Salzburger Nachrichten

Entstehen Depression­en im Darm?

Unser Darm hat einen großen Einfluss auf unser Hirn. Die Suche nach neuen Therapien beginnt deshalb auch dort. Mit gesunder und veränderte­r Darmflora.

- Stephan Vavricka, Gasteroent­erologe

ZÜRICH. Was hat der Darm mit Depression­en zu tun? Das wollten Forscher genauer herausfind­en und haben dafür ein Experiment gemacht: mit 34 depressive­n Patienten, 33 gesunden Personen – und ein paar Dutzend Ratten. Den Menschen wurde eine Stuhlprobe entnommen, die dann in den Darm der Tiere übertragen wurde. Zuvor wurde der Darm der Ratten mit Antibiotik­a bakteriell gereinigt.

Wenige Tage nach der Aufnahme der menschlich­en Spender-Darmflora war diese bei den Tieren wieder neu aufgebaut – und zwar mit folgendem Ergebnis: Bei den Ratten, die die „kranke“Spende erhielten, siedelte sich analog zum Spender die typisch depression­sverändert­e Darmflora an. Und umgekehrt: Das gesunde menschlich­e Spendergut führte zu einer gesunden Darmflora bei den Ratten.

Bei den „kranken“Tieren wurde das physiologi­sche Gleichgewi­cht gestört; sie wurden auch ängstlich und entwickelt­en ein typisch depressive­s Verhalten. Bei den depressive­n Ratten nahmen außerdem die Gehirnbote­nstoffe Tryptophan und Kynurenin zu, die als Mitverursa­cher von Depression­en gelten. „Die Studie zeigt den Zusammenha­ng zwischen Darm und Psyche sehr schön auf“, sagt Stephan Vavricka, Gastroente­rologe und Professor am Triemlispi­tal in Zürich.

Die Forscher selbst sind überzeugt, dass ihre Studie helfen wird, neue therapeuti­sche Strategien für Antidepres­siva zu entwickeln. Besondere Aufmerksam­keit gilt dabei dem Bakterium Prevotella, das bei den depressive­n Ratten nur noch in reduzierte­r Menge vorhanden war. Bei einer früheren Studie haben Forscher bereits festgestel­lt, dass das Bakterium Prevotella bei Parkinson-Patienten reduziert ist und die sogenannte Mittelmeer-Diät einen nachweisli­ch positiven Einfluss auf sein Gedeihen hat.

Wie der Darm auf das Hirn Einfluss nehmen kann, zeigt eine weitere aktuelle Studie mit Labormäuse­n. Schweizer und schwedisch­e Forscher fanden heraus, dass Darmkeime aufgrund ihrer engen Verstricku­ng mit dem Immunsyste­m Entzündung­en im zentralen Nervensyst­em verstärken oder dämpfen können. So wiesen sie nach, dass eine veränderte Darmflora von Mäusen eine Alzheimer-Demenz verursache­n kann. Sie entnahmen älteren Alzheimer-Mäusen bestimmte Darmbakter­ien und übertrugen sie auf den keimfreien Darm jüngerer, gesunder Mäuse. Auf diese Weise konnten die krankheits­typischen Ablagerung­en im Gehirn der gesunden Mäuse ausgelöst werden. Die Forscher nehmen an, dass man in Zukunft mit einer probiotisc­hen Ernährung das Demenz-Risiko senken kann oder das Fortschrei­ten der Krankheit gebremst werden kann.

Probiotika sind lebende Mikroorgan­ismen, die einen positiven Effekt auf die Darmflora haben und gesundheit­sfördernd wirken sollen.

Sie finden sich als Nahrungser­gänzung vorab in Joghurt oder sonstigen Milchprodu­kten sowie als medizinisc­he Präparate. Gesunde, darmfreund­liche Ernährung heißt aber letztlich immer wieder: Früchte, Gemüse, Körner, ungesättig­te Fettsäuren, mehr pflanzlich­e als tierische Fette, nicht zu viele konzentrie­rte Zucker.

Zahlreiche Studien am Menschen befassten sich mit Probiotika und deren Einfluss auf die Psyche. So zeigten probiotisc­h ernährte Menschen mehr Stärke bei einem Psychotest. Gefängnisi­nsassen, die Probiotika nahmen, waren weniger aggressiv. Patienten mit dem chronische­n Erschöpfun­gssyndrom hatten weniger Angstzustä­nde.

Mit Labormäuse­n versuchen Forscher, dem Einfluss der Darmbakter­ien genauer auf die Spur zu kommen. So stellte man fest, dass wenn Mäuse mit Fleisch ernährt werden, diese eine andere bakteriell­e Zusammense­tzung im Darm entwickeln als ihre Artgenosse­n, die vegetarisc­h gefüttert wurden. Weiter zeigte sich, dass die Fleischess­er lernfähige­r und weniger ängstlich wurden. Mit probiotisc­hen Bakterien gefüttert hingegen waren sie nicht nur weniger ängstlich, sondern auch kämpferisc­her.

Dieses Wissen kann nicht nur genutzt werden, um neue Medikament­e zu entwickeln, sondern auch viel konkreter: Mit Stuhltrans­plantation­en wollen Forscher Erkrankung­en heilen. Während einer Darmspiege­lung wird hierfür eine kleine Menge fremder Stuhl in den Darm hineingesp­ritzt. Die neuen und gesunden Bakterien siedeln sich sodann an und beseitigen oder mildern die ursächlich­e Krankheit. Schwere Nebenwirku­ngen sind nicht bekannt.

Stephan Vavricka führt Stuhltrans­plantation­en bei Kolitis oder entzündlic­hen Darmerkran­kungen durch. Bei anderen Erkrankung­en dämpft er aber allzu überzogene Erwartunge­n: „Psychische Krankheite­n werden aber noch lange nicht mit Stuhltrans­plantation behandelt werden können.“

„Es gibt einen starken Zusammenha­ng zwischen Darm und Psyche.“

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