Mediale und politische Reflexe auf Massenmord mit Giftgas
Syriens Diktator Baschar al-Assad ist untragbar. Aber nicht erst seit dem jüngsten Giftgasangriff, sondern schon seit vielen Jahren.
In Syrien starben an die hundert Menschen durch den Einsatz von Giftgas. Es steht zu vermuten, dass die syrische Armee diese international geächtete Waffe verwendet hat, um Rebellen und Aufständische zu treffen. Die internationale Gemeinschaft reagiert mit Empörung, fordert entrüstet die Bestrafung des Übeltäters Baschar al-Assad. Lediglich die Russen und der Iran stärken noch dem Tyrannen von Damaskus den Rücken.
Die Empörung von Berlin bis Washington, die besorgten Stimmen der Menschenrechtsorganisationen – sie alle haben ihre Berechtigung. Und dennoch muss man fragen: Warum die Erregung jetzt? Baschar al-Assad ist ein Tyrann und Massenmörder. Er gehört nicht in einen Regierungspalast, sondern vor den Internationalen Strafgerichtshof. Der Mann schikaniert, foltert, massakriert die Staatsbürger seines eigenen Landes seit Jahren. Doch das wussten wir alle seit Jahren. Dem Mann hätte man schon seit Langem in den Arm fallen müssen. Es ist auch eine besonders große Schande, dass ein solches Regime noch immer Unterstützer und Helfer findet.
Andererseits stellt sich auch die Frage, weshalb die Erschütterung der Welt so besonders groß ist, wenn Chemiewaffen eingesetzt werden. Auch ohne diese grausigen Kampfmittel erleidet ein großer Teil des syrischen Volkes Furchtbares: Ganze Stadtteile werden durch Fassbomben dem Erdboden gleichgemacht, die Opfer des Bürgerkriegs sterben unter der Folter, durch Erschießen, sie werden reihenweise gehenkt, durch Sprengbomben zerfetzt und zerstückelt – und das seit Jahren und in viel größerer Zahl als die jetzigen siebzig Opfer.
Vermutlich unterliegt auch das Entsetzen über das Leiden anderer Menschen medialen Gesetzen, die unsere Erregung steigen und fallen lassen. Das Außergewöhnliche findet sowohl unseren Beifall wie auch Abscheu. Man hat sich an die Berichte über Luftangriffe auf Krankenhäuser und Schulen in Syrien so sehr gewöhnt, dass man schon fast von Abstumpfung sprechen kann. Die Massenhinrichtungen, die vor einigen Wochen bekannt wurden, kratzen heute kaum noch jemanden.
Das Einzelereignis findet den Weg in die Schlagzeilen – und die Politiker Europas und Amerikas reagieren wie der berühmte Pawlow’sche Hund alle mit dem gleichen Reflex: Sie fordern, was schon seit Jahren notwendig gewesen wäre, Assad endlich zu stürzen, seine Armee für dieses Verbrechen zu bestrafen und die Verbündeten dieses Mannes zu ächten.
Besonders krass die Rösselsprünge des USPräsidenten. Gerade noch hatte er erklärt, Assad könne durchaus Präsident Syriens bleiben; nach dem Giftgasangriff gilt er auch im Weißen Haus als Paria. Da fragt man sich, ob Donald Trump – so wie mancher europäische Politiker auch – die vergangenen Jahre denn selig verschlafen hat.