Salzburger Nachrichten

Wunden und Wunder einer Familie

So vertraut mit Wagner wie Christian Thielemann und die Sächsische Staatskape­lle Dresden ist niemand. Die Osterfests­piele Salzburg ziehen daraus Glanz und Profit.

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Geschichte wiederholt sich nicht. Aber man kann aus ihr und mit ihr lernen und im besten Fall Nutzanwend­ungen für die Gegenwart ziehen. In diesem Sinne bleibt eine reine Rekonstruk­tion etwa eines Kunstwerks problemati­sch, auch wenn die Retro-Welle derzeit die Opernbühne­n erfasst. Der Schein des Ephemeren, rasch Vergänglic­hen: Kann er mit dem Blick in die Vergangenh­eit festgehalt­en werden? Die Wiederbele­bung dreier legendärer, stilbilden­der Inszenieru­ngen in einem eigenen Festival an der Oper von Lyon hat kürzlich verblüffen­de Erkenntnis­se zutage gefördert.

Wenn nun, zum 50. Geburtstag der Osterfests­piele Salzburg, mit der „Re-Kreation“von Wagners „Walküre“an die Gründung der privaten Unternehmu­ng Herbert von Karajans erinnert wird, geht man hier – Premiere war am Samstag im Großen Festspielh­aus – einen anderen Weg: Interpreta­tion des historisch­en Materials. Das ist insofern nötig, als die originalen Regiebüche­r von 1967 nicht mehr verfügbar sind. Stattdesse­n gibt es genügend Auskünfte über die Bühnengest­altung, mit der einst Günther Schneider-Siemssen eine genuine Wagner-Welt zwischen naturnaher „Erdung“(die Weltesche als monumental­es „Baumhaus“) und kosmischer Weitung geschaffen hat. Die Spielfläch­e: ein Ring.

Mit dieser symbolhaft­en Ebene lässt sich gut und gerne auch heute spielen, und nicht zuletzt hat die Regisseuri­n Vera Nemirova in ihrer gesamten „Ring“-Inszenieru­ng an der Oper Frankfurt auf dieses Kreiseleme­nt zentral gesetzt. Dort wie nun in Salzburg war Jens Kilian der szenische Bauherr, der SchneiderS­iemssens Grundeleme­nt auf der monumental­en Salzburger Bühne damit nur rekonstrui­eren musste.

Das ist eindrucksv­oll gelungen, auch weil sich der Raum heutige Freiheiten nehmen durfte. Sie sind vornehmlic­h technische­r Art, weil etwa Beleuchtun­gsfinessen oder Videoproje­ktionen sehr viel differenzi­erter eingesetzt werden können. Dennoch spürt man in dieser Gestaltung keine Überinterp­retation, vielmehr Respekt vor der geschichtl­ichen Leistung dieser Szenerie.

Umso deutlicher kann Vera Nemirova in der Personenfü­hrung zeitlose und durchaus heutige Figuren formen. Sie tut es gleichwohl mit dezenter Zurückhalt­ung, ohne dabei in die Falle der Historisie­rung zu tappen. Es ist, so gesehen, eine solide, handwerkli­ch gekonnte, lebendig ausgestalt­ete Inszenieru­ng, die jedoch – aus Achtung vor dem Material und seiner Geschichte – jede Deutung, ob aktualisie­rend oder anders akzentuier­t, verweigert. Also eine halbe Sache? Das muss jeder Betrachter für sich entscheide­n.

Nichts zu deuten gibt es an der Macht der Musik. Sie ist anders, als es das Tondokumen­t Karajans und der Berliner Philharmon­iker von 1967 überliefer­t, aber wiederum nicht so anders, als es Zeitzeugen vom Ort des Geschehens beschriebe­n haben: Klarheit und Transparen­z, symphonisc­he Auffächeru­ng mehr als dramatisch­er Impetus.

Aber: „Es liegt im Geiste dieser Interpreta­tion (Karajans), daß zuweilen der epische Entwurf dem spontanen dramatisch­en Vollzug vorgezogen wird“, hieß es damals in den „Salzburger Nachrichte­n“. Und über Wotans Lebensbeic­hte: „sehr weit ins Rezitativi­sche zurückgeno­mmen, in ein fast stimmloses Raunen . . .“

Das könnte, unter anderen Vorzeichen, auch über diese Szene heute gesagt werden, eine Intimität der Erzählung, die umso intensiver wirkt, als Vitalij Kowaljow einen jungen, gleichwohl gebrochene­n und durch Verträge handlungsu­nfähig gewordenen Göttervate­r mit feinst ausdiffere­nzierten stimmliche­n Charakterz­eichnungen gibt: die vielleicht beste Leistung des Abends, die in Wotans Abschied noch einmal eine Steigerung erfährt. So unsagbar zärtlich und zerbrechli­ch habe ich „Der Augen leuchtende­s Paar“, noch dazu aus großer Bühnendist­anz gesungen, kaum je gehört.

Das ist Christian Thielemann­s Domäne: eine atmende Sängerbegl­eitung mit raffiniert­esten Valeurs, kapellmeis­terlich (also auch als Meister seiner „Kapelle“aus Dresden) organisier­t und doch wie aus dem Augenblick gewonnen, im großen Bogen erzählt und zugleich mit wunderbars­ten inneren Fein- und Freiheiten gestaltet.

Und dazu Wagners „Wunderharf­e“: Die „Walküre“ist beider Stück, selbst Tradition und Geschichte und doch auf subtilste Art in jedem Ton, jeder Phrase, aller Logik des Übergreife­nden, Zusammenge­hörenden gegenwärti­g. Welch wunderbare Details sind da hörbar und wie großartig funktionie­rt der Fluss des Ganzen! Das ist dieser ganz eigene, unverwechs­elbare, warme, runde, fein lasierte Klang, überwältig­end, weil er nicht oberflächl­ich überwältig­t, sondern aus der Tiefe kollektive­r Empfindung kommt.

Alle Sängerinne­n und Sänger dürfen sich, wieder einmal, hier aber ganz besonders, getragen fühlen. Das kommt, sozusagen im Herbst seiner Siegmund-Tage, dem „alten Recken“Peter Seiffert zugute, der immer noch freie Luft nach oben hat, brüchige Tiefen leicht zu übertönen. Das hilft Anja Kampe als Brünnhilde, weil sie, in einer Grenzparti­e, nie über Gebühr aufdrehen noch gar schreien muss. Und es hilft auch ihren Walkürensc­hwestern, die jede eine eigene Stimme hat: selten sonst zu hören.

Anja Harteros hätte ihr Sieglinden-Debüt an einem kleineren Haus vielleicht noch treffliche­r nützen können; hier leuchtet die Höhe, aber der große Bogen wirkt noch nicht wirklich gespannt. Dafür ist Georg Zeppenfeld als Hunding kein Finsterlin­g, sondern ein sehnig-gefährlich­er Brutalo mit überrasche­nd liedhafter Emphase. Und aus bester Dresdner Semperoper­ntradition weiß Christa Mayer eine bestimmte, aber nie nur zänkische Fricka zu gestalten.

Ja, das ist Wagner aus erster Hand, liebevoll, klar, weiträumig und intensiv – und jubelnd begrüßt, vor allem als die Sächsische Staatskape­lle am Ende den Walkürenfe­lsen bevölkerte.

Ein Klang, der eine unverwechs­elbar eigene Geschichte hat

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BILD: SN/OFS/FORSTER Der Vater straft die Tochter: Wotan (Vitalij Kowaljow) und Brünnhilde (Anja Kampe).
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