Was würde die umstrittene Reform ändern? Am Sonntag stimmt die Türkei über die Einführung eines Präsidialsystems ab.
1.
Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan und die Regierung wollen die Verfassung in 18 Punkten ändern, um die parlamentarische Demokratie durch ein Präsidialsystem zu ersetzen. Es soll dem Staatschef sehr weit gehende Kompetenzen geben. Zugleich beschneidet es die Befugnisse des Parlaments. Nachdem die Nationalversammlung die Änderungen bereits im Jänner mit Dreifünftelmehrheit billigte, haben nun die Wähler in einer Volksabstimmung das letzte Wort.
2.
Er wäre Staatsoberhaupt und Regierungschef in einer Person. Der künftige Präsident kann mit Dekreten regieren, die Gesetzeskraft haben – ohne Zustimmung des Parlaments. Er beruft und entlässt seine Vizepräsidenten und die Minister, ernennt die Rektoren der Universitäten, hat wesentlichen Einfluss auf die Berufung der obersten Richter und Staatsanwälte und kann den Notstand ausrufen. Anders als bisher steht der Präsident nicht mehr über den Parteien, sondern kann zugleich Parteivorsitzender sein. Parlament und Präsident werden jeweils am gleichen Tag gewählt, und zwar erstmals am 3. November 2019. Damit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass der jeweilige Präsident im Parlament eine Mehrheit hat.
3.
Eindeutig ja. Zwar ist auch der USPräsident Staats- und Regierungschef in Personalunion. Der Kongress bildet aber als oberstes Gesetzgebungsorgan ein starkes Gegengewicht. Der französische Präsident hat gegenüber der Regierung eine bedeutende Machtfülle, fungiert aber nicht gleichzeitig als Premierminister. In beiden Ländern gibt es ein ausgeprägtes System der Gewaltenteilung und eine unabhängige Justiz. Das schützt vor Machtmissbrauch. Was Erdoğan anstrebt, erinnert dagegen an die nahezu unumschränkte Machtfülle mittelasiatischer oder lateinamerikanischer Staatschefs.
Worüber entscheiden die Türken bei der Volksabstimmung? Welche Rechte bekäme der Staatspräsident? Wäre er damit mächtiger als der französische Präsident oder der US-Präsident?
4.
Die Zahl der Abgeordneten wird zwar von 550 auf 600 erhöht, das Parlament verliert aber viele seiner Befugnisse. Es kann zwar Gesetze beschließen, aber dafür ist eine absolute Mehrheit nötig, sofern der Präsident sein Veto einlegt. Das Parlament wirkt bei der Berufung der Minister nicht mit und kann ihnen auch nicht das Misstrauen aussprechen. Der Präsident kann das Parlament überdies jederzeit nach Gutdünken auflösen und Neuwahlen herbeiführen.
Wie sähe die künftige Rolle des Parlaments aus?