Eine große Chance vergeben
Die öffentliche Hand vergibt fast ein Fünftel der heimischen Wirtschaftsleistung. Jetzt streiten Experten, wie außer dem Preis andere Kriterien ins Spiel kommen können, wie etwa die Lehrlingsausbildung.
WIEN. Die anstehende Novelle des Vergaberechts mag auf den ersten Blick nicht wie ein besonders aufregendes Kapitel heimischen Wirtschaftstreibens klingen, aber es geht dabei um viel Geld. Denn jährlich vergibt die öffentliche Hand Aufträge im Volumen von 48 bis 54 Mrd. Euro, die Bauten und Sanierung, Lieferungen und Dienstleistungen betreffen. Das sind insgesamt 16 bis 20 Prozent der gesamten heimischen Wirtschaftsleistung.
Die Spielregeln dafür legt das Bundesvergabegesetz (BVergG) fest, Anfang April endete die Begutachtungsfrist für die jüngste Novelle. Diesmal waren auch Unternehmen eingeladen, Stellung zu nehmen, und sie machten von dieser Möglichkeit reichlich Gebrauch. Mehrere Dutzend Stellungnahmen und Abänderungsvorschläge liegen vor, sie umfassen nicht weniger als 1000 Seiten. Noch hat niemand den kompletten Überblick, aber so viel lässt sich schon sagen: Kaum jemand ist von den in Aussicht gestellten Neuerungen begeistert, die Kritik überwiegt, aus vielerlei Gründen.
Kein Wunder, die Materie ist komplex. Das zeigt ein Hauptanliegen, die Entschärfung der in der vorangegangenen Novelle beschlossenen Umorientierung vom Billigsthin zum Bestbieterprinzip. Bei öffentlichen Vergaben soll nicht mehr nur der Preis, sondern es sollen auch qualitative Kriterien entscheidend sein. Damit könnten dann etwa eine Förderung benachteiligter Gruppen auf dem Arbeitsmarkt sowie soziale oder ökologische Aspekte stärker gewichtet werden.
Doch diese neuen Möglichkeiten würden bisher kaum genutzt, beklagen Kritiker. Immer noch sei der Preis die dominante Größe. Laut einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts gab bei einem Fünftel der Vergaben immer noch zu 95 Prozent der Preis den Ausschlag, bei 44 Prozent der Vergaben war der Preis mit 80 Prozent gewichtet. Damit sei das Bestbieterprinzip nur ein „Feigenblatt“.
Lothar Roitner, Geschäftsführer des Verbands der heimischen Elektround Elektronikindustrie FEEI, spricht daher von einer „vergebenen Chance“. Auch der jüngste Entwurf des BVergG lasse die Möglichkeit einer nachhaltigen Änderung in der öffentlichen Beschaffung ungenützt. Österreich sei da weiter europäisches Schlusslicht, während Italien, Frankreich oder die Niederlande vorzeigten, wie man preisfremden Kriterien den Vorrang geben könnte. Ein „guter Ansatz“sei dagegen die im Entwurf vorgesehene „Innovationspartnerschaft“, die die Lücke zwischen Prototyp und marktfertigem Produkt schließe und damit den Standort Österreich aufwerte, sagt Roitner.
Ernüchtert kommentiert auch Oliver Walther von der auf Vergaberecht spezialisierten Kanzlei Preslmayr das Papier. „Ich hätte mehr erwartet“, lautet seine erste Einschätzung. Trotz der in Aussicht gestellten „Totalrevision“des Gesetzes stelle der vorgelegte Entwurf „keine Revolution, sondern eher eine Evolution in Teilbereichen“dar.
Dazu gehörten neben der ohnehin bereits verspäteten Umsetzung der neuen EU-Vergaberichtlinien einige Klarstellungen. Dazu kommt die Einführung neuer Auftragsarten wie „zusätzliche Dienstleistungsaufträge“, eine Verschärfung der Ausschlussgründe sowie eine Klarstellung des „zuletzt etwas unglücklich formulierten Bestbieterprinzips“, sagt Oliver Walther.
Dieses Prinzip – das außer dem Preis auch qualitative Kriterien für die Auftragsvergabe vorschreibt, wie die Ausbildung von Lehrlingen, die Beschäftigung älterer oder behinderter Menschen oder die Förderung regionaler sowie nachhaltiger ökologischer Wirtschaft – ist manchen aber ein Dorn im Auge.
Die zwingende Anwendung des Bestbieterprinzips bei allen Aufträgen über einem Anschaffungswert von einer Million Euro wäre „überschießend“, meint Matthias Öhler von der Kanzlei Schramm Öhler. Er hält daher den neuen Entwurf für „gut gelungen“, weil er einen Mittelweg gehe. Öhler plädiert dafür, auf den Bestbieteransatz bei jenen Aufträgen
„Bestbieter steht oft nur am Papier.“Birgit Schatz, Nationalrätin
zu verzichten, wo das Qualitätsniveau schon ausreichend definiert sei, etwa beim Hochwasserschutz. Dort, wo eine StandardLeistungsbeschreibung genüge, reiche das Billigstbieterprinzip.
Er verweist auf Untersuchungen, wonach die stärkere Gewichtung von Qualitätskriterien Vergaben komplexer und teurer mache. So führt etwa der „Auftraggeber-Arbeitskreis für faire Vergaben“an, eine Stärkung des Bestbieterprinzips ginge zu weit. Eine Bestbietervergabe würde die Personalkosten für Auftraggeber und Bieter um 42 Prozent erhöhen. Würde nur ein Fünftel künftiger Vergaben qualitativ bewertet, stiegen damit allein die Personalkosten um 64 Mill. Euro.
Das Vergaberecht beschäftigt auch die Parteien. Mit dem Entwurf sei man „nicht glücklich, bei der vorigen Novelle hat man sich mehr getraut“, sagt die grüne NR-Abgeordnete Birgit Schatz. Mit der Zielsetzung, das Bestbieter- über das Billigstbieterprinzip zu stellen, sei man grundsätzlich einverstanden. Doch weil es den vergebenden Stellen vielfach an Expertise fehle, bliebe das Potenzial der Bestimmung oft ungenützt. „Auf dem Papier steht Bestbieter, aber drin ist de facto ein getarntes Billigstbieterverfahren“, sagt Schatz. Gestern, Montag, brachten die Grünen daher einen an den Bundeskanzler adressierten Fragenkatalog ein. Man will noch einmal wissen, wie man vergebende Unternehmen bei der Anwendung des Bestbieterprinzips unterstützen könnte – und welche Maßnahmen die Regierung bereits ergriffen habe. Um die vergebenden Stellen bei Anwendung des Bestbieterprinzips zu unterstützen, seien Referenzkataloge und Richtlinien nötig sowie eine Stelle, die Beratung und fachliches Wissen zur Verfügung stellt.
Dass die Frist zur Begutachtung und für Stellungnahmen eigentlich bereits abgelaufen ist, stellt für Ju- risten kein Problem dar. Im Gesetzgebungsprozess seien Initiativanträge „möglich und nicht unüblich“, meint Vergaberechtsexperte Öhler.
Auch Oliver Walther sagt, dass Eingaben jetzt formal nicht mehr gelesen würden. Aber er hält es für „wahrscheinlich, dass es im Vergleich zum Begutachtungsentwurf noch einige Änderungen geben wird“. Auch sei nicht auszuschließen, dass Medienberichte oder Anfragen Relevanz haben werden – zumal der Gesetzesentwurf erst im Nationalrat und im Bundesrat behandelt werden müsse. Auch Schatz rechnet noch mit Änderungen im Entwurf, weil auch die Bundesländer noch auf den Plan treten könnten. Wann die Novelle in Kraft treten könnte, ist offen. Einerseits drängt die Zeit, die von der EU gesetzte Frist zur Umsetzung ist bereits Mitte April 2016 abgelaufen. Andererseits halten Experten eine Umsetzung noch vor der Sommerpause für unwahrscheinlich.