Wir leben von dem Geist, der stets bejaht
Das Getöse und der Schrecken sind groß, den apokalyptische Reiter in der Welt verbreiten. Aber das Nein zum Leben ist nie ein endgültiges.
In Goethes „Faust“erklärt sich Mephistopheles zuständig für alles, „was ihr Sünde, Zerstörung, kurz, das Böse nennt“. Er ist der Geist, der stets verneint. „Und das mit Recht, denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht.“
Dieser Geist, der an den Untergang glaubt statt an die Zukunft, hat sich in unsere Seelen hineingefressen. Noch nie war bei der älteren Generation die Hoffnung so gering, „dass es unsere Kinder einmal besser haben werden“. Noch nie war die Versuchung so groß, dass wir uns an der Vergangenheit festhalten, statt mutigen Schrittes voranzugehen.
Wo Offenheit und Willkommenskultur waren, sind Grenzkontrollen und Zäune gekommen. Wo die Zukunft voller wundersamer Erkenntnisse und erlösender Erfindungen schien, haben sich Fortschrittspessimismus und Angstparolen ausgebreitet. Wo das Projekt Europa einen Frieden ohne Ende zu garantieren schien, greifen unter dem Deckmantel der Prävention noch höhere Rüstungsausgaben und Vernichtungspotenziale Platz. Der Krieg scheint nicht mehr geächtet, sondern er wird mit Carl von Clausewitz wieder als bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln gesehen.
Es könnte einem angst und bange werden, wenn man bedenkt, welche „Typen“an den roten Knöpfen der Atombombenarsenale sitzen – hüben wie drüben. In ihnen spiegelt sich eine Gesellschaft, in der Selbstdarstellung und Rücksichtslosigkeit dominante Faktoren geworden sind – jener Geist, der stets verneint, was ihm nicht gelegen scheint.
Aber noch leben die apokalyptischen Reiter gottlob mehr von ihren großen Worten als von ihren Taten. Noch hat die Zivilgesellschaft dagegengehalten, wenn es – etwa bei den jüngsten Wahlen in Europa – darauf angekommen ist. Das Böse ist lauter und die Narzissten auf den Präsidentensesseln sind dreister, aber das Gute ist keineswegs ohnmächtig.
Der Mensch ist seinem Schicksal nicht restlos ausgeliefert. Viktor E. Frankl hat das die „Trotzmacht des Geistes“genannt. Der Begründer der Logotherapie war überzeugt, dass die geistige Dimension des Menschen nicht erkranken könne. Schlimmstenfalls sei der Zugang zu dieser geistigen Ebene durch einen „Störfall“nicht oder nur beschränkt möglich. In der Regel dürfen wir uns demnach an die Überzeugung halten, dass das Gute im Menschen mindestens genauso viel Entfaltungspotenzial hat wie das Böse.
Es tut gut, sich von Zeit zu Zeit einmal unter den Sternenhimmel zu stellen und in die unendliche Weite des Weltalls hinauszuschauen – oder, wie man besser sagen sollte, hinauszustaunen. Man muss schon sehr abgebrüht sein, um dabei nicht von dem Gedanken ergriffen zu werden: Welch ein Wunder, dass es diesen winzigen belebten Planeten gibt, und mich Winzling darauf. Welch ein Wunder, dass alles um mich herum ist, und nicht nichts ist.
Das Leben ist voller Einbrüche, ja, aber jedem Einbruch steht ein Auf- bruch gegenüber, wenn wir willens sind, ihn zu sehen. Unser Leben ist eingebettet in eine Natur, in der die Welle zum Teilchen und das Teilchen wieder zur Welle wird. Die Natur ist ein ständiges Wechselspiel der Kräfte, in das auch der Mensch eingebunden ist. Freude und Hoffnung schlagen in Trauer und Angst um, und umgekehrt. Die Leichtigkeit des Seins, die wir immer wieder wie eine frische Meeresbrise einsaugen dürfen, schlägt in unerträgliche Schwere um. Und umgekehrt. Die Frage ist, an welcher Seite dieser wechselvollen Existenz wir uns ausrichten. An der hellen oder an der dunklen. Möchten wir am liebsten wie Petrus am Ölberg mit dem Schwert dreinschlagen, in der Hoffnung, den gordischen Knoten unserer Verwicklungen und Verstrickungen ein für alle Mal zu lösen? Oder halten wir es wie Jesus, der seinen Jünger entschieden zurückweist: Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen. Die Entscheidung für eine grundsätzlich positive Haltung zum Leben liegt bei uns. Niemand kann sie uns abnehmen oder aber verwehren. Haben wir uns – mit allen Einschränkungen und Rückschlägen – grundsätzlich für das Leben entschieden, eröffnen sich neue Horizonte. Es ist ein Mehrwert dieser Lebensbejahung, dass wir im Tunnel nicht verzweifeln und stecken bleiben müssen, sondern täglich neue Hoffnung schöpfen auf das Licht am Ende. Der Geist, der bejaht, bringt die Trotzmacht auf, die sich den vielfältigen körperlichen, seelischen und gesellschaftlichen Zwängen widersetzt. Es ist eine vage Hoffnung, dass die Menschheit aus der Geschichte lernt. Es ist aber eine beständige Erfahrung, dass sie sich nach jeder grausamen Niederlage wie ein Phönix aus der Asche erhoben hat. So haben nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst 50 Staaten die Charta der Vereinten Nationen unterzeichnet, und die Aussöhnung zwischen den Erzfeinden Frankreich und Deutschland hat den Weg zum vereinten Europa geebnet. Die kommunistischen Diktaturen in Osteuropa wurden in friedlichen Revolutionen durch die Solidarität der Menschen unterlaufen. Südafrika hat die Apartheid weitgehend überwunden. Noch nie in der Geschichte war der weltweite Anteil der Kinder, die zumindest eine Grundschule besuchen können, größer als heute. Und wenn die ersten Anzeichen nicht trügen, erleben wir derzeit in der westlichen Welt ein frühlingshaftes Erwachen der mittleren und jüngeren Generationen. Sie erfahren erstmals in ihrem Leben, dass Frieden und Freiheit nicht selbstverständlich sind, und sie machen sich bereit, dafür politisch einzustehen. Damit kann auch aus der gegenwärtigen Zeit der Verunsicherung eine neue Allianz des Guten erwachsen. Ostern ist das Fest der Dankbarkeit dafür, dass jener Geist der stärkere ist, der bejaht.