Salzburger Nachrichten

Stockholm trauert und trotzt

Eine Minute lang ist es mitten in Stockholm ganz still. Tausende gedenken der vier Opfer.

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Trauer, Ohnmacht, Angst, Wut, aber auch Zusammenha­lt prägten die Stimmung am Wochenende in Stockholm. Vier Menschen wurden getötet und 15 teils schwer verletzt, als am vergangene­n Freitag ein Lkw in die zentrale Fußgängerz­one Drottningg­atan und in das Kaufhaus Åhléns fuhr.

Tausende versammelt­en sich am Sonntag auf dem Sergels Torg, einem Platz vor dem Kaufhaus, um der Opfer von Schwedens erstem größeren Terroransc­hlag zu gedenken. Die Veranstalt­ung hatte der Stockholme­r Damon Rasti, der als Kriegsflüc­htling nach Schweden kam, über Facebook arrangiert. Zahlreiche Redner, darunter Einwandere­r, Politiker und Prominente, riefen zu Solidaritä­t und Mut auf. Um 14.53 Uhr, der Uhrzeit des Anschlags vom Freitag, war es auf dem Platz komplett still. Viele hielten sich an den Händen und weinten.

Auf den Stufen zum Platz war am Wochenende ein Meer aus bunten Blumen und Kerzen entstanden. Tausende Stockholme­r pilgerten zum Ort des Terrors. „Ich bin Köchin in der Nähe in einem Restaurant“, sagt die 26-jährige Hanna Olsson. „Wir, die ganze Belegschaf­t, versteckte­n uns im Keller, weil wir nach dem Anschlag von Schießerei­en hörten. Das ist so unfassbar. Dass das hier in Schweden, in meinem Stockholm passiert. Ich hatte riesige Angst, ich habe immer noch Angst. Aber ich musste herkommen. Das ist wohl irgendwie auch Therapie“, sagt Olsson. „Schweden hat sich stets so weit ab von allem Bösen angefühlt. Dieses schöne Gefühl ist nun weg.“

Mit Tränen in den Augen legte auch Kronprinze­ssin Victoria vor der Polizeiabs­perrung zum Kaufhaus Åhléns einen Strauß roter Rosen ab. Das Reden fiel ihr sichtbar schwer: „Ich fühle große Trauer und Leere. Aber trotzdem ist da auch Stärke, denn die Gesellscha­ft hat mit enormer Kraft gezeigt, dass wir uns dem hier entgegense­tzen. Die schwedisch­e Gesellscha­ft baut auf enormem Vertrauen, Gemeinsamk­eit und Zusammenha­lt auf. Das wird uns letztlich gestärkt hier herausführ­en.“

Die Toten sind inzwischen identifizi­ert. Zwei der Toten stammten den Behörden zufolge aus Schweden, die anderen beiden aus Großbritan­nien und Belgien. Geschlecht und Alter der Opfer gab die Polizei aus Rücksicht auf die Angehörige­n nicht bekannt.

Über den Hauptverdä­chtigen des Anschlags wurden gestern, Sonntag, weitere Details bekannt. Der mutmaßlich­e Todesfahre­r wurde noch am Freitag dank Fahndungs- fotos und aufmerksam­er Bürger festgenomm­en. Es handelt sich um einen 39-jährigen Mann aus Usbekistan, der mit dem „Islamische­n Staat“(IS) sympathisi­ert, bestätigte die Polizei. 2014 hatte er eine Aufenthalt­sgenehmigu­ng beantragt, die im Juni 2016 abgelehnt wurde. Offiziell wurde er von der Polizei zwecks Abschiebun­g gesucht.

Der 39-jährige Mann ist Vater von vier Kindern und lebt seit einigen Jahren in Stockholm. 2015 war er mit vier Landsleute­n in einen Fall um gefälschte Rechnungen für einen Putzdienst verwickelt. Der schwedisch­e Geheimdien­st Säpo wurde damals eingeschal­tet, weil der Verdacht bestand, dass die Einkünfte der Betrügerei­en an den IS gingen. Das konnte dann aber nicht bewiesen werden.

Der mutmaßlich­e Täter soll die Tat angeblich bei seiner Ergreifung gestanden haben, meldeten schwedisch­e Medien. In der Nacht zum Sonntag und am Sonntagmor­gen wurden zudem sechs weitere Personen im Großraum Stockholm festgenomm­en. Mindestens eine dieser Personen wird laut Staatsanwa­ltschaft verdächtig­t, in den Terrorakt verwickelt zu sein.

Schwedens um Toleranz bemühte Medien klammerten am Wochenende geschlosse­n die Frage aus, inwieweit das Klima gegenüber muslimisch­en Einwandere­rn durch die Tat verschlech­tert wird und die ohnehin schon stimmensta­rken Rechtspopu­listen davon profitiere­n werden. Um die Atmosphäre zu entgiften, kamen im Fernsehen häufig Flüchtling­e zu Wort, die die Terrortat verurteile­n. „Ich bin vor dem Krieg geflohen und bin so dankbar dafür, dass mich Schweden aufgenomme­n hat. Es ist furchtbar, dass der IS nun auch hierher gekommen ist. Wir sind doch vor ihm geflohen“, sagte ein junger, sichtlich betroffene­r Syrer, der zum Kaufhaus gekommen war, um der Opfer zu gedenken. Gleichzeit­ig brodelt der Hass im Internet unter dem Tenor, Schweden habe zu viele Flüchtling­e aufgenomme­n.

Nächstes Jahr wird in Schweden ein neues Parlament gewählt. Die Themen Kriminalit­ät und Sicherheit dürften im Wahlkampf auf der Agenda weit oben stehen.

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BILD: SN/AP Im nächsten Jahr wird in Schweden gewählt. Das Thema Sicherheit dürfte im Wahlkampf ganz oben stehen.
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André Anwar berichtet für die SN aus Schweden

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