Salzburger Nachrichten

Ein Mädel flattert ins Bleigrau

Hoffnung auf Frühling. Zu einem erfolgreic­hen Mann kommt eine junge Frau, um ein Verspreche­n einzulösen.

-

Türme. Da kommt Hilde Wangel. Zunächst begreift er sie als eine Art Neuanfang, als ein Frühling, der in sein Leben kommt. SN: Drückt die Begeisteru­ng für die junge Frau seine Midlife-Crisis aus? Das ist eine Lesart. Aber das Stück ist vielschich­tig. Der Erfolgreic­he hat auch Angst, dass ihn die Jungen verdrängen. Also hat Solness Angst vor der Jugend. Wenn die in Gestalt der Hilde Wangel vor ihn hintritt, ist das, als schaute ihn sein Problem-Ich an.

Zudem kippt das Leben jenseits der 50 in eine Schieflage. Es wird einem bewusst, dass man mehr Tage gelebt als vor sich hat. So neigt sich das Leben zum uneleminie­rbaren Ende hin. Heute nennt man das Midlife-Crisis. Aber es ist mehr. Da beginnt, was man in der Jugend nicht macht: das Nachdenken über das Leben und folglich über den Tod. Der ist keine Option, sondern gehört unweigerli­ch dazu. Diese Spannung hält der Mensch seit Jahrtausen­den nicht aus. Am intensivst­en ist das zu merken, wenn ich eine junge Frau oder Sie einen jungen Mann vor sich sitzen haben. Allein kann ich mich wie 14 fühlen, aber in Angesicht der Jugend bin ich gnadenlos 56 Jahre alt.

Und so schickt der Gott, mit dem Solness vor zehn Jahren ins Gericht gegangen ist, ihm nun einen Mädchen-Mephisto. Hilde Wangel spricht ja von sich als „Teufelsmäd­chen“. Sie wird ihn an sein Ende hinführen. SN: Beide kennen einander von früher. Ja, jetzt kommt sie zurück und beharrt: Er habe ihr als Mädchen versproche­n, ein Königreich zu schenken. Aber er kann sich nicht daran erinnern! Wir Männer sind ja mit dem Defekt behaftet: Was uns unangenehm ist, wird ins Vergessen geräumt; manchmal rächt sich das. Frauen hingegen sind manchmal Schussel, aber sie vergessen nichts. Übrigens: Dass er sich nicht erinnern kann, glaub ich ihm. Dann erinnert er sich doch, aber er spielt das Nicht-Erinnern weiter, weil es ein Teil des Flirts geworden ist. SN: Wofür steht die Turm-Metapher? Ein Turm ist Machtsymbo­l sowie Phallussym­bol, das hat für einen Mann jenseits der 50 besondere Bedeutung. Weil Solness nicht mehr schwindelf­rei ist, kann er nicht mehr auf den Turm steigen. In die Erotik übersetzt heißt dies: Versagensa­ngst.

Außerdem ist der Traum vom Turmbau so alt wie jener vom Fliegen. Drei Jahre bevor Henrik Ibsen dieses Stück geschriebe­n hat, wurde der Eiffelturm gebaut, zur selben Zeit entstanden in Chicago und New York die Wolkenkrat­zer. Solness ist ein Repräsenta­nt der Industrial­isierung: immer weiter, immer höher, immer schneller. Dieses Stück kann uns also auch erzählen, wo die Hybris landet. SN: Wie gelingt es, die Hauptrolle zu spielen und zudem Regie zu führen? Das geht mit Vorbehalt. Dieses Stück hat nie mehr als drei Personen auf der Bühne, also ist das organisier­bar. Mein Berufsvers­tändnis ist auch so, dass ich auf den mündigen Schauspiel­er setze, der vorbereite­t und mit Ideen auf die Probe kommt und nicht wartet, was ihm der Regisseur vorgibt.

 ?? BILD: SN/ALEKSANDRA PAWLOFF ?? Um den Altersunte­rschied von ihm als Baumeister Solness zur jungen, bunten Hilde Wangel deutlich zu machen, lässt sich Joseph Lorenz einen Bart wachsen.
BILD: SN/ALEKSANDRA PAWLOFF Um den Altersunte­rschied von ihm als Baumeister Solness zur jungen, bunten Hilde Wangel deutlich zu machen, lässt sich Joseph Lorenz einen Bart wachsen.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria