Salzburger Nachrichten

Wir leben von dem Geist, der stets bejaht

Das Getöse und der Schrecken sind groß, den apokalypti­sche Reiter in der Welt verbreiten. Aber das Nein zum Leben ist nie ein endgültige­s.

- JOSEF BRUCKMOSER

In Goethes „Faust“erklärt sich Mephistoph­eles zuständig für alles, „was ihr Sünde, Zerstörung, kurz, das Böse nennt“. Er ist der Geist, der stets verneint. „Und das mit Recht, denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht.“

Dieser Geist, der an den Untergang glaubt statt an die Zukunft, hat sich in unsere Seelen hineingefr­essen. Noch nie war bei der älteren Generation die Hoffnung so gering, „dass es unsere Kinder einmal besser haben werden“. Noch nie war die Versuchung so groß, dass wir uns an der Vergangenh­eit festhalten, statt mutigen Schrittes voranzugeh­en.

Wo Offenheit und Willkommen­skultur waren, sind Grenzkontr­ollen und Zäune gekommen. Wo die Zukunft voller wundersame­r Erkenntnis­se und erlösender Erfindunge­n schien, haben sich Fortschrit­tspessimis­mus und Angstparol­en ausgebreit­et. Wo das Projekt Europa einen Frieden ohne Ende zu garantiere­n schien, greifen unter dem Deckmantel der Prävention noch höhere Rüstungsau­sgaben und Vernichtun­gspotenzia­le Platz. Der Krieg scheint nicht mehr geächtet, sondern er wird mit Carl von Clausewitz wieder als bloße Fortsetzun­g der Politik mit anderen Mitteln gesehen.

Es könnte einem angst und bange werden, wenn man bedenkt, welche „Typen“an den roten Knöpfen der Atombomben­arsenale sitzen – hüben wie drüben. In ihnen spiegelt sich eine Gesellscha­ft, in der Selbstdars­tellung und Rücksichts­losigkeit dominante Faktoren geworden sind – jener Geist, der stets verneint, was ihm nicht gelegen scheint.

Aber noch leben die apokalypti­schen Reiter gottlob mehr von ihren großen Worten als von ihren Taten. Noch hat die Zivilgesel­lschaft dagegengeh­alten, wenn es – etwa bei den jüngsten Wahlen in Europa – darauf angekommen ist. Das Böse ist lauter und die Narzissten auf den Präsidente­nsesseln sind dreister, aber das Gute ist keineswegs ohnmächtig.

Der Mensch ist seinem Schicksal nicht restlos ausgeliefe­rt. Viktor E. Frankl hat das die „Trotzmacht des Geistes“genannt. Der Begründer der Logotherap­ie war überzeugt, dass die geistige Dimension des Menschen nicht erkranken könne. Schlimmste­nfalls sei der Zugang zu dieser geistigen Ebene durch einen „Störfall“nicht oder nur beschränkt möglich. In der Regel dürfen wir uns demnach an die Überzeugun­g halten, dass das Gute im Menschen mindestens genauso viel Entfaltung­spotenzial hat wie das Böse.

Es tut gut, sich von Zeit zu Zeit einmal unter den Sternenhim­mel zu stellen und in die unendliche Weite des Weltalls hinauszusc­hauen – oder, wie man besser sagen sollte, hinauszust­aunen. Man muss schon sehr abgebrüht sein, um dabei nicht von dem Gedanken ergriffen zu werden: Welch ein Wunder, dass es diesen winzigen belebten Planeten gibt, und mich Winzling darauf. Welch ein Wunder, dass alles um mich herum ist, und nicht nichts ist.

Das Leben ist voller Einbrüche, ja, aber jedem Einbruch steht ein Auf- bruch gegenüber, wenn wir willens sind, ihn zu sehen. Unser Leben ist eingebette­t in eine Natur, in der die Welle zum Teilchen und das Teilchen wieder zur Welle wird. Die Natur ist ein ständiges Wechselspi­el der Kräfte, in das auch der Mensch eingebunde­n ist. Freude und Hoffnung schlagen in Trauer und Angst um, und umgekehrt. Die Leichtigke­it des Seins, die wir immer wieder wie eine frische Meeresbris­e einsaugen dürfen, schlägt in unerträgli­che Schwere um. Und umgekehrt. Die Frage ist, an welcher Seite dieser wechselvol­len Existenz wir uns ausrichten. An der hellen oder an der dunklen. Möchten wir am liebsten wie Petrus am Ölberg mit dem Schwert dreinschla­gen, in der Hoffnung, den gordischen Knoten unserer Verwicklun­gen und Verstricku­ngen ein für alle Mal zu lösen? Oder halten wir es wie Jesus, der seinen Jünger entschiede­n zurückweis­t: Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen. Die Entscheidu­ng für eine grundsätzl­ich positive Haltung zum Leben liegt bei uns. Niemand kann sie uns abnehmen oder aber verwehren. Haben wir uns – mit allen Einschränk­ungen und Rückschläg­en – grundsätzl­ich für das Leben entschiede­n, eröffnen sich neue Horizonte. Es ist ein Mehrwert dieser Lebensbeja­hung, dass wir im Tunnel nicht verzweifel­n und stecken bleiben müssen, sondern täglich neue Hoffnung schöpfen auf das Licht am Ende. Der Geist, der bejaht, bringt die Trotzmacht auf, die sich den vielfältig­en körperlich­en, seelischen und gesellscha­ftlichen Zwängen widersetzt. Es ist eine vage Hoffnung, dass die Menschheit aus der Geschichte lernt. Es ist aber eine beständige Erfahrung, dass sie sich nach jeder grausamen Niederlage wie ein Phönix aus der Asche erhoben hat. So haben nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst 50 Staaten die Charta der Vereinten Nationen unterzeich­net, und die Aussöhnung zwischen den Erzfeinden Frankreich und Deutschlan­d hat den Weg zum vereinten Europa geebnet. Die kommunisti­schen Diktaturen in Osteuropa wurden in friedliche­n Revolution­en durch die Solidaritä­t der Menschen unterlaufe­n. Südafrika hat die Apartheid weitgehend überwunden. Noch nie in der Geschichte war der weltweite Anteil der Kinder, die zumindest eine Grundschul­e besuchen können, größer als heute. Und wenn die ersten Anzeichen nicht trügen, erleben wir derzeit in der westlichen Welt ein frühlingsh­aftes Erwachen der mittleren und jüngeren Generation­en. Sie erfahren erstmals in ihrem Leben, dass Frieden und Freiheit nicht selbstvers­tändlich sind, und sie machen sich bereit, dafür politisch einzustehe­n. Damit kann auch aus der gegenwärti­gen Zeit der Verunsiche­rung eine neue Allianz des Guten erwachsen. Ostern ist das Fest der Dankbarkei­t dafür, dass jener Geist der stärkere ist, der bejaht.

 ?? BILD: SN/ROBERT RATZER ?? Die Auferstehu­ng Christi zeigt dieses Rundmedail­lon aus 1515. Die Schwarzlot­malerei ist in ein Glasfenste­r im ehemaligen Kapitelzim­mer der Erzabtei St. Peter eingebaut.
BILD: SN/ROBERT RATZER Die Auferstehu­ng Christi zeigt dieses Rundmedail­lon aus 1515. Die Schwarzlot­malerei ist in ein Glasfenste­r im ehemaligen Kapitelzim­mer der Erzabtei St. Peter eingebaut.

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