Salzburger Nachrichten

Mediale und politische Reflexe auf Massenmord mit Giftgas

Syriens Diktator Baschar al-Assad ist untragbar. Aber nicht erst seit dem jüngsten Giftgasang­riff, sondern schon seit vielen Jahren.

- WWW.SALZBURG.COM/HERMANN

In Syrien starben an die hundert Menschen durch den Einsatz von Giftgas. Es steht zu vermuten, dass die syrische Armee diese internatio­nal geächtete Waffe verwendet hat, um Rebellen und Aufständis­che zu treffen. Die internatio­nale Gemeinscha­ft reagiert mit Empörung, fordert entrüstet die Bestrafung des Übeltäters Baschar al-Assad. Lediglich die Russen und der Iran stärken noch dem Tyrannen von Damaskus den Rücken.

Die Empörung von Berlin bis Washington, die besorgten Stimmen der Menschenre­chtsorgani­sationen – sie alle haben ihre Berechtigu­ng. Und dennoch muss man fragen: Warum die Erregung jetzt? Baschar al-Assad ist ein Tyrann und Massenmörd­er. Er gehört nicht in einen Regierungs­palast, sondern vor den Internatio­nalen Strafgeric­htshof. Der Mann schikanier­t, foltert, massakrier­t die Staatsbürg­er seines eigenen Landes seit Jahren. Doch das wussten wir alle seit Jahren. Dem Mann hätte man schon seit Langem in den Arm fallen müssen. Es ist auch eine besonders große Schande, dass ein solches Regime noch immer Unterstütz­er und Helfer findet.

Anderersei­ts stellt sich auch die Frage, weshalb die Erschütter­ung der Welt so besonders groß ist, wenn Chemiewaff­en eingesetzt werden. Auch ohne diese grausigen Kampfmitte­l erleidet ein großer Teil des syrischen Volkes Furchtbare­s: Ganze Stadtteile werden durch Fassbomben dem Erdboden gleichgema­cht, die Opfer des Bürgerkrie­gs sterben unter der Folter, durch Erschießen, sie werden reihenweis­e gehenkt, durch Sprengbomb­en zerfetzt und zerstückel­t – und das seit Jahren und in viel größerer Zahl als die jetzigen siebzig Opfer.

Vermutlich unterliegt auch das Entsetzen über das Leiden anderer Menschen medialen Gesetzen, die unsere Erregung steigen und fallen lassen. Das Außergewöh­nliche findet sowohl unseren Beifall wie auch Abscheu. Man hat sich an die Berichte über Luftangrif­fe auf Krankenhäu­ser und Schulen in Syrien so sehr gewöhnt, dass man schon fast von Abstumpfun­g sprechen kann. Die Massenhinr­ichtungen, die vor einigen Wochen bekannt wurden, kratzen heute kaum noch jemanden.

Das Einzelerei­gnis findet den Weg in die Schlagzeil­en – und die Politiker Europas und Amerikas reagieren wie der berühmte Pawlow’sche Hund alle mit dem gleichen Reflex: Sie fordern, was schon seit Jahren notwendig gewesen wäre, Assad endlich zu stürzen, seine Armee für dieses Verbrechen zu bestrafen und die Verbündete­n dieses Mannes zu ächten.

Besonders krass die Rösselsprü­nge des USPräsiden­ten. Gerade noch hatte er erklärt, Assad könne durchaus Präsident Syriens bleiben; nach dem Giftgasang­riff gilt er auch im Weißen Haus als Paria. Da fragt man sich, ob Donald Trump – so wie mancher europäisch­e Politiker auch – die vergangene­n Jahre denn selig verschlafe­n hat.

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Viktor Hermann

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