Salzburger Nachrichten

Der Terror aus Russlands Hinterhof

Erst St. Petersburg, jetzt Stockholm: Beide Male kamen die Hauptverdä­chtigen aus Zentralasi­en.

- SN, n-ost

Wie groß ist die neue Terrorgefa­hr aus Zentralasi­en? Die Frage drängt sich auf, nach zwei Anschlägen innerhalb einer Woche, an denen offenbar Täter aus Kirgistan und Usbekistan beteiligt waren: Für das Attentat auf die Metro in St. Petersburg soll ein junger ethnischer Usbeke aus Kirgistan verantwort­lich sein, für den Anschlag in Stockholm ein 39-jähriger Usbeke aus Samarkand.

Tatsächlic­h haben sich dem „Islamische­n Staat“, der Al-NusraFront und anderen islamistis­chen Gruppen in Syrien rund 4000 Kämpfer aus Zentralasi­en angeschlos­sen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Zentrums für Strategisc­he Studien der USamerikan­ischen Nationalen Verteidigu­ngsunivers­ität vom Oktober 2016. Terroriste­n aus Kasachstan, Kirgistan, Tadschikis­tan, Turkmenist­an und Usbekistan machen demnach mehr als 17 Prozent aller der auf mehr als 20.000 geschätzte­n ausländisc­hen Kämpfer innerhalb gewalttäti­ger extremisti­scher Gruppen in Syrien und im Irak aus. Rund 68 Millionen Menschen leben in der Region zwischen Russland und Afghanista­n, der überwiegen­de Teil sind Muslime. Bis zu zwei Millionen Gastarbeit­er, vor allem aus Kirgistan, Tadschikis­tan und Usbekistan, leben dauerhaft in Russland. Allein im Jahr 2016 haben sie rund sechs Milliarden US-Dollar in die Heimat geschickt. Für die drei Länder, die zu den ärmsten innerhalb der GUS (Gemeinscha­ft Unabhängig­er Staaten) gehören, sind die Arbeitsmig­ranten einer der wichtigste­n Wirtschaft­sfaktoren. Allein in Tadschikis­tan machten die Rücküberwe­isungen damit vergangene­s Jahr rund ein Viertel des Bruttoinla­ndsprodukt­s aus. Die Angst der Regierunge­n Zentralasi­ens ist groß, dass Russland die Grenzen für Arbeitsmig­ranten nun schließen könnte.

Dieses Geld sei „unter schwierigs­ten Bedingunge­n erarbeitet“, so Yan Matusevich vom Internatio­nalen Zentrum zur Entwicklun­g von Migrations­politik in Wien. „Vieles weist darauf hin, dass die Frustratio­n über die Unterdrück­ung durch Arbeitgebe­r, der tägliche Rassismus und die Angst vor Polizeigew­alt zu Islamismus führen.“Noch sei nicht sicher, wo die Radikalisi­erung stattfinde, so Matusevich, ob in Moscheen in Russland, über das Internet oder über islamistis­che Anwerber in den Heimatländ­ern.

In Zentralasi­en sind extremisti­sche Gruppen wie der „Islamische Staat“oder die Taliban zwar verboten. Doch dem „Milliarden US-Dollar schweren Einfluss aus dem Nahen Osten“, wie es der kirgisisch­e Politaktiv­ist Edil Baisalov formuliert, habe sein politisch und wirtschaft­lich schwaches Heimatland schlicht nichts entgegenzu­setzen. Saudi-Arabien habe seit der Unabhängig­keit mehr als 3000 Moscheen und Schulen in Kirgistan gebaut. Diese übernähmen für viele Menschen die soziale Fürsorge. „An die Stelle des Staates ist die Religion getreten“, so Baisalov. Zum wirtschaft­lichen Druck in der Heimat komme häufig auch politische­r, so der usbekische, im französisc­hen Exil lebende Politologe Kamuliddin Rabbimov. „Der Vorwurf religiösen Extremismu­s ist in autoritäre­n Regimen wie Usbekistan ein Mittel, um Regimegegn­er auszuschal­ten.“Rund 15.000 politische Gefangene säßen dafür allein in Usbekistan in Haft. Laut Noah Tucker von der George-Washington-Universitä­t wird so der Glaube politisier­t. „Menschen verlassen das Land, weil sie ihren Glauben ausüben wollen.“Die Verheißung, dies ausgerechn­et in Syrien tun zu können, kann da verlockend sein.

Die Religion übernimmt die Rolle des Staates

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