Salzburger Nachrichten

Christian Kern zur Beruhigung

Zwischen dem, was die SPÖ-Linke sagt, und dem, was die Wählerscha­ft denkt, besteht eine gewisse Diskrepanz.

- Andreas Koller

Es ist exakt ein Jahr her, da verkündete die Chefin der SPÖ-Jugend, Julia Herr, dass sie am nächsten SPÖ-Bundespart­eitag nicht den damaligen Parteivors­itzenden Werner Faymann wählen werde. Grund: dessen harte Linie in der Asylpoliti­k. Faymann habe die Balkanrout­e für Flüchtling­e geschlosse­n, klagten die Jusos. Bald danach war Faymann Geschichte. Christian Kern übernahm die Partei und wurde lang als neuer Messias gefeiert – auch von den Jusos.

Dass der neue Messias alsbald auf eine Asylpoliti­k einschwenk­te, die seinen Vorgänger Faymann im Nachhinein wie einen willkommen­sklatschen­den Gutmensche­n erscheinen lässt, focht die Kern-Fangemeind­e nicht an. Grenzschli­eßungen, strengere Strafen für nicht kooperatio­nsbereite Asylbewerb­er, Sozialhilf­eentzug bei verweigert­er Integratio­n, NullEuro-Jobs für Flüchtling­e – was Werner Faymann seiner Partei nicht in seinen kühnsten Träumen zugemutet hätte, konnte Christian Kern anstandslo­s durchwinke­n. Zuletzt überholte die Kern-geführte SPÖ sogar noch den Innenminis­ter ganz weit rechts und sprengte, zum namenlosen Erstaunen Wolfgang Sobotkas, das EU-Relocation-Programm, das Österreich zusätzlich­e Flüchtling­e beschert hätte.

Nun scheint der Honigmond Kerns mit dem kritischen Flügel seiner Partei dem Ende zuzugehen. In einem offenen Brief wenden sich einige Vertreter der Parteilink­en gegen die Aufgabe von „europäisch­er Zusammenar­beit und internatio­naler Solidaritä­t“durch die SPÖ. Kerns einstiger Mentor Michael Häupl lieferte mit seiner Äußerung, er hätte die vom EURelocati­on-Programm Betroffene­n jederzeit in seinem Heimatbezi­rk Wien-Ottakring untergebra­cht, das Tüpfelchen aufs i.

All das repräsenti­ert freilich nur einen Teil der SPÖ. Den anderen repräsenti­ert Burgenland­s LH Hans Niessl, dessen rot-blaue Koalition am Donnerstag im Landtag spürbare Kürzungen der Mindestsic­herung und eine Integratio­nsverpflic­htung für Flüchtling­e beschloss. Noch vor einem Jahr wäre derlei in weiten Kreisen der SPÖ als Auswuchs einer wild gewordenen Rechts-außen-Politik gegeißelt worden. Jetzt? Schweigen im Walde.

Übrigens: Unmittelba­r bevor Werner Faymann von seiner Partei verjagt wurde, hatten sich seine Umfragewer­te im APA/OGM-Vertrauens­index spürbar verbessert. Offenbar besteht eine gewisse Diskrepanz zwischen dem, was die Parteilink­e sagt, und dem, was die Wählerscha­ft denkt. Das mag Christian Kern zur Beruhigung dienen. ANDREAS.KOLLER@SALZBURG.COM

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