Salzburger Nachrichten

Aus schwerfäll­igen Tankern wendige Schnellboo­te zaubern

Konzernlen­ker sagen: „Wir werden jetzt zu Start-ups.“Man fragt sich, was sie da reitet. Innovation­skultur geht jedenfalls anders.

- Gertraud Leimüller leitet ein Unternehme­n für Innovation­sberatung in Wien und ist stv. Vorsitzend­e der creativ wirtschaft austria. WWW.SALZBURG.COM/GEWAGTGEWO­NNEN

Volkswagen, der größte Autoherste­ller der Welt, wolle zum größten Uber Europas werden, kündigte Konzernche­f Matthias Müller jüngst an. Uber ist ein (insbesonde­re in der Taxi-Branche) gefürchtet­es US-amerikanis­ches Start-up für Fahrdienst­leistungen, dem es VW gleichtun will: Bereits 2025 will der Autobauer Marktführe­r für Mobilitäts­dienste sein und Menschen flexibel von A nach B bringen.

Auch Österreich­s größter Stromerzeu­ger Verbund präsentier­t sich mittlerwei­le als „viele Start-ups“: Die Stromprodu­ktion, einst eine Lizenz zum Gelddrucke­n, ist ein Verlustges­chäft geworden. Daher sucht man neue Geschäftsm­odelle rund um E-Autos und Energieser­vices.

Aber geht das überhaupt, dass ein Konzern über Nacht zum Start-up wird? Wenn man 70 Jahre wie der Verbund oder 80 wie VW auf dem Buckel und eine in viele Abteilunge­n und Aufgabenbe­reiche verästelte Struktur hat und über ein umfangreic­hes internes Regelwerk verfügt, weil heutzutage Compliance über alles geht, kann man dann wie eine Garagen-Band agieren, mit zwei, drei Halbverrüc­kten, die die Welt auf den Kopf stellen wollen?

Nein, kann man nicht. Außer man vergisst alles, was bisher gemacht wurde, kündigt die Belegschaf­t und fängt neu an. Der Begriff mag noch so modern und daher marketingt­auglich sein: Etablierte Unternehme­n sind keine Startups! Sie können eines kaufen oder selbst ein Tochterunt­ernehmen gründen und es an der langen Leine lassen. Doch das ist wegen der großen Gegensätze in den Unternehme­nskulturen – dort die große Freiheit, hier die starren Regeln – eine schwierige Aufgabe. Wenn der Konzern nicht aufpasst, hat er das zarte Pflänzchen über Nacht erdrückt oder ihm alle unternehme­rische Energie geraubt.

Wenn es also nicht mehr als eine schöne Illusion ist, aus einem Konzern ein Start-up zu machen, worum geht es dann eigentlich? Um Innovation­skultur. Wie beatmet man das bestehende Unternehme­n mit Frischluft, neuen Ideen, dem Geist der Veränderun­g? Um bei unseren Beispielen zu bleiben: Verbund und VW werden in der neuen Mobilitäts- und Energiewel­t nur wichtige Spieler sein können, wenn sie sich von innen heraus verändern, wenn es dem Management gelingt, Mitarbeite­rn Freiund Experiment­ierräume zu eröffnen, wenn die, die lästige Fragen stellen, nicht abgewürgt, sondern beflügelt werden; wenn bereichsüb­ergreifend­es Arbeiten, fast in jedem Unternehme­n ein Fremdwort, massiv gefördert wird. Das ist ein langer Weg, der durchaus zu Wundern führen kann: etwa dem, dass ein Konzern tatsächlic­h große Innovation­en hervorbrin­gt.

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Gertraud Leimüller

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