkt in dem stylishen St. Pöltner Veranstaltungszentrum: Erwin Pröll. Der langjährige und schon zu Lebzeiten legendäre Landeshauptmann hatte zu einem zweitägigen Landesparteitag gebeten, und der erste Tag – nämlich gestern – stand, abgesehen von den üblichen statutarischen Beschlüssen und der obligaten Totenehrung, zu hundert Prozent im Zeichen des großen Scheidenden. In der Einladung las sich das so: „Rede des Landesparteiobmanns Landeshauptmann Dr. Erwin Pröll. Die Volkspartei Niederösterreich sagt Danke.“
Der zweite Programmpunkt – er heißt: Johanna Mikl-Leitner – steht erst heute, Samstag, auf der Agenda des Parteitags. Die Delegierten werden der durch etliche Jahre in der niederösterreichischen Landesregierung und im Innenministerium gestählten Wunschnachfolgerin Prölls ein vorzügliches Wahlergebnis bescheren, wenn sie sich heute um das Amt der Parteichefin bewirbt. Ihre Wahl zur Landeshauptfrau durch den Landtag ist dann nur noch eine Formsache.
Den Dank, den ihm seine Parteifreunde gestern reichlich spendeten, hat sich Erwin Pröll redlich verdient. Man muss sich nur die Wahlergebnisse ansehen. Bei seinem ersten Antreten bei der Landtagswahl 1993 erzielte Erwin Pröll respektable 44 Prozent. Nicht übel. Doch seit 1998 bewegt sich der Stimmenanteil regelmäßig über der 50-Prozent-Marke. Bei seinem letzten Antreten 2013 schaffte Pröll mit seiner ÖVP 50,8 Prozent und legte den Rekordabstand von fast 30 Punkten zwischen die Volkspartei und die SPÖ, die auf 21,6 Prozent absackte. Den 56-köpfigen Landtag dominiert Pröll mit seinen 30 Mandataren nach Belieben.
Die übrigen Parteien? Kaum vorhanden. Die SPÖ hält bei 13 Sitzen, Freiheitliche und Grüne jeweils bei mageren vier. Das Team Stronach erzielte immerhin fünf Mandate, hat sich aber in der Zwischenzeit durch mehrfache Spaltung selbst marginalisiert.
Johanna Mikl-Leitner muss in große Schuhe schlüpfen – doch sie steht auf den Schultern eines Riesen. Eines Riesen, der seine Allmacht nicht nur seine niederösterreichischen Untertanen spüren ließ, sondern auch seine Parteifreunde an der Spitze der BundesÖVP. Erwin Pröll wagte nie den Schritt in die Bundespolitik, er zog lieber von St. Pölten aus die Fäden, etwa wenn er seine Vorstellungen in der Bildungspolitik durchsetzte. Oder als er mitten im Präsidentschaftswahlkampf seinem Parteichef Mitterlehner seinen langjährigen Finanzlandesrat Wolfgang Sobotka als Innenminister in die Regierung setzte, um Platz zu schaffen in der Landesregierung für seine Lieblingsschülerin Mikl-Leitner.
„Ich war nie ein Fürst, sondern immer ein gewählter Landeshauptmann.“ Erwin Pröll, Landeshauptmann
Neben diesem Pröll, für den die Zuschreibung „durchsetzungsfähig“eine Untertreibung ist, gab es noch den anderen Pröll: nämlich jenen, der die Künstler aus Niederösterreich und Umgebung mit jeder Menge Geld und Zuwendung bedachte, der zwischen Grafenegg und Donaufestival künstlerische Akzente setzen ließ und in diesem Bestreben die Parteipolitik weit hinter sich ließ. Künstler wie Manfred Deix, Hermann Nitsch und Arnulf Rainer, die man keinesfalls im Umfeld der ÖVP verorten würde, fanden dank Pröll in Niederösterreich eine Heimstatt. „Es mag sein, dass dieses Engagement manche verstört hat“, bekannte Pröll. Doch die Kunst diene dazu, den Blick zu schärfen, auch wenn sie verstöre. Der scheidende Landesvater nutzte seine letzte Parteitagsrede nicht nur für Bilanz und Rückblick, sondern auch für starke Ansagen. „Wenn Projekte wie die dritte Piste des Flughafens Schwechat von Gerichten verhindert werden und wenn das von unseren Grünen noch bejubelt wird, dann schadet das unserem Standort und vernichtet Arbeitsplätze“, rief er. Und: Politik bedeute, Entscheidungen nicht an die Gerichte zu delegieren, sondern „mutig selber handeln!“.
Fast genau ein Vierteljahrhundert stand Erwin Pröll an der Spitze des Landes, die Landes-ÖVP hat er am 6. April 1992 übernommen. Bundespräsident war damals Kurt Waldheim, Bundeskanzler Franz Vranitzky. In Deutschland regierte Helmut Kohl, in Russland Boris Jelzin, in den USA George Bush senior. Die EU hatte nur zwölf Mitglieder, Österreichs Beitritt lag noch in der Ferne.
Niederösterreich sei in all diesen Jahren, als der Eiserne Vorhang noch frisch in Erinnerung war, vom politischen Rand ins Zentrum Europas gerückt, sagte Pröll. Der es freilich nicht bei Reminiszenzen bewenden ließ, sondern ansatzlos auch kämpferische Töne anschlug. Beziehungsweise: manche Dinge ins rechte Licht rückte, wie er das nannte. Gegen Zentralisten und Länderfeinde, gegen Einkommensmilliardäre, die sich politische Parteien kauften, gegen unseriöse Journalisten und kecke Zeitgenossen, die ihn als „Landesfürst“bezeichnet hätten. „Ich war nie ein Fürst, sondern immer ein gewählter Landeshauptmann, der sein Herz bei den Menschen hatte!“
Seiner Nachfolgerin Johanna Mikl-Leitner streute Pröll reichlich Rosen. Diese habe sich als Marketingleiterin der ÖVP, als Landesgeschäftsführerin, als Landesrätin, als Innenministerin und schließlich als Vizelandeshauptfrau bewährt. Sie werde das auch als Landeshauptfrau tun. Langer, tränenreicher Applaus der Delegierten, feuchte Augen beim Landeshauptmann. Eine Ära ist zu Ende gegangen.