Der Anfang vom Ende in der EU
Die britische Premierministerin Theresa May hat offiziell den Antrag zum Austritt Großbritanniens aus der EU gestellt. Die Bevölkerung bleibt aber tief gespalten über der Frage.
LONDON. Die Abgeordneten wussten seit Monaten, was kommen sollte. Trotzdem strömten sie gestern, Mittwoch, in Scharen in das brechend volle Parlament, um Zeugen eines historischen Moments zu werden: Premierministerin Theresa May verkündete den Austritt Großbritanniens aus der EU. Es ist das erste Land in der Geschichte, das die Gemeinschaft verlässt.
Um 13.25 Uhr Brüsseler Zeit hatte der britische EUBotschafter Tim Barrow den von May unterzeichneten Brief an EU-Ratspräsident Donald Tusk überreicht, mit dem London Artikel 50 auslöst. Kurz danach richtete May ihre Worte im Unterhaus an die Politiker-Kollegen und an das Volk. Der 29. März sei „ein Tag zum Feiern für die einen, für andere enttäuschend“. Jetzt sei es jedoch an der Zeit „zusammenzukommen“, forderte sie zur Einheit auf. Damit hat der Anfang vom Ende begonnen. Das Königreich wird in zwei Jahren aus der Staatengemeinschaft ausscheiden. 44 Jahre hielt die Verbindung. Spätestens seit Margaret Thatcher in Downing Street residierte, gehörte es für Premierminister zum guten Ton, gegen die EU zu wettern und den Sündenbock in Brüssel zu suchen. Trotzdem, dass es jemals zur Trennung kommen könnte, hat kaum jemand erwartet.
Sowohl in ihrer Rede als auch in dem sechsseitigen Schreiben schlug May gegenüber Brüssel einen deutlich versöhnlicheren Ton an, als dies in den vergangenen Wochen der Fall war. Das Mantra, das seit Monaten regelmäßig von Regierungsvertretern bemüht wird, fehlte auch gestern nicht: „Wir verlassen die Europäische Union, aber wir verlassen nicht Europa.“Es gehe vielmehr darum, „die Kontrolle über jene Dinge zu übernehmen, die uns am wichtigsten sind“. Das Referendum sei ein Votum zur Wiederherstellung der nationalen Souveränität gewesen. Dann brandete höhnisches Gelächter auf, als May meinte: „Vielleicht jetzt mehr denn je braucht die Welt die liberalen, demokratischen Werte Europas – Werte, die das Vereinigte Königreich teilt.“Sie wünsche sich eine „tiefe und besondere Partnerschaft“mit der EU, die „wirtschaftliche und sicherheitspolitische Zusammenarbeit“beinhalten solle.
Wie gespalten die Gesellschaft über der EU-Frage ist, zeigte sich am Zeitungskiosk. Es sei ein „Sprung ins Unbekannte“, beklagte der linksliberale „Guardian“. Das Boulevardblatt „Daily Mail“feierte dagegen auf der Titelseite die „Freiheit“, während die „Sun“schadenfrohe Witze auf Kosten der EU machte. „See EU later“, verabschiedete sie sich vom Kontinent. Vor dem Parlament protestierten einige Aktivisten gegen den Brexit und die kompromisslose Linie, die May bislang verfolgt hat. Eine Demonstrantin hatte sich einen riesigen Kopf in Gestalt der Premierministerin aufgesetzt und zog drei geknebelte Briten an Halsbändern hinter sich her.
„Wir wissen, dass der Austritt Konsequenzen für das Königreich haben wird“, sagte May in ihrer Rede im Unterhaus. Und: „Wir wissen, dass wir an Einfluss verlieren werden über die Regelungen, die die europäische Wirtschaft betreffen.“Gleichzeitig lehnte sie Ausnahmeregelungen für einzelne Regionen wie Schottland ab. Sie kündigte aber an, sie werde alles tun, um zu verhindern, dass es zu einer befestigten Grenze zwischen Nordirland und dem EU-Nachbarn, Irland, kommt. Und so zeigte Mays Auftritt vor allem eines: Die Herausforderungen, vor denen Großbritannien steht, sind immens.
Wie gespalten die Gesellschaft ist, zeigte sich am Zeitungskiosk