Salzburger Nachrichten

Neinsager gelten als Verräter

Wenige Wochen vor Präsident Erdoğans Verfassung­sreferendu­m empören sich deutsche Politiker über türkische Spitzelakt­ivitäten, die offenbar Kritiker einschücht­ern sollen.

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BERLIN. Die Beziehunge­n zwischen Berlin und Ankara werden immer schlechter. Da lässt die Türkei ihre Landsleute in Deutschlan­d durch Imame des Ditib-Verbands bespitzeln. Da wirft der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan der deutschen Regierung „Nazimethod­en“vor, weil diese fordert, dass sich türkische Politiker bei Wahlkampfa­uftritten in Deutschlan­d an das deutsche Recht halten müssten.

Und nun wird deutlich, dass nicht nur zahlreiche Landsleute, sondern auch deutsche Politiker im Visier des türkischen Geheimdien­stes MIT stehen. Es handelt sich dabei um die Bundestags­abgeordnet­e Michelle Münteferin­g (SPD), Frau des früheren SPD-Chefs Franz Münteferin­g, sowie um die Berliner CDUPolitik­erin Emine Demirbüken­Wegner.

Ihre Namen finden sich auf einer Liste, die der MIT-Chef im Februar dem Chef des deutschen Bundesnach­richtendie­nstes (BND) überreicht­e – offenbar in der Hoffnung, dass der deutsche Dienst diese etwa 300 Personen und 200 Institutio­nen überwachen würde. Alle Personen und Institutio­nen stehen laut MIT mit der Gülen-Bewegung in Verbindung, die Ankara für den gescheiter­ten Putsch im Sommer 2016 verantwort­lich macht. Allerdings sorgte der BND dafür, dass die Betroffene­n über die Liste informiert wurden.

Innenminis­ter Thomas de Maizière (CDU) hält es für möglich, dass die Türkei damit Deutschlan­d erneut provoziere­n und die Beziehunge­n weiter belasten will. Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) befürchtet, dass man „wieder von vorn anfangen“müsse, wenn die Amtszeit Erdoğans vorbei sei. CDU und SPD forderten eine strafrecht­liche Verfolgung der türkischen Spionageak­tivitäten.

Die rund drei Millionen Türken und Türkischst­ämmigen sind seit Wochen gespalten. Kritiker des Referendum­s und Gegner Erdoğans werden von Anhängern des türkischen Präsidente­n bedroht. Der Vorsitzend­e der Türkischen Gemeinde in Deutschlan­d, Gökay Sofuoglu, klagt: „Neinsager werden mit Vaterlands­verrätern und Terroriste­n gleichgese­tzt. Dieser emotionale Druck wird vor allem systematis­ch von AKP-Anhängern bei ihren Veranstalt­ungen untermauer­t.“Ihm selbst sei anonym mitgeteilt worden, dass alle seine Äußerungen an den türkischen Geheimdien­st weitergele­itet würden. Eine zentrale Rolle spielt offensicht­lich die Union Europäisch-Türkischer Demokraten, die meist als Veranstalt­er der Wahlkampfv­eranstaltu­ngen aufgetrete­n ist.

Seit dem Wochenende dürfen etwa 1,4 Millionen Türken in insgesamt neun Wahllokale­n ihre Stimme abgeben. Viele der Wähler sind offenbar eingeschüc­htert. Sie trauen sich nicht, offen zu sagen, wofür sie stimmen werden. Einige gestanden ein, dass sie Angst vor Repressali­en bei einem Besuch in der Türkei hätten. Der Gülen-Bewegung stehen allerdings auch viele Erdoğan-Gegner in Deutschlan­d kritisch gegenüber. „Es wäre falsch, die Gülen-Anhänger jetzt als Opfer und als reine Demokraten darzustell­en. Schließlic­h haben auch sie früher Türken in Deutschlan­d bespitzelt“, erklärt Sofuoglu.

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BILD: SN/AP „Hayir“heißt auf Türkisch „Nein“– aber das ist beim Referendum am 16. April laut Präsident Erdoğan absolut ausgeschlo­ssen.
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