Christian Kern zur Beruhigung
Zwischen dem, was die SPÖ-Linke sagt, und dem, was die Wählerschaft denkt, besteht eine gewisse Diskrepanz.
Es ist exakt ein Jahr her, da verkündete die Chefin der SPÖ-Jugend, Julia Herr, dass sie am nächsten SPÖ-Bundesparteitag nicht den damaligen Parteivorsitzenden Werner Faymann wählen werde. Grund: dessen harte Linie in der Asylpolitik. Faymann habe die Balkanroute für Flüchtlinge geschlossen, klagten die Jusos. Bald danach war Faymann Geschichte. Christian Kern übernahm die Partei und wurde lang als neuer Messias gefeiert – auch von den Jusos.
Dass der neue Messias alsbald auf eine Asylpolitik einschwenkte, die seinen Vorgänger Faymann im Nachhinein wie einen willkommensklatschenden Gutmenschen erscheinen lässt, focht die Kern-Fangemeinde nicht an. Grenzschließungen, strengere Strafen für nicht kooperationsbereite Asylbewerber, Sozialhilfeentzug bei verweigerter Integration, NullEuro-Jobs für Flüchtlinge – was Werner Faymann seiner Partei nicht in seinen kühnsten Träumen zugemutet hätte, konnte Christian Kern anstandslos durchwinken. Zuletzt überholte die Kern-geführte SPÖ sogar noch den Innenminister ganz weit rechts und sprengte, zum namenlosen Erstaunen Wolfgang Sobotkas, das EU-Relocation-Programm, das Österreich zusätzliche Flüchtlinge beschert hätte.
Nun scheint der Honigmond Kerns mit dem kritischen Flügel seiner Partei dem Ende zuzugehen. In einem offenen Brief wenden sich einige Vertreter der Parteilinken gegen die Aufgabe von „europäischer Zusammenarbeit und internationaler Solidarität“durch die SPÖ. Kerns einstiger Mentor Michael Häupl lieferte mit seiner Äußerung, er hätte die vom EURelocation-Programm Betroffenen jederzeit in seinem Heimatbezirk Wien-Ottakring untergebracht, das Tüpfelchen aufs i.
All das repräsentiert freilich nur einen Teil der SPÖ. Den anderen repräsentiert Burgenlands LH Hans Niessl, dessen rot-blaue Koalition am Donnerstag im Landtag spürbare Kürzungen der Mindestsicherung und eine Integrationsverpflichtung für Flüchtlinge beschloss. Noch vor einem Jahr wäre derlei in weiten Kreisen der SPÖ als Auswuchs einer wild gewordenen Rechts-außen-Politik gegeißelt worden. Jetzt? Schweigen im Walde.
Übrigens: Unmittelbar bevor Werner Faymann von seiner Partei verjagt wurde, hatten sich seine Umfragewerte im APA/OGM-Vertrauensindex spürbar verbessert. Offenbar besteht eine gewisse Diskrepanz zwischen dem, was die Parteilinke sagt, und dem, was die Wählerschaft denkt. Das mag Christian Kern zur Beruhigung dienen. ANDREAS.KOLLER@SALZBURG.COM